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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Reisebriefe

gerade der frischste und lustigste von uns allen, ein famoser, elastischer, alter¬
loser Bursch, der sich in Indien und Peru mit Tid und Teufel herumgeschlagen
hatte.

Noch kamen sie alle getrennt, und jedem sah man den Ärger über die
kommende Haft an.

Wer siehe da: noch in derselben Nacht hatten wir uns gefunden. Um
12 Uhr standen wir, weiß Gott, wie es kam, alle im Nachtgewand und furchtbar
anzusehen in unserem Zorn auf dem Korridor und brachten die skatspielenden
Deutschen zwangsweise zur Ruh. Durch Lichtlöschen und Wassergüsse.

Der gemeinsame Krieg hatte uns geeint. Und am nächsten Tage war uns
diese höllenheiße Teufelsinsel Ekeby und wir waren seine Kavaliere, die in Jubel
und Trubel Langweile und Heimweh totschlugen und diese würdige Uankee-
quarantäne auf den Kopf stellten.

Da wurde gezecht und Reden gehalten wie in einem Pariser Boulevard¬
cafe. Und ein Zirkus wurde aufgebaut, in dem ein Jongleur auftrat, in dem
Herrn Nazurs Harem (mit unseren bartlosen Gesichtern trefflich dargestellt) eine
unverschämt feierliche Pantomime aufführte. Da gab es Wettboxen und Preis¬
springen. Und am kühlen Abend Wettläufe nackt am mondbeschienenen Strand,
wie einst im eiskalten Nordwest bei Ritter. Und da gab es ein großes Preis-
schteßen nach Rotweinflaschen, die der Schotte, der Franzose und ich unter wür¬
digen Reden leer tranken.

Wir waren gute Kameraden, wir acht. Wir wußten wohl, daß morgen
schon ein Krieg in Europa uns zu Feinden machen konnte. Wir hatten sicher
sehr divergierende politische Ansichten. Und glitten doch klug über alles fort,
was uns trennen konnte. Wir haben gezecht und gelacht und gesungen, aber
keiner mutete dem anderen eine sentimentale Freundschaft zu. Wir wußten
wohl, daß wir nach einer Woche uns alle würden vergessen haben, daß jeden
das Leben seinen Weg führen würde. Und doch haben wir diese Tage lustig
totgeschlagen und dieser weltverlassenen Insel unser Leben aufgezwungen.

Als wir frei wurden, haben wir dem wohlanständig amerikanischen Zug
von Panama nach Colon zu nie gekanntem Leben verholfen. Und haben auch
in Colon noch gute Kameradschaft gehalten, einer dem anderen nach Kräften
geholfen, wo es nötig war. Haben Niggerpolizisten geärgert, die Heilsarmee
gegen uns mobil gemacht und in den mondbeschienenen Spaniergassen Colons
dem schönsten Mädchen ein Ständchen gesungen. Und noch jeden von uns,
als ein Dampfer nach dem andern auslief, treu und lustig an Bord gebracht.
Ohne sentimentalen Abschied. Zuletzt blieb der alte Franzos übrig und ich.
Der eine feierte den Abschied mit Absunth, der andere mit ernsterem
Rotwein.

Heute sind wir alle verstoben. Der eine.wird bei Punta Arenas Schafe
züchten, der andere in Paris Louvrebilder kopieren. Der Engländer wird in
Indien Tiger schießen und der Franzose in Martinique Tunnel bauen.
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Grenzboten IV 1913
Reisebriefe

gerade der frischste und lustigste von uns allen, ein famoser, elastischer, alter¬
loser Bursch, der sich in Indien und Peru mit Tid und Teufel herumgeschlagen
hatte.

Noch kamen sie alle getrennt, und jedem sah man den Ärger über die
kommende Haft an.

Wer siehe da: noch in derselben Nacht hatten wir uns gefunden. Um
12 Uhr standen wir, weiß Gott, wie es kam, alle im Nachtgewand und furchtbar
anzusehen in unserem Zorn auf dem Korridor und brachten die skatspielenden
Deutschen zwangsweise zur Ruh. Durch Lichtlöschen und Wassergüsse.

Der gemeinsame Krieg hatte uns geeint. Und am nächsten Tage war uns
diese höllenheiße Teufelsinsel Ekeby und wir waren seine Kavaliere, die in Jubel
und Trubel Langweile und Heimweh totschlugen und diese würdige Uankee-
quarantäne auf den Kopf stellten.

Da wurde gezecht und Reden gehalten wie in einem Pariser Boulevard¬
cafe. Und ein Zirkus wurde aufgebaut, in dem ein Jongleur auftrat, in dem
Herrn Nazurs Harem (mit unseren bartlosen Gesichtern trefflich dargestellt) eine
unverschämt feierliche Pantomime aufführte. Da gab es Wettboxen und Preis¬
springen. Und am kühlen Abend Wettläufe nackt am mondbeschienenen Strand,
wie einst im eiskalten Nordwest bei Ritter. Und da gab es ein großes Preis-
schteßen nach Rotweinflaschen, die der Schotte, der Franzose und ich unter wür¬
digen Reden leer tranken.

Wir waren gute Kameraden, wir acht. Wir wußten wohl, daß morgen
schon ein Krieg in Europa uns zu Feinden machen konnte. Wir hatten sicher
sehr divergierende politische Ansichten. Und glitten doch klug über alles fort,
was uns trennen konnte. Wir haben gezecht und gelacht und gesungen, aber
keiner mutete dem anderen eine sentimentale Freundschaft zu. Wir wußten
wohl, daß wir nach einer Woche uns alle würden vergessen haben, daß jeden
das Leben seinen Weg führen würde. Und doch haben wir diese Tage lustig
totgeschlagen und dieser weltverlassenen Insel unser Leben aufgezwungen.

Als wir frei wurden, haben wir dem wohlanständig amerikanischen Zug
von Panama nach Colon zu nie gekanntem Leben verholfen. Und haben auch
in Colon noch gute Kameradschaft gehalten, einer dem anderen nach Kräften
geholfen, wo es nötig war. Haben Niggerpolizisten geärgert, die Heilsarmee
gegen uns mobil gemacht und in den mondbeschienenen Spaniergassen Colons
dem schönsten Mädchen ein Ständchen gesungen. Und noch jeden von uns,
als ein Dampfer nach dem andern auslief, treu und lustig an Bord gebracht.
Ohne sentimentalen Abschied. Zuletzt blieb der alte Franzos übrig und ich.
Der eine feierte den Abschied mit Absunth, der andere mit ernsterem
Rotwein.

Heute sind wir alle verstoben. Der eine.wird bei Punta Arenas Schafe
züchten, der andere in Paris Louvrebilder kopieren. Der Engländer wird in
Indien Tiger schießen und der Franzose in Martinique Tunnel bauen.
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Grenzboten IV 1913
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[0141] Reisebriefe gerade der frischste und lustigste von uns allen, ein famoser, elastischer, alter¬ loser Bursch, der sich in Indien und Peru mit Tid und Teufel herumgeschlagen hatte. Noch kamen sie alle getrennt, und jedem sah man den Ärger über die kommende Haft an. Wer siehe da: noch in derselben Nacht hatten wir uns gefunden. Um 12 Uhr standen wir, weiß Gott, wie es kam, alle im Nachtgewand und furchtbar anzusehen in unserem Zorn auf dem Korridor und brachten die skatspielenden Deutschen zwangsweise zur Ruh. Durch Lichtlöschen und Wassergüsse. Der gemeinsame Krieg hatte uns geeint. Und am nächsten Tage war uns diese höllenheiße Teufelsinsel Ekeby und wir waren seine Kavaliere, die in Jubel und Trubel Langweile und Heimweh totschlugen und diese würdige Uankee- quarantäne auf den Kopf stellten. Da wurde gezecht und Reden gehalten wie in einem Pariser Boulevard¬ cafe. Und ein Zirkus wurde aufgebaut, in dem ein Jongleur auftrat, in dem Herrn Nazurs Harem (mit unseren bartlosen Gesichtern trefflich dargestellt) eine unverschämt feierliche Pantomime aufführte. Da gab es Wettboxen und Preis¬ springen. Und am kühlen Abend Wettläufe nackt am mondbeschienenen Strand, wie einst im eiskalten Nordwest bei Ritter. Und da gab es ein großes Preis- schteßen nach Rotweinflaschen, die der Schotte, der Franzose und ich unter wür¬ digen Reden leer tranken. Wir waren gute Kameraden, wir acht. Wir wußten wohl, daß morgen schon ein Krieg in Europa uns zu Feinden machen konnte. Wir hatten sicher sehr divergierende politische Ansichten. Und glitten doch klug über alles fort, was uns trennen konnte. Wir haben gezecht und gelacht und gesungen, aber keiner mutete dem anderen eine sentimentale Freundschaft zu. Wir wußten wohl, daß wir nach einer Woche uns alle würden vergessen haben, daß jeden das Leben seinen Weg führen würde. Und doch haben wir diese Tage lustig totgeschlagen und dieser weltverlassenen Insel unser Leben aufgezwungen. Als wir frei wurden, haben wir dem wohlanständig amerikanischen Zug von Panama nach Colon zu nie gekanntem Leben verholfen. Und haben auch in Colon noch gute Kameradschaft gehalten, einer dem anderen nach Kräften geholfen, wo es nötig war. Haben Niggerpolizisten geärgert, die Heilsarmee gegen uns mobil gemacht und in den mondbeschienenen Spaniergassen Colons dem schönsten Mädchen ein Ständchen gesungen. Und noch jeden von uns, als ein Dampfer nach dem andern auslief, treu und lustig an Bord gebracht. Ohne sentimentalen Abschied. Zuletzt blieb der alte Franzos übrig und ich. Der eine feierte den Abschied mit Absunth, der andere mit ernsterem Rotwein. Heute sind wir alle verstoben. Der eine.wird bei Punta Arenas Schafe züchten, der andere in Paris Louvrebilder kopieren. Der Engländer wird in Indien Tiger schießen und der Franzose in Martinique Tunnel bauen. 9 Grenzboten IV 1913

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/141>, abgerufen am 06.07.2024.