Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.Kleist ein Klassiker? Von Dr. R, Schacht eit dem Erscheinen von O. Brahms Kleist-Biographie, also seit l HDie Gründe für diese steigende Schätzung sind leicht zu erkennen. Es Kleist ein Klassiker? Von Dr. R, Schacht eit dem Erscheinen von O. Brahms Kleist-Biographie, also seit l HDie Gründe für diese steigende Schätzung sind leicht zu erkennen. Es <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0128" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/326940"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341897_326811/figures/grenzboten_341897_326811_326940_000.jpg"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Kleist ein Klassiker?<lb/><note type="byline"> Von Dr. R, Schacht</note></head><lb/> <p xml:id="ID_459"> eit dem Erscheinen von O. Brahms Kleist-Biographie, also seit<lb/> bald einem Vierteljahrhundert, hat die Schätzung Kleists, des<lb/> lange Verläumder, beständige Steigerung erfahren. Die literarische<lb/> Forschung beschäftigte sich näher mit ihm, bald gab es speziell<lb/> Kleistforscher und die Literatur des Gedenkjahres 1911 war an<lb/> Umfang wie Bedeutung erstaunlich zu nennen. Gleichzeitig machte man ener¬<lb/> gische Anstrengungen, dem Dichter ein Publikum zu gewinnen. Zwei große<lb/> kritische und zahlreiche populäre Ausgaben fanden begierige Käufer, die Theater¬<lb/> direktoren enthaltnen sich, daß Kleist außer dem „Käthchen von Heilbronn" und<lb/> etwa der „Hermannschlacht" auch noch den „Prinzen von Homburg" und den<lb/> „Zerbrochenen Krug" geschrieben hatte; man verbesserte die alten, oft recht<lb/> mangelhaften Bühnenbearbeitungen, ja es wurden Versuche mit den „Schroffen¬<lb/> steinern", mit „Amphvtrion" und zuletzt gar mit dem schwierigsten und am<lb/> meisten problematischen Werk, der „Penthesilea", gemacht.</p><lb/> <p xml:id="ID_460" next="#ID_461"> l HDie Gründe für diese steigende Schätzung sind leicht zu erkennen. Es<lb/> traf sich für die Naturalisten der neunziger Jahre und ihre kritischen Bor¬<lb/> kämpfer überaus günstig, daß sich Kleist, der Nachfahr Schillers, als Eideshelfer<lb/> aufstellen ließ gegen eine in Akademismus erstarrte Kunst. Zwar gingen sie<lb/> nicht von Kleist aus, oder bauten da weiter, wo dieser aufgehört hatte, aber<lb/> sie konnten doch darauf hinweisen, daß das, was an ihnen so unerhört schien,<lb/> der Realismus und die zerfasernde Psychologie schon lange vor ihnen, schon in<lb/> unmittelbarer Nachbarschaft der Klassiker existiert hatte. Das griff dann niemand<lb/> freudiger aus als die Jugend, die es in ihrer Opposition ja auch insofern leicht<lb/> hatte, als die bisherige Gleichgültigkeit gegen Kleist titsächlich mit der Blindheit<lb/> für höchste künstlerische Qualität zusammenhing. Nimmt man endlich hinzu den<lb/> starken Reiz, der von der eigenartigen Persönlichkeit des Dichters ausgeht, das<lb/> einmal erweckte Interesse für wenn auch nur scheinbar problematische Naturen,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0128]
[Abbildung]
Kleist ein Klassiker?
Von Dr. R, Schacht
eit dem Erscheinen von O. Brahms Kleist-Biographie, also seit
bald einem Vierteljahrhundert, hat die Schätzung Kleists, des
lange Verläumder, beständige Steigerung erfahren. Die literarische
Forschung beschäftigte sich näher mit ihm, bald gab es speziell
Kleistforscher und die Literatur des Gedenkjahres 1911 war an
Umfang wie Bedeutung erstaunlich zu nennen. Gleichzeitig machte man ener¬
gische Anstrengungen, dem Dichter ein Publikum zu gewinnen. Zwei große
kritische und zahlreiche populäre Ausgaben fanden begierige Käufer, die Theater¬
direktoren enthaltnen sich, daß Kleist außer dem „Käthchen von Heilbronn" und
etwa der „Hermannschlacht" auch noch den „Prinzen von Homburg" und den
„Zerbrochenen Krug" geschrieben hatte; man verbesserte die alten, oft recht
mangelhaften Bühnenbearbeitungen, ja es wurden Versuche mit den „Schroffen¬
steinern", mit „Amphvtrion" und zuletzt gar mit dem schwierigsten und am
meisten problematischen Werk, der „Penthesilea", gemacht.
l HDie Gründe für diese steigende Schätzung sind leicht zu erkennen. Es
traf sich für die Naturalisten der neunziger Jahre und ihre kritischen Bor¬
kämpfer überaus günstig, daß sich Kleist, der Nachfahr Schillers, als Eideshelfer
aufstellen ließ gegen eine in Akademismus erstarrte Kunst. Zwar gingen sie
nicht von Kleist aus, oder bauten da weiter, wo dieser aufgehört hatte, aber
sie konnten doch darauf hinweisen, daß das, was an ihnen so unerhört schien,
der Realismus und die zerfasernde Psychologie schon lange vor ihnen, schon in
unmittelbarer Nachbarschaft der Klassiker existiert hatte. Das griff dann niemand
freudiger aus als die Jugend, die es in ihrer Opposition ja auch insofern leicht
hatte, als die bisherige Gleichgültigkeit gegen Kleist titsächlich mit der Blindheit
für höchste künstlerische Qualität zusammenhing. Nimmt man endlich hinzu den
starken Reiz, der von der eigenartigen Persönlichkeit des Dichters ausgeht, das
einmal erweckte Interesse für wenn auch nur scheinbar problematische Naturen,
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