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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Reiscbriefe

leichtgebauten Haus alle übrigen aus dem Schlaf und schwitzt übelriechend das
unentbehrliche Bier aus. Aber gewiß, es ist ein unumstößliches Dogma: nur
deshalb ist der Deutsche im Ausland so verhaßt, weil man ihn so ungeheuer
beneidet. Ohne Zweifel.

Übrigens war einer dieser Herren ein Spanier, so stand es im Hotelbuch.
Merkwürdig, Juden gibt es nun bald überhaupt nicht mehr. Es gibt nur noch
Griechen, Italiener, Perser. Sehr beliebt ist es, Armenier zu sein. Und im
Notfalle ist man Türke. Oder Bulgare. Aber Juden? Überwundener Stand¬
punkt! Auf dieselbe Weise (und aus demselben Grunde stirbt auch der alte
schöne Name Cohn aus nebst seiner K-Variante). Wer heißt heute noch
Kohn? Man heißt eben Kaau, Kan, Kahn. Sehr beliebt ist auch Kober
und Kahane.

Dieser Herr war, wie gesagt, ein Spanier, Andalusier pur 8unZ.
Na ja.

Was ich tat? Was jeder in meiner Situation getan hätte. Ich pendelte
zwischen Ärger und Langeweile hin und her. Den Rest des Tages, wenn über
Colunibien das allabendliche Gewitter niedergegangen war, ging ich an die See.
An den ewig bleiernen, schläfrigen Pacific dieser Glutbreiten, der nichts von
der. nordischen Herbheit des Atlantik hat. Und ich suchte Muscheln oder träumte
von Europa oder sah den Sprengarbeiten drüben am Kanal zu und freute
mich, wenn die Sprengstücke in wundervollem Bogen die Luft durchschnitten und
mit mächtigen Spritzgarben im Wasser aufschlugen.

Und so ward aus solch müden Zeittotschlagen und einer (dank deutscher
Rücksichtnahme schlaflosen) Nacht der erste Tag.

Und dann kam es so, wie es so oft geht in diesem Torenleben: mau ist
verdrießlich über irgendeine Situation, zählt die Stunden, die sie noch andauern
wird: und dann kommt plötzlich, aus irdendeiner Ecke die Fügung und macht
aus solcher Lethargie einen Freudentag.

So war es auch hier. Am Südhimmel war eine Wolke zu sehen. Und
aus der Wolke wurde der Perudampfer "Urubamba". Und vom Dampfer
"Urubamba" kamen neue Quarantänesträflinge, Menschen, die mir das Andenken
an diese Tage lieb machen.

Sie kamen alle brav nacheinander den Landungssteg hinauf: der kleine,
schwarze Belgier, Tyll Ulenspiegels lustiges Ebenbild. Der flinke, liebenswürdige
Spanier, dieses Mal ein echter, von gutem, toledanischen Blut. Der kleine
Ecuadorianer, der Quito mit Paris vertauschen will, und dem wir hinterher
das beginnende Heimweh weglachen mußten. Da war ein Schweizer und Herr
Nazur, der Türke mit den Augen, die immer zu weinen schienen. Und ein
alter Franzos stieg gemächlich hinauf, ein ganz altmodischer Typ rin köstlich
verschmitzten Äuglein und dem unerschöpflichen Schatz allerliebster zweischneidiger
Bonmots. Zum Schluß aber kam ein langes, feierliches Lineal, Herr Mac
Dougal aus Schottland, ernst und würdig anzusehen. Und dabei wurde er


Reiscbriefe

leichtgebauten Haus alle übrigen aus dem Schlaf und schwitzt übelriechend das
unentbehrliche Bier aus. Aber gewiß, es ist ein unumstößliches Dogma: nur
deshalb ist der Deutsche im Ausland so verhaßt, weil man ihn so ungeheuer
beneidet. Ohne Zweifel.

Übrigens war einer dieser Herren ein Spanier, so stand es im Hotelbuch.
Merkwürdig, Juden gibt es nun bald überhaupt nicht mehr. Es gibt nur noch
Griechen, Italiener, Perser. Sehr beliebt ist es, Armenier zu sein. Und im
Notfalle ist man Türke. Oder Bulgare. Aber Juden? Überwundener Stand¬
punkt! Auf dieselbe Weise (und aus demselben Grunde stirbt auch der alte
schöne Name Cohn aus nebst seiner K-Variante). Wer heißt heute noch
Kohn? Man heißt eben Kaau, Kan, Kahn. Sehr beliebt ist auch Kober
und Kahane.

Dieser Herr war, wie gesagt, ein Spanier, Andalusier pur 8unZ.
Na ja.

Was ich tat? Was jeder in meiner Situation getan hätte. Ich pendelte
zwischen Ärger und Langeweile hin und her. Den Rest des Tages, wenn über
Colunibien das allabendliche Gewitter niedergegangen war, ging ich an die See.
An den ewig bleiernen, schläfrigen Pacific dieser Glutbreiten, der nichts von
der. nordischen Herbheit des Atlantik hat. Und ich suchte Muscheln oder träumte
von Europa oder sah den Sprengarbeiten drüben am Kanal zu und freute
mich, wenn die Sprengstücke in wundervollem Bogen die Luft durchschnitten und
mit mächtigen Spritzgarben im Wasser aufschlugen.

Und so ward aus solch müden Zeittotschlagen und einer (dank deutscher
Rücksichtnahme schlaflosen) Nacht der erste Tag.

Und dann kam es so, wie es so oft geht in diesem Torenleben: mau ist
verdrießlich über irgendeine Situation, zählt die Stunden, die sie noch andauern
wird: und dann kommt plötzlich, aus irdendeiner Ecke die Fügung und macht
aus solcher Lethargie einen Freudentag.

So war es auch hier. Am Südhimmel war eine Wolke zu sehen. Und
aus der Wolke wurde der Perudampfer „Urubamba". Und vom Dampfer
„Urubamba" kamen neue Quarantänesträflinge, Menschen, die mir das Andenken
an diese Tage lieb machen.

Sie kamen alle brav nacheinander den Landungssteg hinauf: der kleine,
schwarze Belgier, Tyll Ulenspiegels lustiges Ebenbild. Der flinke, liebenswürdige
Spanier, dieses Mal ein echter, von gutem, toledanischen Blut. Der kleine
Ecuadorianer, der Quito mit Paris vertauschen will, und dem wir hinterher
das beginnende Heimweh weglachen mußten. Da war ein Schweizer und Herr
Nazur, der Türke mit den Augen, die immer zu weinen schienen. Und ein
alter Franzos stieg gemächlich hinauf, ein ganz altmodischer Typ rin köstlich
verschmitzten Äuglein und dem unerschöpflichen Schatz allerliebster zweischneidiger
Bonmots. Zum Schluß aber kam ein langes, feierliches Lineal, Herr Mac
Dougal aus Schottland, ernst und würdig anzusehen. Und dabei wurde er


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/140>, abgerufen am 06.07.2024.