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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Staates, mit den Grundprinzipien der Bündnisverträge und der Reichsverfassung
nicht vereinbar sei."

Dieser Bundesratsbeschluß, der die Grundlage der ganzen Frage bildet,
enthält keine bestimmte Forderung über die Form und Art, wie das die Be¬
hinderung bildende Verhältnis geändert oder beseitigt werden könnte. Der
Herzog von Cumberland selbst aber hat in den folgenden Jahren keinen Schritt
getan, der irgendeine Änderung begründet hätte. Nur seine Bereitwilligkeit,
die Reichsverfassung anzuerkennen, hat er einige Jahre später ausgesprochen,
aber in einem Sinne, der sich mit dem vom Bundesrat aufgestellten Begriff
nicht in allen Konsequenzen deckte. So ist es nicht zu verwundern, daß der
im Jahre 1906 nach dem Tode des ersten Regenten von Braunschweig,
Prinzen Albrecht von Preußen, unternommene Versuch des Herzogs, den Thron
von Braunschweig wenigstens für sein Haus zu gewinnen, ohne selbst auf
Hannover verzichten zu müssen, eine Ablehnung erfuhr, die den neuen Bundes¬
ratsbeschluß (vom 28. Februar 1907) als eine Verschärfung des früheren er¬
scheinen läßt. Der Herzog von Cumberland hatte am 2. Oktober 1906 an
den Kaiser folgendes geschrieben:

"Es ist mein Wunsch, eine endgültige Ordnung der Regierungsverhältnisse
im Herzogtum Braunschweig auf dem Wege herbeigeführt zu sehen, daß ich und
mein ältester Sohn, Prinz Georg Wilhelm, unsere Rechte auf die Regierung
im Herzogtum auf meinen jüngsten, nach dem braunschweigischen Hausgesctz
volljährigen Sohn, den Prinzen Ernst August, übertragen, und daß dieser
als Herzog die Negierung übernehme. Mir und meinem ältesten Sohns,
sowie dessen Deszendenz würde die Sukzession in Braunschweig für den Fall
vorbehalten bleiben, daß die Linie meines jüngsten Sohnes erlöschen
sollte."

Nach Versicherung von eingeweihten und hinsichtlich ihrer Zuverlässigkeit
und Ehrenhaftigkeit nicht anzuzweifelnden Parteigängern des Weifenhauses war
dieses Schreiben so gedacht, daß es den Prinzen Ernst August gewissermaßen aus
dem Bereich der Ansprüche auf Hannover herausheben und ihm dadurch die
Thronbesteigung in Braunschweig ermöglichen sollte. Denn der Herzog ging
von dem Gedanken aus, daß er ein alter Mann sei und Prinz Georg
Wilhelm bei seinem Gesundheitszustand keine Hoffnung auf Nachkommenschaft
habe. Aber der Herzog und seine Ratgeber hatten den Eindruck des
Schreibens nach außen falsch berechnet. Hatten sie gemeint, der Aufrechterhaltung
der Ansprüche auf Hannover durch ihre Beschränkung auf den Herzog und
seinen ältesten Sohn das Bedenkliche nehmen zu können und dem Prinzen Ernst
August dafür freie Bahn zu schaffen, so war die Wirkung eine ganz andere.
Man glaubte darin die Absicht zu sehen, in der Form einer scheinbaren Be¬
friedigung der Forderung des Bundesrath das Festhalten an den hannoverschen
Ansprüchen in verschleierter Form erst recht zu betonen. Manches, was damals
hinter den Kulissen spielte, schien diesen Eindruck noch zu bekräftigen. In


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Staates, mit den Grundprinzipien der Bündnisverträge und der Reichsverfassung
nicht vereinbar sei."

Dieser Bundesratsbeschluß, der die Grundlage der ganzen Frage bildet,
enthält keine bestimmte Forderung über die Form und Art, wie das die Be¬
hinderung bildende Verhältnis geändert oder beseitigt werden könnte. Der
Herzog von Cumberland selbst aber hat in den folgenden Jahren keinen Schritt
getan, der irgendeine Änderung begründet hätte. Nur seine Bereitwilligkeit,
die Reichsverfassung anzuerkennen, hat er einige Jahre später ausgesprochen,
aber in einem Sinne, der sich mit dem vom Bundesrat aufgestellten Begriff
nicht in allen Konsequenzen deckte. So ist es nicht zu verwundern, daß der
im Jahre 1906 nach dem Tode des ersten Regenten von Braunschweig,
Prinzen Albrecht von Preußen, unternommene Versuch des Herzogs, den Thron
von Braunschweig wenigstens für sein Haus zu gewinnen, ohne selbst auf
Hannover verzichten zu müssen, eine Ablehnung erfuhr, die den neuen Bundes¬
ratsbeschluß (vom 28. Februar 1907) als eine Verschärfung des früheren er¬
scheinen läßt. Der Herzog von Cumberland hatte am 2. Oktober 1906 an
den Kaiser folgendes geschrieben:

„Es ist mein Wunsch, eine endgültige Ordnung der Regierungsverhältnisse
im Herzogtum Braunschweig auf dem Wege herbeigeführt zu sehen, daß ich und
mein ältester Sohn, Prinz Georg Wilhelm, unsere Rechte auf die Regierung
im Herzogtum auf meinen jüngsten, nach dem braunschweigischen Hausgesctz
volljährigen Sohn, den Prinzen Ernst August, übertragen, und daß dieser
als Herzog die Negierung übernehme. Mir und meinem ältesten Sohns,
sowie dessen Deszendenz würde die Sukzession in Braunschweig für den Fall
vorbehalten bleiben, daß die Linie meines jüngsten Sohnes erlöschen
sollte."

Nach Versicherung von eingeweihten und hinsichtlich ihrer Zuverlässigkeit
und Ehrenhaftigkeit nicht anzuzweifelnden Parteigängern des Weifenhauses war
dieses Schreiben so gedacht, daß es den Prinzen Ernst August gewissermaßen aus
dem Bereich der Ansprüche auf Hannover herausheben und ihm dadurch die
Thronbesteigung in Braunschweig ermöglichen sollte. Denn der Herzog ging
von dem Gedanken aus, daß er ein alter Mann sei und Prinz Georg
Wilhelm bei seinem Gesundheitszustand keine Hoffnung auf Nachkommenschaft
habe. Aber der Herzog und seine Ratgeber hatten den Eindruck des
Schreibens nach außen falsch berechnet. Hatten sie gemeint, der Aufrechterhaltung
der Ansprüche auf Hannover durch ihre Beschränkung auf den Herzog und
seinen ältesten Sohn das Bedenkliche nehmen zu können und dem Prinzen Ernst
August dafür freie Bahn zu schaffen, so war die Wirkung eine ganz andere.
Man glaubte darin die Absicht zu sehen, in der Form einer scheinbaren Be¬
friedigung der Forderung des Bundesrath das Festhalten an den hannoverschen
Ansprüchen in verschleierter Form erst recht zu betonen. Manches, was damals
hinter den Kulissen spielte, schien diesen Eindruck noch zu bekräftigen. In


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[0148] Reichsspiegel Staates, mit den Grundprinzipien der Bündnisverträge und der Reichsverfassung nicht vereinbar sei." Dieser Bundesratsbeschluß, der die Grundlage der ganzen Frage bildet, enthält keine bestimmte Forderung über die Form und Art, wie das die Be¬ hinderung bildende Verhältnis geändert oder beseitigt werden könnte. Der Herzog von Cumberland selbst aber hat in den folgenden Jahren keinen Schritt getan, der irgendeine Änderung begründet hätte. Nur seine Bereitwilligkeit, die Reichsverfassung anzuerkennen, hat er einige Jahre später ausgesprochen, aber in einem Sinne, der sich mit dem vom Bundesrat aufgestellten Begriff nicht in allen Konsequenzen deckte. So ist es nicht zu verwundern, daß der im Jahre 1906 nach dem Tode des ersten Regenten von Braunschweig, Prinzen Albrecht von Preußen, unternommene Versuch des Herzogs, den Thron von Braunschweig wenigstens für sein Haus zu gewinnen, ohne selbst auf Hannover verzichten zu müssen, eine Ablehnung erfuhr, die den neuen Bundes¬ ratsbeschluß (vom 28. Februar 1907) als eine Verschärfung des früheren er¬ scheinen läßt. Der Herzog von Cumberland hatte am 2. Oktober 1906 an den Kaiser folgendes geschrieben: „Es ist mein Wunsch, eine endgültige Ordnung der Regierungsverhältnisse im Herzogtum Braunschweig auf dem Wege herbeigeführt zu sehen, daß ich und mein ältester Sohn, Prinz Georg Wilhelm, unsere Rechte auf die Regierung im Herzogtum auf meinen jüngsten, nach dem braunschweigischen Hausgesctz volljährigen Sohn, den Prinzen Ernst August, übertragen, und daß dieser als Herzog die Negierung übernehme. Mir und meinem ältesten Sohns, sowie dessen Deszendenz würde die Sukzession in Braunschweig für den Fall vorbehalten bleiben, daß die Linie meines jüngsten Sohnes erlöschen sollte." Nach Versicherung von eingeweihten und hinsichtlich ihrer Zuverlässigkeit und Ehrenhaftigkeit nicht anzuzweifelnden Parteigängern des Weifenhauses war dieses Schreiben so gedacht, daß es den Prinzen Ernst August gewissermaßen aus dem Bereich der Ansprüche auf Hannover herausheben und ihm dadurch die Thronbesteigung in Braunschweig ermöglichen sollte. Denn der Herzog ging von dem Gedanken aus, daß er ein alter Mann sei und Prinz Georg Wilhelm bei seinem Gesundheitszustand keine Hoffnung auf Nachkommenschaft habe. Aber der Herzog und seine Ratgeber hatten den Eindruck des Schreibens nach außen falsch berechnet. Hatten sie gemeint, der Aufrechterhaltung der Ansprüche auf Hannover durch ihre Beschränkung auf den Herzog und seinen ältesten Sohn das Bedenkliche nehmen zu können und dem Prinzen Ernst August dafür freie Bahn zu schaffen, so war die Wirkung eine ganz andere. Man glaubte darin die Absicht zu sehen, in der Form einer scheinbaren Be¬ friedigung der Forderung des Bundesrath das Festhalten an den hannoverschen Ansprüchen in verschleierter Form erst recht zu betonen. Manches, was damals hinter den Kulissen spielte, schien diesen Eindruck noch zu bekräftigen. In

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/148>, abgerufen am 27.07.2024.