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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Aonrad Ferdinand Meyer, der Novellist

und Bischof", und "dieser mit den ungleichartigsten Waffen bis zur gegenseitigen
Vernichtung geführte Kampf in allen seinen Stadien" ist, wie der Dichter es
selber definiert, "der Gegenstand der Novelle". Warum dieser Kampf so ungleich¬
artig ist, hat Meyer sehr ausführlich ebenfalls dargetan: es stehen sich zwei
ganz verschiedenartige Persönlichkeiten gegenüber, eine robuste, ja brutale, ohne
jedes Feinempfinden und ohne Geistigkeit (der König) -- und eine höchst kom¬
plizierte, in der sich höchste geistige Potentialität und Wehrlostgkeit gegenüber
den Brutalitäten des Mittelalters, überlegene Ruhe mit Humanität und ein mit
Grausamkeitsinstinkten durchsetzter Haß unheimlich durcheinandermischen (der
Bischof). Naturmensch und Kulturmensch, die sich hier in ihrer prachtvollen
Nacktheit und vielfältigen Verstecktheit gegenüberstehen, vereinigen sich in der
Kolossalgestalt, die der Dichter aus dem Graubündener Obersten Jürg Jenatsch
geschaffen, der zuerst ein Pfarrer, von einer rasenden Vaterlandsliebe besessen,
sein Pfarrhabit mit dem Soldatenrock vertauscht und darauf seine bärenhaften
Körper- und seine gewaltigen Spannkräfte des Geistes und der Seele in
prachtvoller Steigerung entfaltet, um sein von Frankreich und Österreich
bedrohtes Graubünden zu befreien. (Die Geschichte spielt zur Zeit des
Dreißigjährigen Krieges.) Wohl gelingt dem leidenschaftlichen Menschen,
dem Diplomaten und genialen Soldaten der große Wurf; aber als rücksichts¬
loser Draufgänger und als allzuschnell und allzuhoch Gestiegener hat Jenatsch viele
Feinde -- sie fallen zu festlicher Stunde über den Unbewehrten her und er
fällt, von dem Beilschlag seiner Geliebten getroffen, die ihm einen ehrenvollen
und sühnenden Tod (er hat mit demselben Beil einst ihren Vater als poli¬
tischen Gegner ermordet) als letztes Geschenk darreicht. Meyer selbst nennt
diesen seltenen Jürg Jenatsch einen Menschen "von reichstem Temperament,
wild und schlau. Weltmann und Naturmensch, um die Mittel nie verlegen,
aber von großartiger Vaterlandsliebe". Als den Konflikt dieser seiner größten
und bedeutendsten Novelle gibt er an den Streit von "Recht und Macht,
Politik und Sittlichkeit, Religion und Konfesston". Auch hier werden in Ver¬
bindung mit den Schicksalen des Helden die großen Fragen der Zeit, ja man
kann sagen: die großen und immer wieder auftauchenden Fragen der
Menschheit aufgerollt und mit Künstlergriff gegeneinandergestellt und gestaltet.

Es geht ein großer Zug, ein Ewigkeitszug durch Konrad Ferdinand
Meyers Natur und durch sein künstlerisches Schaffen, den er bei aller resig¬
nierten Lebensstimmung nicht verleugnen kann und mag. Schmerz über mensch¬
liche Kleinheit, Sehnsucht nach Größe, nimmer ruhender Aufwürtsdrang --
das ist, was seine Seele füllt: "Das große, stille Leuchten . . .1" So wird und
darf der moderne Mensch, der an der Kunst seine Seele nicht nur zu delektieren,
sondern auch sie zu erheben und aufzuerbauen liebt, immer wieder zu ihm
zurückkehren.




Aonrad Ferdinand Meyer, der Novellist

und Bischof", und „dieser mit den ungleichartigsten Waffen bis zur gegenseitigen
Vernichtung geführte Kampf in allen seinen Stadien" ist, wie der Dichter es
selber definiert, „der Gegenstand der Novelle". Warum dieser Kampf so ungleich¬
artig ist, hat Meyer sehr ausführlich ebenfalls dargetan: es stehen sich zwei
ganz verschiedenartige Persönlichkeiten gegenüber, eine robuste, ja brutale, ohne
jedes Feinempfinden und ohne Geistigkeit (der König) — und eine höchst kom¬
plizierte, in der sich höchste geistige Potentialität und Wehrlostgkeit gegenüber
den Brutalitäten des Mittelalters, überlegene Ruhe mit Humanität und ein mit
Grausamkeitsinstinkten durchsetzter Haß unheimlich durcheinandermischen (der
Bischof). Naturmensch und Kulturmensch, die sich hier in ihrer prachtvollen
Nacktheit und vielfältigen Verstecktheit gegenüberstehen, vereinigen sich in der
Kolossalgestalt, die der Dichter aus dem Graubündener Obersten Jürg Jenatsch
geschaffen, der zuerst ein Pfarrer, von einer rasenden Vaterlandsliebe besessen,
sein Pfarrhabit mit dem Soldatenrock vertauscht und darauf seine bärenhaften
Körper- und seine gewaltigen Spannkräfte des Geistes und der Seele in
prachtvoller Steigerung entfaltet, um sein von Frankreich und Österreich
bedrohtes Graubünden zu befreien. (Die Geschichte spielt zur Zeit des
Dreißigjährigen Krieges.) Wohl gelingt dem leidenschaftlichen Menschen,
dem Diplomaten und genialen Soldaten der große Wurf; aber als rücksichts¬
loser Draufgänger und als allzuschnell und allzuhoch Gestiegener hat Jenatsch viele
Feinde — sie fallen zu festlicher Stunde über den Unbewehrten her und er
fällt, von dem Beilschlag seiner Geliebten getroffen, die ihm einen ehrenvollen
und sühnenden Tod (er hat mit demselben Beil einst ihren Vater als poli¬
tischen Gegner ermordet) als letztes Geschenk darreicht. Meyer selbst nennt
diesen seltenen Jürg Jenatsch einen Menschen „von reichstem Temperament,
wild und schlau. Weltmann und Naturmensch, um die Mittel nie verlegen,
aber von großartiger Vaterlandsliebe". Als den Konflikt dieser seiner größten
und bedeutendsten Novelle gibt er an den Streit von „Recht und Macht,
Politik und Sittlichkeit, Religion und Konfesston". Auch hier werden in Ver¬
bindung mit den Schicksalen des Helden die großen Fragen der Zeit, ja man
kann sagen: die großen und immer wieder auftauchenden Fragen der
Menschheit aufgerollt und mit Künstlergriff gegeneinandergestellt und gestaltet.

Es geht ein großer Zug, ein Ewigkeitszug durch Konrad Ferdinand
Meyers Natur und durch sein künstlerisches Schaffen, den er bei aller resig¬
nierten Lebensstimmung nicht verleugnen kann und mag. Schmerz über mensch¬
liche Kleinheit, Sehnsucht nach Größe, nimmer ruhender Aufwürtsdrang —
das ist, was seine Seele füllt: „Das große, stille Leuchten . . .1" So wird und
darf der moderne Mensch, der an der Kunst seine Seele nicht nur zu delektieren,
sondern auch sie zu erheben und aufzuerbauen liebt, immer wieder zu ihm
zurückkehren.




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[0179] Aonrad Ferdinand Meyer, der Novellist und Bischof", und „dieser mit den ungleichartigsten Waffen bis zur gegenseitigen Vernichtung geführte Kampf in allen seinen Stadien" ist, wie der Dichter es selber definiert, „der Gegenstand der Novelle". Warum dieser Kampf so ungleich¬ artig ist, hat Meyer sehr ausführlich ebenfalls dargetan: es stehen sich zwei ganz verschiedenartige Persönlichkeiten gegenüber, eine robuste, ja brutale, ohne jedes Feinempfinden und ohne Geistigkeit (der König) — und eine höchst kom¬ plizierte, in der sich höchste geistige Potentialität und Wehrlostgkeit gegenüber den Brutalitäten des Mittelalters, überlegene Ruhe mit Humanität und ein mit Grausamkeitsinstinkten durchsetzter Haß unheimlich durcheinandermischen (der Bischof). Naturmensch und Kulturmensch, die sich hier in ihrer prachtvollen Nacktheit und vielfältigen Verstecktheit gegenüberstehen, vereinigen sich in der Kolossalgestalt, die der Dichter aus dem Graubündener Obersten Jürg Jenatsch geschaffen, der zuerst ein Pfarrer, von einer rasenden Vaterlandsliebe besessen, sein Pfarrhabit mit dem Soldatenrock vertauscht und darauf seine bärenhaften Körper- und seine gewaltigen Spannkräfte des Geistes und der Seele in prachtvoller Steigerung entfaltet, um sein von Frankreich und Österreich bedrohtes Graubünden zu befreien. (Die Geschichte spielt zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges.) Wohl gelingt dem leidenschaftlichen Menschen, dem Diplomaten und genialen Soldaten der große Wurf; aber als rücksichts¬ loser Draufgänger und als allzuschnell und allzuhoch Gestiegener hat Jenatsch viele Feinde — sie fallen zu festlicher Stunde über den Unbewehrten her und er fällt, von dem Beilschlag seiner Geliebten getroffen, die ihm einen ehrenvollen und sühnenden Tod (er hat mit demselben Beil einst ihren Vater als poli¬ tischen Gegner ermordet) als letztes Geschenk darreicht. Meyer selbst nennt diesen seltenen Jürg Jenatsch einen Menschen „von reichstem Temperament, wild und schlau. Weltmann und Naturmensch, um die Mittel nie verlegen, aber von großartiger Vaterlandsliebe". Als den Konflikt dieser seiner größten und bedeutendsten Novelle gibt er an den Streit von „Recht und Macht, Politik und Sittlichkeit, Religion und Konfesston". Auch hier werden in Ver¬ bindung mit den Schicksalen des Helden die großen Fragen der Zeit, ja man kann sagen: die großen und immer wieder auftauchenden Fragen der Menschheit aufgerollt und mit Künstlergriff gegeneinandergestellt und gestaltet. Es geht ein großer Zug, ein Ewigkeitszug durch Konrad Ferdinand Meyers Natur und durch sein künstlerisches Schaffen, den er bei aller resig¬ nierten Lebensstimmung nicht verleugnen kann und mag. Schmerz über mensch¬ liche Kleinheit, Sehnsucht nach Größe, nimmer ruhender Aufwürtsdrang — das ist, was seine Seele füllt: „Das große, stille Leuchten . . .1" So wird und darf der moderne Mensch, der an der Kunst seine Seele nicht nur zu delektieren, sondern auch sie zu erheben und aufzuerbauen liebt, immer wieder zu ihm zurückkehren.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/179>, abgerufen am 24.08.2024.