Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.Ronrad Ferdinand Meyer, der Novellist historischen Hintergrund hat "Das Amulete": diesmal die Stadt Paris in der Das Tragische war das Element, in dem die Seele Konrad Ferdinand Ronrad Ferdinand Meyer, der Novellist historischen Hintergrund hat „Das Amulete": diesmal die Stadt Paris in der Das Tragische war das Element, in dem die Seele Konrad Ferdinand <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0178" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/326990"/> <fw type="header" place="top"> Ronrad Ferdinand Meyer, der Novellist</fw><lb/> <p xml:id="ID_651" prev="#ID_650"> historischen Hintergrund hat „Das Amulete": diesmal die Stadt Paris in der<lb/> Bartholomäusnacht. Der Novelle, die als solche Meyers erster Versuch ist, liegt<lb/> als Motiv eine sozusagen religionspsychologische Wahrheit zugrunde: ein Amulete<lb/> kann den, der daran glaubt, nicht retten, bewahrt aber den Ungläubigen vor<lb/> dem Tode. — Eine heitere Ironie lebt in des Dichters kleiner, zierlicher Fazetie<lb/> „Plautus im Nonnenkloster". Ein diebischer höherer Kleriker (Poggio) pürscht<lb/> in einem Nonnenkloster, in dem es nicht wenig skandalös hergeht, nach einem<lb/> wertvollen Kodex des römischen Schriftstellers Plautus und kommt dabei der<lb/> betrügerischen Oberin (Brigittchen) auf allerlei Schliche, wodurch er ein wackeres,<lb/> zum Klosterdienst gepreßtes deutsches Mädchen (Gertrude) vor dem Lebendig-<lb/> begrabenwerden als Nonne rettet und die Arme dem Leben und der Liebe<lb/> wiederschenkt. Bei aller Heiterkeit und Laune entbehrt dieses niedliche Geschichtchen<lb/> dennoch nicht des Ernstes: in den drei Figuren des Poggio, des Brigittchen,<lb/> der Gertrude sind, wie Meyer betont, „die historischen Bedingungen der Refor¬<lb/> mation in komischer Maske verkörpert: die Verweltlichung des hohen Klerus,<lb/> die Verlierung der Geistlichkeit und die ehrliche deutsche Volksnatur." — Die<lb/> andere auf einen heiteren, ja fast ausgelassenen Ton gestimmte Meyersche No¬<lb/> velle ist „Der Schuß von der Kanzel" — ein Schuß, der tatsächlich mitten<lb/> hinein in die feierliche Predigt von der Kanzel herabfällt und zwar durck, den<lb/> Schabernack eines offenbar von sieben Teufeln gerittenen höheren Offiziers<lb/> namens Wertmüller, der, wie der Dichter sagt, auf der Halbinsel An (bei Zürich)<lb/> „sein Wesen ä la Rübezahl treibt". Meyer, der mehr aufs Tragische ein¬<lb/> gestimmte Mensch, gesteht einmal, daß ihm „das tolle Zeug" dieser übermütigen<lb/> Novelle „eigentlich nicht zu Gesicht" stehe: „Mir individuell hinterläßt das<lb/> Komische immer einen bitteren Geschmack, während mich das Tragische erhöht<lb/> und beseligt. ..."</p><lb/> <p xml:id="ID_652" next="#ID_653"> Das Tragische war das Element, in dem die Seele Konrad Ferdinand<lb/> Meyers sich gern ausbadete. Und so sind die meisten seiner Werke von einem<lb/> breiten und gewaltigen Strom tragischen Geschehens durchflossen, der nicht selten<lb/> einmündet in ein unergründliches Meer von Tragik, als welches sich ihm das<lb/> Leben mit seinen Aussichten in die Ewigkeit darstellt. Von solch tragischen<lb/> Verlaufen und Auslaufen des Lebens zeugen die beiden von wildem Kämpfen<lb/> erfüllten großen Novellen „Der Heilige" und „Jürg Jenatsch". Die erstere<lb/> stellt die Geschichte des historischen Th. Becket, nachmaligen Erzbischofs von<lb/> Canterbury, dar, der, erst ein ergebener Diener seines Herrn, nach seiner<lb/> Wahl zu einem Verfechter der Politik Roms wird, über die weltliche und<lb/> geistliche Jurisdiktionsbefugnis mit seinem König Heinrich dem Zweiten von<lb/> England in Konflikt gerät, auf dessen Anstiften in der Kathedrale von<lb/> Canterbury ermordet und vom Papste darauf heilig gesprochen wird.<lb/> Diese mehr politische Geschichte hat Meyer menschlich vertieft dadurch, daß er<lb/> Beckets einziges, fast noch unerblühtes Kind von dem König vergewaltigen und<lb/> dadurch „ruinieren" läßt. So entsteht „ein entsetzliches Ringen zwischen König</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0178]
Ronrad Ferdinand Meyer, der Novellist
historischen Hintergrund hat „Das Amulete": diesmal die Stadt Paris in der
Bartholomäusnacht. Der Novelle, die als solche Meyers erster Versuch ist, liegt
als Motiv eine sozusagen religionspsychologische Wahrheit zugrunde: ein Amulete
kann den, der daran glaubt, nicht retten, bewahrt aber den Ungläubigen vor
dem Tode. — Eine heitere Ironie lebt in des Dichters kleiner, zierlicher Fazetie
„Plautus im Nonnenkloster". Ein diebischer höherer Kleriker (Poggio) pürscht
in einem Nonnenkloster, in dem es nicht wenig skandalös hergeht, nach einem
wertvollen Kodex des römischen Schriftstellers Plautus und kommt dabei der
betrügerischen Oberin (Brigittchen) auf allerlei Schliche, wodurch er ein wackeres,
zum Klosterdienst gepreßtes deutsches Mädchen (Gertrude) vor dem Lebendig-
begrabenwerden als Nonne rettet und die Arme dem Leben und der Liebe
wiederschenkt. Bei aller Heiterkeit und Laune entbehrt dieses niedliche Geschichtchen
dennoch nicht des Ernstes: in den drei Figuren des Poggio, des Brigittchen,
der Gertrude sind, wie Meyer betont, „die historischen Bedingungen der Refor¬
mation in komischer Maske verkörpert: die Verweltlichung des hohen Klerus,
die Verlierung der Geistlichkeit und die ehrliche deutsche Volksnatur." — Die
andere auf einen heiteren, ja fast ausgelassenen Ton gestimmte Meyersche No¬
velle ist „Der Schuß von der Kanzel" — ein Schuß, der tatsächlich mitten
hinein in die feierliche Predigt von der Kanzel herabfällt und zwar durck, den
Schabernack eines offenbar von sieben Teufeln gerittenen höheren Offiziers
namens Wertmüller, der, wie der Dichter sagt, auf der Halbinsel An (bei Zürich)
„sein Wesen ä la Rübezahl treibt". Meyer, der mehr aufs Tragische ein¬
gestimmte Mensch, gesteht einmal, daß ihm „das tolle Zeug" dieser übermütigen
Novelle „eigentlich nicht zu Gesicht" stehe: „Mir individuell hinterläßt das
Komische immer einen bitteren Geschmack, während mich das Tragische erhöht
und beseligt. ..."
Das Tragische war das Element, in dem die Seele Konrad Ferdinand
Meyers sich gern ausbadete. Und so sind die meisten seiner Werke von einem
breiten und gewaltigen Strom tragischen Geschehens durchflossen, der nicht selten
einmündet in ein unergründliches Meer von Tragik, als welches sich ihm das
Leben mit seinen Aussichten in die Ewigkeit darstellt. Von solch tragischen
Verlaufen und Auslaufen des Lebens zeugen die beiden von wildem Kämpfen
erfüllten großen Novellen „Der Heilige" und „Jürg Jenatsch". Die erstere
stellt die Geschichte des historischen Th. Becket, nachmaligen Erzbischofs von
Canterbury, dar, der, erst ein ergebener Diener seines Herrn, nach seiner
Wahl zu einem Verfechter der Politik Roms wird, über die weltliche und
geistliche Jurisdiktionsbefugnis mit seinem König Heinrich dem Zweiten von
England in Konflikt gerät, auf dessen Anstiften in der Kathedrale von
Canterbury ermordet und vom Papste darauf heilig gesprochen wird.
Diese mehr politische Geschichte hat Meyer menschlich vertieft dadurch, daß er
Beckets einziges, fast noch unerblühtes Kind von dem König vergewaltigen und
dadurch „ruinieren" läßt. So entsteht „ein entsetzliches Ringen zwischen König
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |