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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Ritualmord und Blutaberglaube

findung in dieser oder jener Hinsicht wichtigen Personen vorkommen können,
und auch tatsächlich vorkommen. Insbesondere darf man nicht vergessen, daß
auch Sachverständige und auch die Richter nur Menschen sind, und als solche
gleichfalls dem Irrtum unterworfen sind, wenngleich ihre in der Regel vor¬
handene technische Schulung und lange Erfahrung sie in höherem Grade ge¬
eignet macht, sich vor Beobachtungsfehlern und ähnlichen Quellen des Irrtums
zu bewahren, als dies Laien möglich ist.

Gerade für die Psychologie der Befangenheit der Sachverständigen geben
die neueren Ritualmordprozesse höchst bemerkenswerte Beispiele. Sowohl in
dem Xantener Fall, als auch bei dem Konitzer Mord und in dem Polnaer
Prozeß sind anfangs Sachverständige aufgetreten, welche glaubten, die Fest¬
stellung machen zu können, daß der ganzen Sachlage nach nur ein geringer
Teil desjenigen Blutes, das in der Leiche normalerweise vorhanden sein
müßte, am Fundort der Leiche nachweisbar sei, und die daraus den Schluß
zogen, daß es dem Täter aller Wahrscheinlichkeit nach auf die Gewinnung des
Blutes angekommen sei. Erst durch die Gutachten erster Autoritäten auf diesem
Gebiete, insbesondere des Medizinalkollegiums zu Koblenz, der Königlichen
wissenschaftlichen Deputation für das Medizinalwesen zu Berlin sowie der
Tschechischen medizinischen Fakultät zu Prag, wurde die Hinfälligkeit dieser
Annahme und damit das Fehlen eines jeden Anhaltspunltes für die Mut¬
maßung eines Ritualmordes erwiesen.

Wenn wir nunmehr die Frage aufwerfen, ob denn bei den immer wieder¬
kehrenden Blutbeschuldigungen es sich wirklich immer nur um Hirngespinste ge¬
handelt hat, so werden wir diese Frage meines Trachtens unbedingt verneinen
müssen, da der Aberglaube ein Erbteil der Menschheit ist. Gerade die neueren
volkskundlichen Forschungen haben den Nachweis erbracht, daß man zu allen
Zeiten und bei allen Völkern abergläubischen Meinungen in Hülle und Fülle
begegnet.

Bezüglich der Juden hat man allerdings mit einem gewissen Schein von
Recht darauf hingewiesen, es sei doch zum mindesten sehr unwahrscheinlich,
daß sie in einem Blutaberglauben befangen seien könnten, da durch das
Religionsgesetz der Blutgenuß ihnen verboten sei. Dies Verbot bezieht sich
seinem Wortlaute nach nur auf Tierblut, und vor allem ist auch nur der
Genuß des Blutes verboten, nicht dagegen die Verwendung des Blutes zu
irgendwelchen anderen Zwecken, beispielsweise, um einen Kranken damit zu
bestreichen oder irgendein Zaubermittel daraus zu bereiten. -- Es handelt sich
bei den abergläubischen Anschauungen über die besondere Heilkraft oder Zauber¬
kraft des Blutes eben um eine allgemein menschliche Erscheinung, die wir
bei allen Völkern nachweisen können,

Aber auch wenn man hiervon absieht, wird man dem Verbote des Blut¬
genusses kein allzu großes Gewicht beilegen dürfen. Es ist zweifellos, daß auch
deH Meineid in den jüdischen Religionsbüchern auf das schwerste verpönt wird,


Ritualmord und Blutaberglaube

findung in dieser oder jener Hinsicht wichtigen Personen vorkommen können,
und auch tatsächlich vorkommen. Insbesondere darf man nicht vergessen, daß
auch Sachverständige und auch die Richter nur Menschen sind, und als solche
gleichfalls dem Irrtum unterworfen sind, wenngleich ihre in der Regel vor¬
handene technische Schulung und lange Erfahrung sie in höherem Grade ge¬
eignet macht, sich vor Beobachtungsfehlern und ähnlichen Quellen des Irrtums
zu bewahren, als dies Laien möglich ist.

Gerade für die Psychologie der Befangenheit der Sachverständigen geben
die neueren Ritualmordprozesse höchst bemerkenswerte Beispiele. Sowohl in
dem Xantener Fall, als auch bei dem Konitzer Mord und in dem Polnaer
Prozeß sind anfangs Sachverständige aufgetreten, welche glaubten, die Fest¬
stellung machen zu können, daß der ganzen Sachlage nach nur ein geringer
Teil desjenigen Blutes, das in der Leiche normalerweise vorhanden sein
müßte, am Fundort der Leiche nachweisbar sei, und die daraus den Schluß
zogen, daß es dem Täter aller Wahrscheinlichkeit nach auf die Gewinnung des
Blutes angekommen sei. Erst durch die Gutachten erster Autoritäten auf diesem
Gebiete, insbesondere des Medizinalkollegiums zu Koblenz, der Königlichen
wissenschaftlichen Deputation für das Medizinalwesen zu Berlin sowie der
Tschechischen medizinischen Fakultät zu Prag, wurde die Hinfälligkeit dieser
Annahme und damit das Fehlen eines jeden Anhaltspunltes für die Mut¬
maßung eines Ritualmordes erwiesen.

Wenn wir nunmehr die Frage aufwerfen, ob denn bei den immer wieder¬
kehrenden Blutbeschuldigungen es sich wirklich immer nur um Hirngespinste ge¬
handelt hat, so werden wir diese Frage meines Trachtens unbedingt verneinen
müssen, da der Aberglaube ein Erbteil der Menschheit ist. Gerade die neueren
volkskundlichen Forschungen haben den Nachweis erbracht, daß man zu allen
Zeiten und bei allen Völkern abergläubischen Meinungen in Hülle und Fülle
begegnet.

Bezüglich der Juden hat man allerdings mit einem gewissen Schein von
Recht darauf hingewiesen, es sei doch zum mindesten sehr unwahrscheinlich,
daß sie in einem Blutaberglauben befangen seien könnten, da durch das
Religionsgesetz der Blutgenuß ihnen verboten sei. Dies Verbot bezieht sich
seinem Wortlaute nach nur auf Tierblut, und vor allem ist auch nur der
Genuß des Blutes verboten, nicht dagegen die Verwendung des Blutes zu
irgendwelchen anderen Zwecken, beispielsweise, um einen Kranken damit zu
bestreichen oder irgendein Zaubermittel daraus zu bereiten. — Es handelt sich
bei den abergläubischen Anschauungen über die besondere Heilkraft oder Zauber¬
kraft des Blutes eben um eine allgemein menschliche Erscheinung, die wir
bei allen Völkern nachweisen können,

Aber auch wenn man hiervon absieht, wird man dem Verbote des Blut¬
genusses kein allzu großes Gewicht beilegen dürfen. Es ist zweifellos, daß auch
deH Meineid in den jüdischen Religionsbüchern auf das schwerste verpönt wird,


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[0170] Ritualmord und Blutaberglaube findung in dieser oder jener Hinsicht wichtigen Personen vorkommen können, und auch tatsächlich vorkommen. Insbesondere darf man nicht vergessen, daß auch Sachverständige und auch die Richter nur Menschen sind, und als solche gleichfalls dem Irrtum unterworfen sind, wenngleich ihre in der Regel vor¬ handene technische Schulung und lange Erfahrung sie in höherem Grade ge¬ eignet macht, sich vor Beobachtungsfehlern und ähnlichen Quellen des Irrtums zu bewahren, als dies Laien möglich ist. Gerade für die Psychologie der Befangenheit der Sachverständigen geben die neueren Ritualmordprozesse höchst bemerkenswerte Beispiele. Sowohl in dem Xantener Fall, als auch bei dem Konitzer Mord und in dem Polnaer Prozeß sind anfangs Sachverständige aufgetreten, welche glaubten, die Fest¬ stellung machen zu können, daß der ganzen Sachlage nach nur ein geringer Teil desjenigen Blutes, das in der Leiche normalerweise vorhanden sein müßte, am Fundort der Leiche nachweisbar sei, und die daraus den Schluß zogen, daß es dem Täter aller Wahrscheinlichkeit nach auf die Gewinnung des Blutes angekommen sei. Erst durch die Gutachten erster Autoritäten auf diesem Gebiete, insbesondere des Medizinalkollegiums zu Koblenz, der Königlichen wissenschaftlichen Deputation für das Medizinalwesen zu Berlin sowie der Tschechischen medizinischen Fakultät zu Prag, wurde die Hinfälligkeit dieser Annahme und damit das Fehlen eines jeden Anhaltspunltes für die Mut¬ maßung eines Ritualmordes erwiesen. Wenn wir nunmehr die Frage aufwerfen, ob denn bei den immer wieder¬ kehrenden Blutbeschuldigungen es sich wirklich immer nur um Hirngespinste ge¬ handelt hat, so werden wir diese Frage meines Trachtens unbedingt verneinen müssen, da der Aberglaube ein Erbteil der Menschheit ist. Gerade die neueren volkskundlichen Forschungen haben den Nachweis erbracht, daß man zu allen Zeiten und bei allen Völkern abergläubischen Meinungen in Hülle und Fülle begegnet. Bezüglich der Juden hat man allerdings mit einem gewissen Schein von Recht darauf hingewiesen, es sei doch zum mindesten sehr unwahrscheinlich, daß sie in einem Blutaberglauben befangen seien könnten, da durch das Religionsgesetz der Blutgenuß ihnen verboten sei. Dies Verbot bezieht sich seinem Wortlaute nach nur auf Tierblut, und vor allem ist auch nur der Genuß des Blutes verboten, nicht dagegen die Verwendung des Blutes zu irgendwelchen anderen Zwecken, beispielsweise, um einen Kranken damit zu bestreichen oder irgendein Zaubermittel daraus zu bereiten. — Es handelt sich bei den abergläubischen Anschauungen über die besondere Heilkraft oder Zauber¬ kraft des Blutes eben um eine allgemein menschliche Erscheinung, die wir bei allen Völkern nachweisen können, Aber auch wenn man hiervon absieht, wird man dem Verbote des Blut¬ genusses kein allzu großes Gewicht beilegen dürfen. Es ist zweifellos, daß auch deH Meineid in den jüdischen Religionsbüchern auf das schwerste verpönt wird,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/170>, abgerufen am 29.07.2024.