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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Aonrad Ferdinand Meyer, der Novellist

Tubenstößen verkündet werden." Die großen, weltbewegenden Konflikte, das
Zusammenstoßen gewaltiger Leidenschaften, die psychologisch tiefe Erfassung seltener
Charaktere (die unter der historischen Maske immer moderne Menschen, das
heißt zusammengesetzte und oft höchst komplizierte Naturen sind), und endlich
die ethischen Grundlagen: dies sind die Gehalte, die der Dichter als Stücke seines
Ich in seine Werke hineinversenkt hat, und die es bei der Lektüre heraus¬
zuheben gilt.

Einer solchen Bemühung, die nicht gerade obenaus schwimmenden Werte
seiner Kunst sich ganz zu eigen zu machen, kommt Konrad Ferdinand Meyer
sowohl in Hinsicht der formalen wie der gehaltlichen Beschaffenheit selber ent¬
gegen: er ist in seinen zahlreichen Briefen nicht selten der Ausbeuter seiner
Dichtungen, der hier und da sogar recht einläßliche Analysen gibt. Es sei
daher versucht, an der Hand dieser Interpretationen und auf Grund eigener
Ansehung des Dichters Hauptwerke kurz zu erläutern.

"Huttens letzte Tage", der Erstling Meyers, der ihm Deutschlands ungeteilten
Beifall einbrachte (die Versdichtung wurde vollendet unter dem Eindruck des
Krieges 1870/71), ist nach des Schöpfers Worten "ans drei Elementen geboren:
aus einer jahrzehntelang genährten, individuellen Lebensstimmung, dem Eindruck
der heimatlichen, mir Seelenverwandten Landschaft und der Gewalt großer Zeit¬
ereignisse. Alle drei gewannen ganz von selber Gewalt in meinem Helden."
Die Dichtung als Ganzes, die im einzelnen aus einer Zahl von monologischen
Gesprächen des ans der Insel Ufenau im Zürichsee seinem Ende entgegengehenden
Hütten ist, zieht "das verwegene Leben des kühnen Streiters in den Rahmen
seiner letzten Tage zusammen", diese "füllend mit klaren Erinnerungen und
Ereignissen, geisterhaft und symbolisch, wie sie sich um einen Sterbenden bewegen,
mit einer ganzen Skala von Stimmungen: Hoffnung und Schwermut, Liebe
und Freude, heiliger Zorn und Todesgewißheit." Es sind "die Gefühle eines
Einsamen", die Meyer in Huttens Selbstgesprächen zu Worte kommen läßt --
er kannte die "zur Genüge", wie er bekennt, und war auch, gleich Hütten,
"Ghibelline von jung an."

Von blässerer Farbe und zarterem Ton ist das lyrische Epos "Engelberg",
das nach Meyers Worten "ein typisches Frauenschicksal, eine Art mittelalterlicher
Psyche" behandelt. Der Dichter pflegte dieses Werkchen mit Vorliebe und Absicht
den Frauen seines Bekanntenkreises zu schenken. Nicht besser hätte er jenen
Ausspruch symbolisch verstärken können: die Dichtung singt von der Tragik des
Frauenlebens, das in die Verlassensclmft der Mutter auszuklingen pflegt . . .

Noch eine andere Dichtung widmete Meyer der Frau: "Das Leiden eines
Knaben", jene Novelle, die in gedämpften, aber um desto ergreifenderen Tönen
schildert, wie ein still in sich verschlossener junger Mensch in einer Jesuitenschule
Ludwigs des Vierzehnten zu Tode gequält wird. Meyer hatte, wie diese
Gefühlsäußerungen zeigen, nicht die moderne Auffassung von der Frau. Aber
er kannte darum doch die Frau in der Naturgewaltigkeit ihrer Triebe und in


Aonrad Ferdinand Meyer, der Novellist

Tubenstößen verkündet werden." Die großen, weltbewegenden Konflikte, das
Zusammenstoßen gewaltiger Leidenschaften, die psychologisch tiefe Erfassung seltener
Charaktere (die unter der historischen Maske immer moderne Menschen, das
heißt zusammengesetzte und oft höchst komplizierte Naturen sind), und endlich
die ethischen Grundlagen: dies sind die Gehalte, die der Dichter als Stücke seines
Ich in seine Werke hineinversenkt hat, und die es bei der Lektüre heraus¬
zuheben gilt.

Einer solchen Bemühung, die nicht gerade obenaus schwimmenden Werte
seiner Kunst sich ganz zu eigen zu machen, kommt Konrad Ferdinand Meyer
sowohl in Hinsicht der formalen wie der gehaltlichen Beschaffenheit selber ent¬
gegen: er ist in seinen zahlreichen Briefen nicht selten der Ausbeuter seiner
Dichtungen, der hier und da sogar recht einläßliche Analysen gibt. Es sei
daher versucht, an der Hand dieser Interpretationen und auf Grund eigener
Ansehung des Dichters Hauptwerke kurz zu erläutern.

„Huttens letzte Tage", der Erstling Meyers, der ihm Deutschlands ungeteilten
Beifall einbrachte (die Versdichtung wurde vollendet unter dem Eindruck des
Krieges 1870/71), ist nach des Schöpfers Worten „ans drei Elementen geboren:
aus einer jahrzehntelang genährten, individuellen Lebensstimmung, dem Eindruck
der heimatlichen, mir Seelenverwandten Landschaft und der Gewalt großer Zeit¬
ereignisse. Alle drei gewannen ganz von selber Gewalt in meinem Helden."
Die Dichtung als Ganzes, die im einzelnen aus einer Zahl von monologischen
Gesprächen des ans der Insel Ufenau im Zürichsee seinem Ende entgegengehenden
Hütten ist, zieht „das verwegene Leben des kühnen Streiters in den Rahmen
seiner letzten Tage zusammen", diese „füllend mit klaren Erinnerungen und
Ereignissen, geisterhaft und symbolisch, wie sie sich um einen Sterbenden bewegen,
mit einer ganzen Skala von Stimmungen: Hoffnung und Schwermut, Liebe
und Freude, heiliger Zorn und Todesgewißheit." Es sind „die Gefühle eines
Einsamen", die Meyer in Huttens Selbstgesprächen zu Worte kommen läßt —
er kannte die „zur Genüge", wie er bekennt, und war auch, gleich Hütten,
„Ghibelline von jung an."

Von blässerer Farbe und zarterem Ton ist das lyrische Epos „Engelberg",
das nach Meyers Worten „ein typisches Frauenschicksal, eine Art mittelalterlicher
Psyche" behandelt. Der Dichter pflegte dieses Werkchen mit Vorliebe und Absicht
den Frauen seines Bekanntenkreises zu schenken. Nicht besser hätte er jenen
Ausspruch symbolisch verstärken können: die Dichtung singt von der Tragik des
Frauenlebens, das in die Verlassensclmft der Mutter auszuklingen pflegt . . .

Noch eine andere Dichtung widmete Meyer der Frau: „Das Leiden eines
Knaben", jene Novelle, die in gedämpften, aber um desto ergreifenderen Tönen
schildert, wie ein still in sich verschlossener junger Mensch in einer Jesuitenschule
Ludwigs des Vierzehnten zu Tode gequält wird. Meyer hatte, wie diese
Gefühlsäußerungen zeigen, nicht die moderne Auffassung von der Frau. Aber
er kannte darum doch die Frau in der Naturgewaltigkeit ihrer Triebe und in


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[0176] Aonrad Ferdinand Meyer, der Novellist Tubenstößen verkündet werden." Die großen, weltbewegenden Konflikte, das Zusammenstoßen gewaltiger Leidenschaften, die psychologisch tiefe Erfassung seltener Charaktere (die unter der historischen Maske immer moderne Menschen, das heißt zusammengesetzte und oft höchst komplizierte Naturen sind), und endlich die ethischen Grundlagen: dies sind die Gehalte, die der Dichter als Stücke seines Ich in seine Werke hineinversenkt hat, und die es bei der Lektüre heraus¬ zuheben gilt. Einer solchen Bemühung, die nicht gerade obenaus schwimmenden Werte seiner Kunst sich ganz zu eigen zu machen, kommt Konrad Ferdinand Meyer sowohl in Hinsicht der formalen wie der gehaltlichen Beschaffenheit selber ent¬ gegen: er ist in seinen zahlreichen Briefen nicht selten der Ausbeuter seiner Dichtungen, der hier und da sogar recht einläßliche Analysen gibt. Es sei daher versucht, an der Hand dieser Interpretationen und auf Grund eigener Ansehung des Dichters Hauptwerke kurz zu erläutern. „Huttens letzte Tage", der Erstling Meyers, der ihm Deutschlands ungeteilten Beifall einbrachte (die Versdichtung wurde vollendet unter dem Eindruck des Krieges 1870/71), ist nach des Schöpfers Worten „ans drei Elementen geboren: aus einer jahrzehntelang genährten, individuellen Lebensstimmung, dem Eindruck der heimatlichen, mir Seelenverwandten Landschaft und der Gewalt großer Zeit¬ ereignisse. Alle drei gewannen ganz von selber Gewalt in meinem Helden." Die Dichtung als Ganzes, die im einzelnen aus einer Zahl von monologischen Gesprächen des ans der Insel Ufenau im Zürichsee seinem Ende entgegengehenden Hütten ist, zieht „das verwegene Leben des kühnen Streiters in den Rahmen seiner letzten Tage zusammen", diese „füllend mit klaren Erinnerungen und Ereignissen, geisterhaft und symbolisch, wie sie sich um einen Sterbenden bewegen, mit einer ganzen Skala von Stimmungen: Hoffnung und Schwermut, Liebe und Freude, heiliger Zorn und Todesgewißheit." Es sind „die Gefühle eines Einsamen", die Meyer in Huttens Selbstgesprächen zu Worte kommen läßt — er kannte die „zur Genüge", wie er bekennt, und war auch, gleich Hütten, „Ghibelline von jung an." Von blässerer Farbe und zarterem Ton ist das lyrische Epos „Engelberg", das nach Meyers Worten „ein typisches Frauenschicksal, eine Art mittelalterlicher Psyche" behandelt. Der Dichter pflegte dieses Werkchen mit Vorliebe und Absicht den Frauen seines Bekanntenkreises zu schenken. Nicht besser hätte er jenen Ausspruch symbolisch verstärken können: die Dichtung singt von der Tragik des Frauenlebens, das in die Verlassensclmft der Mutter auszuklingen pflegt . . . Noch eine andere Dichtung widmete Meyer der Frau: „Das Leiden eines Knaben", jene Novelle, die in gedämpften, aber um desto ergreifenderen Tönen schildert, wie ein still in sich verschlossener junger Mensch in einer Jesuitenschule Ludwigs des Vierzehnten zu Tode gequält wird. Meyer hatte, wie diese Gefühlsäußerungen zeigen, nicht die moderne Auffassung von der Frau. Aber er kannte darum doch die Frau in der Naturgewaltigkeit ihrer Triebe und in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/176>, abgerufen am 24.08.2024.