Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.Reisebriefe Hundert Menschen hin. Haben morgen vielleicht schon jenes wundervolle braune Betritt nur jene Wiesen, die dir den Taumelduft wilder Hyazinthen her¬ Frau Übersee, die Herrscherin über diese Lande, ist wie eine jener großen Schön ist ihr Reich in seinem ewigen Blühen und Schwellen, in Üppigkeit Ich bin durch Boliviens Wüsten geritten, ich sah Cuscos stolze Jnkabauten, Aber was ich vor Monaten ahnend voraussah, als ich Jensens "Exotische Wir trafen einmal in den weiten Sandwüsten von Eden nach langem Ritt, Und da sah ich plötzlich den Kontrast zwischen uns und dem Menschen der Reisebriefe Hundert Menschen hin. Haben morgen vielleicht schon jenes wundervolle braune Betritt nur jene Wiesen, die dir den Taumelduft wilder Hyazinthen her¬ Frau Übersee, die Herrscherin über diese Lande, ist wie eine jener großen Schön ist ihr Reich in seinem ewigen Blühen und Schwellen, in Üppigkeit Ich bin durch Boliviens Wüsten geritten, ich sah Cuscos stolze Jnkabauten, Aber was ich vor Monaten ahnend voraussah, als ich Jensens „Exotische Wir trafen einmal in den weiten Sandwüsten von Eden nach langem Ritt, Und da sah ich plötzlich den Kontrast zwischen uns und dem Menschen der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0138" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/326950"/> <fw type="header" place="top"> Reisebriefe</fw><lb/> <p xml:id="ID_502" prev="#ID_501"> Hundert Menschen hin. Haben morgen vielleicht schon jenes wundervolle braune<lb/> Geschöpf zerstört, das dir lachend zuwinkt, schön, wie der erste Frühlingstag.</p><lb/> <p xml:id="ID_503"> Betritt nur jene Wiesen, die dir den Taumelduft wilder Hyazinthen her¬<lb/> übersenden. Unter jeder Wunderblüte lauert der Kopf eines Giftreptils. Ver¬<lb/> suche es nur Mensch zu sein unter jenen braunen Gestalten, die dir wie harm¬<lb/> lose Kinder des siebenten Schöpfungstages erscheinen. Sobald sie dich nicht<lb/> mehr als Herren fürchten, fährt dir bei der ersten Gelegenheit ihr Messer in<lb/> den Leib.</p><lb/> <p xml:id="ID_504"> Frau Übersee, die Herrscherin über diese Lande, ist wie eine jener großen<lb/> Fürstinnen, die ihre Liebhaber töten. Sie beschenkt dich heute mit nie gekannten:<lb/> Glück, mit unerhörtem Sinnentaumel und küßt dir morgen lachend den Tod auf<lb/> die verlangenden Lippen.</p><lb/> <p xml:id="ID_505"> Schön ist ihr Reich in seinem ewigen Blühen und Schwellen, in Üppigkeit<lb/> und Farbenglanz. Aber diese Schönheit ist erschöpft mit ihrer Exotik. Du wirst<lb/> in ihm nie Orplid, dein Land sehen, wirst sie immer bewundern und nie lieben.</p><lb/> <p xml:id="ID_506"> Ich bin durch Boliviens Wüsten geritten, ich sah Cuscos stolze Jnkabauten,<lb/> ich hörte in Quito und Riobamba noch das geheimnisvolle Flüstern und Raunen<lb/> jener Zeiten, die lange vor der der Inkas liegen. Ich hörte den verborgenen<lb/> Stroni rauschen, der von den Quellen der roten Menschheit kommt. Ich hörte<lb/> ihre Sagen und Lieder, deren Worte sie heute selbst kaum versteht. Ich habe<lb/> mich diesen Dingen vorsichtig und ehrfürchtig genaht, wie man einer uralten,<lb/> gewaltigen Kultur nahen muß. Ich habe mich wohl gehütet, mich von der<lb/> befremdenden Stilisierung ihrer Kunst abschrecken zu lassen. Und schaudernd<lb/> habe ich schließlich vor dem mystischen Wunder einer Kulturblütc gestanden,<lb/> deren Größe wir nur zu ahnen vermögen, deren Wurzeln vielleicht zu den<lb/> Uranfängen der Menschheit zurückführen.</p><lb/> <p xml:id="ID_507"> Aber was ich vor Monaten ahnend voraussah, als ich Jensens „Exotische<lb/> Novellen" las, ist mir hier zur selbsterlebten Gewißheit geworden. Wir haben<lb/> und dem Menschen der Tropen nicht viel mehr geniein, als die körperliche<lb/> Ähnlichkeit. Gut und Böse, Schön und Unschön, Recht und Unrecht, diese Be¬<lb/> griffe sagen uns etwas anderes, als ihm.</p><lb/> <p xml:id="ID_508"> Wir trafen einmal in den weiten Sandwüsten von Eden nach langem Ritt,<lb/> gut fünfzig Kilometer von jeder Menschenstedelung entfernt, auf die Ruinen einer<lb/> uralten spanischen Kirche. Vor vierhundert Jahren mochte sie die Kapelle eines<lb/> vorgeschobenen Postens gewesen sein, denn noch ließen sich die Fundamente<lb/> einer Befestigungsmauer nachweisen. Wir traten ein.</p><lb/> <p xml:id="ID_509"> Und da sah ich plötzlich den Kontrast zwischen uns und dem Menschen der<lb/> Tropen symbolisiert. Auf der brüchigen Jnnenwand der Apsis waren die Rest<lb/> eines Kruzifixes zu sehen. Es war nicht eben ein Meisterbild, und doch lag<lb/> in dem Antlitz etwas von dem Heroismus duldender Liebe, der von Lionardos<lb/> Breraskizzen strahlt. Vielleicht, daß Pizarro einen verschollenen Schüler des<lb/> Meisters hinübergenommen hat.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0138]
Reisebriefe
Hundert Menschen hin. Haben morgen vielleicht schon jenes wundervolle braune
Geschöpf zerstört, das dir lachend zuwinkt, schön, wie der erste Frühlingstag.
Betritt nur jene Wiesen, die dir den Taumelduft wilder Hyazinthen her¬
übersenden. Unter jeder Wunderblüte lauert der Kopf eines Giftreptils. Ver¬
suche es nur Mensch zu sein unter jenen braunen Gestalten, die dir wie harm¬
lose Kinder des siebenten Schöpfungstages erscheinen. Sobald sie dich nicht
mehr als Herren fürchten, fährt dir bei der ersten Gelegenheit ihr Messer in
den Leib.
Frau Übersee, die Herrscherin über diese Lande, ist wie eine jener großen
Fürstinnen, die ihre Liebhaber töten. Sie beschenkt dich heute mit nie gekannten:
Glück, mit unerhörtem Sinnentaumel und küßt dir morgen lachend den Tod auf
die verlangenden Lippen.
Schön ist ihr Reich in seinem ewigen Blühen und Schwellen, in Üppigkeit
und Farbenglanz. Aber diese Schönheit ist erschöpft mit ihrer Exotik. Du wirst
in ihm nie Orplid, dein Land sehen, wirst sie immer bewundern und nie lieben.
Ich bin durch Boliviens Wüsten geritten, ich sah Cuscos stolze Jnkabauten,
ich hörte in Quito und Riobamba noch das geheimnisvolle Flüstern und Raunen
jener Zeiten, die lange vor der der Inkas liegen. Ich hörte den verborgenen
Stroni rauschen, der von den Quellen der roten Menschheit kommt. Ich hörte
ihre Sagen und Lieder, deren Worte sie heute selbst kaum versteht. Ich habe
mich diesen Dingen vorsichtig und ehrfürchtig genaht, wie man einer uralten,
gewaltigen Kultur nahen muß. Ich habe mich wohl gehütet, mich von der
befremdenden Stilisierung ihrer Kunst abschrecken zu lassen. Und schaudernd
habe ich schließlich vor dem mystischen Wunder einer Kulturblütc gestanden,
deren Größe wir nur zu ahnen vermögen, deren Wurzeln vielleicht zu den
Uranfängen der Menschheit zurückführen.
Aber was ich vor Monaten ahnend voraussah, als ich Jensens „Exotische
Novellen" las, ist mir hier zur selbsterlebten Gewißheit geworden. Wir haben
und dem Menschen der Tropen nicht viel mehr geniein, als die körperliche
Ähnlichkeit. Gut und Böse, Schön und Unschön, Recht und Unrecht, diese Be¬
griffe sagen uns etwas anderes, als ihm.
Wir trafen einmal in den weiten Sandwüsten von Eden nach langem Ritt,
gut fünfzig Kilometer von jeder Menschenstedelung entfernt, auf die Ruinen einer
uralten spanischen Kirche. Vor vierhundert Jahren mochte sie die Kapelle eines
vorgeschobenen Postens gewesen sein, denn noch ließen sich die Fundamente
einer Befestigungsmauer nachweisen. Wir traten ein.
Und da sah ich plötzlich den Kontrast zwischen uns und dem Menschen der
Tropen symbolisiert. Auf der brüchigen Jnnenwand der Apsis waren die Rest
eines Kruzifixes zu sehen. Es war nicht eben ein Meisterbild, und doch lag
in dem Antlitz etwas von dem Heroismus duldender Liebe, der von Lionardos
Breraskizzen strahlt. Vielleicht, daß Pizarro einen verschollenen Schüler des
Meisters hinübergenommen hat.
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