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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Elisabeth

niedergestochen habe, well dieser, zunächst auf Befolgung der Gebote seiner Herrin
bedacht, einem Befehl des Königs nicht sofort nachgekommen war. . .

Im Vorzimmer der Kranken traf sie den Leibarzt. Sie wechselte mit ihm
einige flüchtige Worte der Begrüßung, teilte ihm des Königs Botschaft mit und
vernahm zu ihrer Besorgnis, daß der Zustand der Prinzessin sich verschlimmert
habe. Dann ging sie auf leisen Sohlen ins Krankenzimmer der kleinen Hoheit.
Am Kopfende des Himmelbettes, dessen blauseidene Vorhänge zugezogen waren,
saß William Neville, der gleichaltrige Freund der Kranken, den diese einst im
Dorfe gesehen und sich zum Spielgefährten erwählt hatte. Ein Fremder hätte
meinen können, die Prinzessin selbst sitze in Knabenkleidern da -- so sehr sah
er Elisabeth ähnlich. "Nicht stören! Sie schläft!" flüsterte er der Eintretenden
zu. Sie blickte freundlich in seine verweinten Augen und strich ihm mit der
Hand tröstend über die blonden Locken.




Am Abend ging mit den ersten Schatten der Dämmerung ein Flüstern
und Raunen durchs Schloß. Was war es, was der Leibarzt der Kammerfrau
erzählte, daß sie laut aufschrie und das Gesicht in den Händen barg? Was
flüsterte die Kammerfrau im dunklen Flur vor den Gemächern der Prinzessin
der alten schwerhöriger Schaffnerin ins Ohr? Welches Wort von ihrem Gespräch
fing der an den beiden Frauen vorübereilende Hobbs auf, daß er, wie von
Furien gehetzt, in die Küche lief, Schrecken und Verwirrung dorthin tragend? --
Draußen am Tor erzählte es der Gärtnerbursche dem Jäger, der das Wildpret
für die nächsten Tage nach dem Landsitz gebracht hatte. "Dort oben, Dick, die
drei großen verhangenen Fenster zur Rechten, das ist ihr Schlafzimmer. Dort
liegt sie unter Samt und Seide im goldenen Himmelbett. -- Warum sie nach
Bisley kam? Sie sollte die gute Landluft genießen, denn sie war zart und
schwach, oh! so zart, so weiß und durchsichtig -- ich habe sie noch vor vier
Tagen gesehen, das Fieber ist ja ganz plötzlich gekommen. Sie sollte Ruhe
haben, hier draußen; die hat sie jetzt, meiner Seel, die arme, schöne Prinzeß! --
Woher ich es weiß? Vom Küchenjungen, der vorhin die Gemüse holte: er
hatte es von der Schaffnerin. Die soll geweint haben, daß man es im ganzen
Hause hörte . . . --

Eine redete nicht; die handelte. Ihr Leben stand hier auf dem Spiel.
Der Zufall hatte gewollt, daß sie gerade im entscheidenden Augenblick auf
ihrem Turmzimmer weilte und erst durch das Jammern und Schreien der
Mägde aufmerksam wurde. Sie erriet sogleich den Grund des Lärmens. Eine
schmale Wendeltreppe verband ihre Zimmer mit den Gemächern der Prinzessin.
Die eilte sie hinunter. Durch die verlassenen, kerzenerhellten Räume ging sie an
das Bett ihrer Schutzbefohlenen. Da lag Elisabeth Tudor zwischen den weißen
Kissen, unbeweglich und wachsbleich. Die Erzieherin bog sich angstvoll vor,
legte das Ohr an die Brust der kleinen Herrin, nahm die schmalen, blassen


Elisabeth

niedergestochen habe, well dieser, zunächst auf Befolgung der Gebote seiner Herrin
bedacht, einem Befehl des Königs nicht sofort nachgekommen war. . .

Im Vorzimmer der Kranken traf sie den Leibarzt. Sie wechselte mit ihm
einige flüchtige Worte der Begrüßung, teilte ihm des Königs Botschaft mit und
vernahm zu ihrer Besorgnis, daß der Zustand der Prinzessin sich verschlimmert
habe. Dann ging sie auf leisen Sohlen ins Krankenzimmer der kleinen Hoheit.
Am Kopfende des Himmelbettes, dessen blauseidene Vorhänge zugezogen waren,
saß William Neville, der gleichaltrige Freund der Kranken, den diese einst im
Dorfe gesehen und sich zum Spielgefährten erwählt hatte. Ein Fremder hätte
meinen können, die Prinzessin selbst sitze in Knabenkleidern da — so sehr sah
er Elisabeth ähnlich. „Nicht stören! Sie schläft!" flüsterte er der Eintretenden
zu. Sie blickte freundlich in seine verweinten Augen und strich ihm mit der
Hand tröstend über die blonden Locken.




Am Abend ging mit den ersten Schatten der Dämmerung ein Flüstern
und Raunen durchs Schloß. Was war es, was der Leibarzt der Kammerfrau
erzählte, daß sie laut aufschrie und das Gesicht in den Händen barg? Was
flüsterte die Kammerfrau im dunklen Flur vor den Gemächern der Prinzessin
der alten schwerhöriger Schaffnerin ins Ohr? Welches Wort von ihrem Gespräch
fing der an den beiden Frauen vorübereilende Hobbs auf, daß er, wie von
Furien gehetzt, in die Küche lief, Schrecken und Verwirrung dorthin tragend? —
Draußen am Tor erzählte es der Gärtnerbursche dem Jäger, der das Wildpret
für die nächsten Tage nach dem Landsitz gebracht hatte. „Dort oben, Dick, die
drei großen verhangenen Fenster zur Rechten, das ist ihr Schlafzimmer. Dort
liegt sie unter Samt und Seide im goldenen Himmelbett. — Warum sie nach
Bisley kam? Sie sollte die gute Landluft genießen, denn sie war zart und
schwach, oh! so zart, so weiß und durchsichtig — ich habe sie noch vor vier
Tagen gesehen, das Fieber ist ja ganz plötzlich gekommen. Sie sollte Ruhe
haben, hier draußen; die hat sie jetzt, meiner Seel, die arme, schöne Prinzeß! —
Woher ich es weiß? Vom Küchenjungen, der vorhin die Gemüse holte: er
hatte es von der Schaffnerin. Die soll geweint haben, daß man es im ganzen
Hause hörte . . . —

Eine redete nicht; die handelte. Ihr Leben stand hier auf dem Spiel.
Der Zufall hatte gewollt, daß sie gerade im entscheidenden Augenblick auf
ihrem Turmzimmer weilte und erst durch das Jammern und Schreien der
Mägde aufmerksam wurde. Sie erriet sogleich den Grund des Lärmens. Eine
schmale Wendeltreppe verband ihre Zimmer mit den Gemächern der Prinzessin.
Die eilte sie hinunter. Durch die verlassenen, kerzenerhellten Räume ging sie an
das Bett ihrer Schutzbefohlenen. Da lag Elisabeth Tudor zwischen den weißen
Kissen, unbeweglich und wachsbleich. Die Erzieherin bog sich angstvoll vor,
legte das Ohr an die Brust der kleinen Herrin, nahm die schmalen, blassen


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[0184] Elisabeth niedergestochen habe, well dieser, zunächst auf Befolgung der Gebote seiner Herrin bedacht, einem Befehl des Königs nicht sofort nachgekommen war. . . Im Vorzimmer der Kranken traf sie den Leibarzt. Sie wechselte mit ihm einige flüchtige Worte der Begrüßung, teilte ihm des Königs Botschaft mit und vernahm zu ihrer Besorgnis, daß der Zustand der Prinzessin sich verschlimmert habe. Dann ging sie auf leisen Sohlen ins Krankenzimmer der kleinen Hoheit. Am Kopfende des Himmelbettes, dessen blauseidene Vorhänge zugezogen waren, saß William Neville, der gleichaltrige Freund der Kranken, den diese einst im Dorfe gesehen und sich zum Spielgefährten erwählt hatte. Ein Fremder hätte meinen können, die Prinzessin selbst sitze in Knabenkleidern da — so sehr sah er Elisabeth ähnlich. „Nicht stören! Sie schläft!" flüsterte er der Eintretenden zu. Sie blickte freundlich in seine verweinten Augen und strich ihm mit der Hand tröstend über die blonden Locken. Am Abend ging mit den ersten Schatten der Dämmerung ein Flüstern und Raunen durchs Schloß. Was war es, was der Leibarzt der Kammerfrau erzählte, daß sie laut aufschrie und das Gesicht in den Händen barg? Was flüsterte die Kammerfrau im dunklen Flur vor den Gemächern der Prinzessin der alten schwerhöriger Schaffnerin ins Ohr? Welches Wort von ihrem Gespräch fing der an den beiden Frauen vorübereilende Hobbs auf, daß er, wie von Furien gehetzt, in die Küche lief, Schrecken und Verwirrung dorthin tragend? — Draußen am Tor erzählte es der Gärtnerbursche dem Jäger, der das Wildpret für die nächsten Tage nach dem Landsitz gebracht hatte. „Dort oben, Dick, die drei großen verhangenen Fenster zur Rechten, das ist ihr Schlafzimmer. Dort liegt sie unter Samt und Seide im goldenen Himmelbett. — Warum sie nach Bisley kam? Sie sollte die gute Landluft genießen, denn sie war zart und schwach, oh! so zart, so weiß und durchsichtig — ich habe sie noch vor vier Tagen gesehen, das Fieber ist ja ganz plötzlich gekommen. Sie sollte Ruhe haben, hier draußen; die hat sie jetzt, meiner Seel, die arme, schöne Prinzeß! — Woher ich es weiß? Vom Küchenjungen, der vorhin die Gemüse holte: er hatte es von der Schaffnerin. Die soll geweint haben, daß man es im ganzen Hause hörte . . . — Eine redete nicht; die handelte. Ihr Leben stand hier auf dem Spiel. Der Zufall hatte gewollt, daß sie gerade im entscheidenden Augenblick auf ihrem Turmzimmer weilte und erst durch das Jammern und Schreien der Mägde aufmerksam wurde. Sie erriet sogleich den Grund des Lärmens. Eine schmale Wendeltreppe verband ihre Zimmer mit den Gemächern der Prinzessin. Die eilte sie hinunter. Durch die verlassenen, kerzenerhellten Räume ging sie an das Bett ihrer Schutzbefohlenen. Da lag Elisabeth Tudor zwischen den weißen Kissen, unbeweglich und wachsbleich. Die Erzieherin bog sich angstvoll vor, legte das Ohr an die Brust der kleinen Herrin, nahm die schmalen, blassen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/184>, abgerufen am 24.08.2024.