Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.Reisebriefe Mensch, der räumlich in ihnen versinkt. Und unsere alte Sehnsucht wird erst Und doch der eine Augenblick -- Bruchteile von Sekunden nur während -- Der Rest war zunächst kein ungehemmtes Genießen: die Intelligenz, das So aber stiegen wir wieder zurück in den heißen Brodem dort unten, Aber ich träumte noch lange von der Heimat, die mich oben flüchtig gegrüßt hatte.. Drei Monate später, als ich schon lange wieder den europäischen Winter Ikarus hat fallend sein Schicksal erfüllt. . . Reisebriefe Mensch, der räumlich in ihnen versinkt. Und unsere alte Sehnsucht wird erst Und doch der eine Augenblick — Bruchteile von Sekunden nur während — Der Rest war zunächst kein ungehemmtes Genießen: die Intelligenz, das So aber stiegen wir wieder zurück in den heißen Brodem dort unten, Aber ich träumte noch lange von der Heimat, die mich oben flüchtig gegrüßt hatte.. Drei Monate später, als ich schon lange wieder den europäischen Winter Ikarus hat fallend sein Schicksal erfüllt. . . <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0136" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/326948"/> <fw type="header" place="top"> Reisebriefe</fw><lb/> <p xml:id="ID_485" prev="#ID_484"> Mensch, der räumlich in ihnen versinkt. Und unsere alte Sehnsucht wird erst<lb/> dann ganz erfüllt sein, wenn (wer weiß in wie kurzer Frist) ein kleinerer,<lb/> leichterer Fittich uns hebt. . . .</p><lb/> <p xml:id="ID_486"> Und doch der eine Augenblick — Bruchteile von Sekunden nur während —<lb/> der eine Moment, in dem das Flugzeug sich von der Erde ablöst, wo man<lb/> nicht mehr die Sprünge und Stöße des Rollers spürt, dieser Augenblick ist<lb/> unendlich schön, unirdisch fast. Wirklich ein Ahnen des Flügelpaares, das sich<lb/> losheftet, ein jubelndes „Gönnt mir den Flug" . . .</p><lb/> <p xml:id="ID_487"> Der Rest war zunächst kein ungehemmtes Genießen: die Intelligenz, das<lb/> Bewußtsein war im Anfang zu sehr wach, beobachtete den kleinen Mann vor<lb/> mir, wie er arbeitete, bemerkte oben, wie die Brise stärker und dvig wurde und<lb/> daß der Apparat ein wenig zu schwanken begann. Aber bald geschah etwas<lb/> Wunderbares: weit unter unserem Himmelswagen brausten Rufe, wogten fremde<lb/> Menschen, raste zwischen seinen Usern der exotische Strom. Dort unten, da<lb/> waren die Tropen, die Schwüle, der Pesthauch, das wirre bunte, heiße Leben,<lb/> das mit kinematographenschnellem Gebären und Verwesen am taumelnden Auge<lb/> vorüberreißt. Hier oben aber . . . war die Heimat, die Kühle, der herbe<lb/> Norden, gegen den der heiße Taumel der Menschen dort unter doch nur ein<lb/> Scheinleben ist. Die Luft, die ich so lange nicht geatmet hatte, die Frische,<lb/> die man allmählich verliert, wenn es auf langer Ozeanfahrt glühender und<lb/> glühender wird. Es war ein freudiger Rausch in diesem unerhört raschen<lb/> Wechsel, in diesem kurzen, flüchtigen Gruß von der Heimat. Und hätte ich an<lb/> der Stelle gesessen, an der vor mir der Mann dort seine Hebel und Schrauben<lb/> handhabte, ich wäre höher und höher gestiegen und hätte mir nicht genug darin<lb/> tun können, in den herrlichen Boer, die uns umbrausten, wenig Hunderte von<lb/> Metern nur über gaffenden Rotvolk jubelnd den Norden zu grüßen. Den<lb/> Norden, dem die karge, rauhe Natur entbehren läßt, den sie aber an Kraft und<lb/> Adel an Gemüt und an Intelligenz seiner Menschen hoch hinaushebt über ihre<lb/> südlichen Kinder, die sie durch reichere Gaben doch immer in die Kinderstube der<lb/> Menschheit zwingt...</p><lb/> <p xml:id="ID_488"> So aber stiegen wir wieder zurück in den heißen Brodem dort unten,<lb/> in die neblige Schwüle, zwischen die braunen, gestikulierenden, johlenden<lb/> Menschen. Musik... Beifallrufe. Wir setzen auf: rollen, springen, halten. Weiße<lb/> Tropenanzüge und bunte Uniformen. Die Niggerexzellenz aus der Hauptstadt<lb/> in offiziellem Schwarz mit vielen, vielen Kotillonorden. Begrüßung und Empfang,<lb/> Ansprache und Erwiderung in der eleganten, klingenden Sprache Castiliens . . .<lb/> Und dann das Klubdiner und wieder Reden und kalter Champagner. . .</p><lb/> <p xml:id="ID_489"> Aber ich träumte noch lange von der Heimat, die mich oben flüchtig gegrüßt hatte..</p><lb/> <p xml:id="ID_490"> Drei Monate später, als ich schon lange wieder den europäischen Winter<lb/> atmete, las ich in einer Zeitung: „Der chilenische Hauptmann ist bei einem<lb/> Fluge zwischen Valparaiso und Conception laeues abgestürzt" . . .</p><lb/> <p xml:id="ID_491"> Ikarus hat fallend sein Schicksal erfüllt. . .</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0136]
Reisebriefe
Mensch, der räumlich in ihnen versinkt. Und unsere alte Sehnsucht wird erst
dann ganz erfüllt sein, wenn (wer weiß in wie kurzer Frist) ein kleinerer,
leichterer Fittich uns hebt. . . .
Und doch der eine Augenblick — Bruchteile von Sekunden nur während —
der eine Moment, in dem das Flugzeug sich von der Erde ablöst, wo man
nicht mehr die Sprünge und Stöße des Rollers spürt, dieser Augenblick ist
unendlich schön, unirdisch fast. Wirklich ein Ahnen des Flügelpaares, das sich
losheftet, ein jubelndes „Gönnt mir den Flug" . . .
Der Rest war zunächst kein ungehemmtes Genießen: die Intelligenz, das
Bewußtsein war im Anfang zu sehr wach, beobachtete den kleinen Mann vor
mir, wie er arbeitete, bemerkte oben, wie die Brise stärker und dvig wurde und
daß der Apparat ein wenig zu schwanken begann. Aber bald geschah etwas
Wunderbares: weit unter unserem Himmelswagen brausten Rufe, wogten fremde
Menschen, raste zwischen seinen Usern der exotische Strom. Dort unten, da
waren die Tropen, die Schwüle, der Pesthauch, das wirre bunte, heiße Leben,
das mit kinematographenschnellem Gebären und Verwesen am taumelnden Auge
vorüberreißt. Hier oben aber . . . war die Heimat, die Kühle, der herbe
Norden, gegen den der heiße Taumel der Menschen dort unter doch nur ein
Scheinleben ist. Die Luft, die ich so lange nicht geatmet hatte, die Frische,
die man allmählich verliert, wenn es auf langer Ozeanfahrt glühender und
glühender wird. Es war ein freudiger Rausch in diesem unerhört raschen
Wechsel, in diesem kurzen, flüchtigen Gruß von der Heimat. Und hätte ich an
der Stelle gesessen, an der vor mir der Mann dort seine Hebel und Schrauben
handhabte, ich wäre höher und höher gestiegen und hätte mir nicht genug darin
tun können, in den herrlichen Boer, die uns umbrausten, wenig Hunderte von
Metern nur über gaffenden Rotvolk jubelnd den Norden zu grüßen. Den
Norden, dem die karge, rauhe Natur entbehren läßt, den sie aber an Kraft und
Adel an Gemüt und an Intelligenz seiner Menschen hoch hinaushebt über ihre
südlichen Kinder, die sie durch reichere Gaben doch immer in die Kinderstube der
Menschheit zwingt...
So aber stiegen wir wieder zurück in den heißen Brodem dort unten,
in die neblige Schwüle, zwischen die braunen, gestikulierenden, johlenden
Menschen. Musik... Beifallrufe. Wir setzen auf: rollen, springen, halten. Weiße
Tropenanzüge und bunte Uniformen. Die Niggerexzellenz aus der Hauptstadt
in offiziellem Schwarz mit vielen, vielen Kotillonorden. Begrüßung und Empfang,
Ansprache und Erwiderung in der eleganten, klingenden Sprache Castiliens . . .
Und dann das Klubdiner und wieder Reden und kalter Champagner. . .
Aber ich träumte noch lange von der Heimat, die mich oben flüchtig gegrüßt hatte..
Drei Monate später, als ich schon lange wieder den europäischen Winter
atmete, las ich in einer Zeitung: „Der chilenische Hauptmann ist bei einem
Fluge zwischen Valparaiso und Conception laeues abgestürzt" . . .
Ikarus hat fallend sein Schicksal erfüllt. . .
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