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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Reisobricfe

Natürlich wollte ich. Denn einmal war ich noch nie geflogen und dann
wars die erste Flugveranstaltung in der kleinen Republik. Und monsieur Is
prösiäsnt cle la röpubliqus würde bestimmt kommen, sagte er.

Am nächsten Tage schon klebten große Plakate mit dem Porträt des Chilenen
an den Straßenecken. Und jede dieser Ecken war von einem Schwarm neu¬
gieriger Nigger belagert. Seine Leute wählten einen geeigneten Platz. Ja,
das war nun nicht so einfach wie in Johannisthal! Ein klein Fleckchen nur des
Feldes war fester Boden, der Rest ziemlich weich und feucht und mit hohem
Gras bestanden. Am Abend, als die Leute mit dem Montieren des Apparates
fertig waren und sein Manager einen notdürftigen Zenn hatte herumlegen lassen,
ließ er den Gnomemotor brummen und steuerte getrost geradeaus. Im Moment
saß er im Morast und zwar recht tief: ein paar Drähte waren gerissen und der
Propeller beschädigt. Es war am Donnerstag und am Sonntag schon sollte
geflogen werden. Aber der kleine braune Kerl verlor nicht den Mut. Am
Freitag abend war alles wieder in Ordnung und auch eine neue, leidlich gute
Abflugbahn war gefunden worden. Es ging wirklich. Er mußte zwar recht
zirkeln, aber er kam gut hoch. So warteten wir getrost den Sonntag ab.

An dessen Nachmittag saßen wir im Schutzzelt und rauchten und plauderten.
Draußen strömte es schon heran. Woher nahmen die Nigger nur das Geld?
Zehn und fünf Sukres -- das sind zwanzig und zehn Mark -- nahm der Kleine
für den Platz. Und er lachte behaglich, wenn er heraustrat und die Fülle sah.
Die europäischen Kolonien waren natürlich vollzählig vertreten und ebenso die
Gesellschaft der nahen Hauptstadt. Selbst der Hafenpöbel hatte sich -- legitim
oder illegitim -- eingefunden. Für fünf Sukres mußte doch etwas zu sehen
seinl Am Ende, wenn das Glück gut war, gar eine Katastrophe: der Spanier¬
mischling witterte den Blutrausch eines Stiergefechtes! Jedenfalls hatte der Kleine
ausverkauft. Nur das versprochene Staatsoberhaupt und sein "Hof" fehlte noch.
Wir hatten aber keine Zeit, die Seebrise mußte bald kommen und die wollten
wir hier -- wo keine meteorologische Station wie in Europa die oberen Luft¬
bewegungen genau beobachtet hatte -- vermeiden. Um vier Uhr kletterten wir
in unsere Sitze. Ich glaube, wohl war dem kleinen Chilenen nicht zumut:
steuerte er beim Abflug heute wieder in den Sumpf, so konnte er sicher sein,
daß der um sein Geld sich betrogen währende Pöbel den Apparat zertrümmerte.
Aber er blieb leidlich ruhig und wir wanden uns durch alle Fährnisse unserer
Abflugbahn gut hindurch.

Ich weiß nicht: die seit den Anfängen der Aviatik nun wirklich bis zum
Überdruß gehörte Phrase, das Flugzeug habe den alten Menschentraum vom
Fliegen erfüllt, schien mir immer und scheint mir heute noch eine Torheit zu
sein; Dädalus träumte nicht von einer schweren, lärmenden Maschinerie, er
träumte von einem leichteren und leiseren und unaufälligeren Medium, das den
Menschenleib von der Erdenschwere befreien sollte. Im Flugzeug von heute ist
der Motor und das Riesenweiß der Flügel das Wesentliche, nicht aber der


Reisobricfe

Natürlich wollte ich. Denn einmal war ich noch nie geflogen und dann
wars die erste Flugveranstaltung in der kleinen Republik. Und monsieur Is
prösiäsnt cle la röpubliqus würde bestimmt kommen, sagte er.

Am nächsten Tage schon klebten große Plakate mit dem Porträt des Chilenen
an den Straßenecken. Und jede dieser Ecken war von einem Schwarm neu¬
gieriger Nigger belagert. Seine Leute wählten einen geeigneten Platz. Ja,
das war nun nicht so einfach wie in Johannisthal! Ein klein Fleckchen nur des
Feldes war fester Boden, der Rest ziemlich weich und feucht und mit hohem
Gras bestanden. Am Abend, als die Leute mit dem Montieren des Apparates
fertig waren und sein Manager einen notdürftigen Zenn hatte herumlegen lassen,
ließ er den Gnomemotor brummen und steuerte getrost geradeaus. Im Moment
saß er im Morast und zwar recht tief: ein paar Drähte waren gerissen und der
Propeller beschädigt. Es war am Donnerstag und am Sonntag schon sollte
geflogen werden. Aber der kleine braune Kerl verlor nicht den Mut. Am
Freitag abend war alles wieder in Ordnung und auch eine neue, leidlich gute
Abflugbahn war gefunden worden. Es ging wirklich. Er mußte zwar recht
zirkeln, aber er kam gut hoch. So warteten wir getrost den Sonntag ab.

An dessen Nachmittag saßen wir im Schutzzelt und rauchten und plauderten.
Draußen strömte es schon heran. Woher nahmen die Nigger nur das Geld?
Zehn und fünf Sukres — das sind zwanzig und zehn Mark — nahm der Kleine
für den Platz. Und er lachte behaglich, wenn er heraustrat und die Fülle sah.
Die europäischen Kolonien waren natürlich vollzählig vertreten und ebenso die
Gesellschaft der nahen Hauptstadt. Selbst der Hafenpöbel hatte sich — legitim
oder illegitim — eingefunden. Für fünf Sukres mußte doch etwas zu sehen
seinl Am Ende, wenn das Glück gut war, gar eine Katastrophe: der Spanier¬
mischling witterte den Blutrausch eines Stiergefechtes! Jedenfalls hatte der Kleine
ausverkauft. Nur das versprochene Staatsoberhaupt und sein „Hof" fehlte noch.
Wir hatten aber keine Zeit, die Seebrise mußte bald kommen und die wollten
wir hier — wo keine meteorologische Station wie in Europa die oberen Luft¬
bewegungen genau beobachtet hatte — vermeiden. Um vier Uhr kletterten wir
in unsere Sitze. Ich glaube, wohl war dem kleinen Chilenen nicht zumut:
steuerte er beim Abflug heute wieder in den Sumpf, so konnte er sicher sein,
daß der um sein Geld sich betrogen währende Pöbel den Apparat zertrümmerte.
Aber er blieb leidlich ruhig und wir wanden uns durch alle Fährnisse unserer
Abflugbahn gut hindurch.

Ich weiß nicht: die seit den Anfängen der Aviatik nun wirklich bis zum
Überdruß gehörte Phrase, das Flugzeug habe den alten Menschentraum vom
Fliegen erfüllt, schien mir immer und scheint mir heute noch eine Torheit zu
sein; Dädalus träumte nicht von einer schweren, lärmenden Maschinerie, er
träumte von einem leichteren und leiseren und unaufälligeren Medium, das den
Menschenleib von der Erdenschwere befreien sollte. Im Flugzeug von heute ist
der Motor und das Riesenweiß der Flügel das Wesentliche, nicht aber der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/135>, abgerufen am 22.07.2024.