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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

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Weltbürgertum und Staatsbürgertum

Der Glaube ist lange mächtig gewesen, daß es dauernde überstaatliche
Interessen gebe, denen ein Staat eigene Interessen opfern dürfe und müsse.
Erst bittere Erfahrung haben den modernen bewußten Nationalgeist geweckt
und gestärkt, der Freiheit und Einheit und Größe des eigenen Staates als
Allerhöchstes, als notwendige Vorbedingung für das Wohl und den kulturellen
Fortschritt der Gesamtheit der Bürger erkennt und darum alle nationalen Be¬
strebungen an die erste Stelle setzt und sie vor allen anderen, auch vor den
kosmopolitischen sprechen läßt. Meinecke hat in seinem oben angeführten Buche
gründlich und glänzend entwickelt, mit welcher Schwierigkeit und zugleich mit
welcher Stetigkeit sich der moderne reinpolitische Nationalstaatsgedanke im Laufe
des Jahrhunderts allmählich aus der Verwicklung mit unpolitischen universalen
Ideen losgelöst hat. Den Idealisten des achtzehnten Jahrhunderts war das
Kosmopolitische, Universale das Höchste, nicht das Nationale; ihr Volk sollte
nur das Mittel sein, den großen kosmopolitischen Kulturzwecken zu dienen, und
wie Griechenland die Menschheitsnation der antiken Welt gewesen war, so war
ihnen dies für die neue Zeit das deutsche Volk. Ihr politischer Fehler bestand
darin, daß sie glaubten, sie könnten die Kulturgüter Deutschlands und damit der
Menschheit pflegen und heben ohne Freiheit und Einheit des Staates. Sie
hatten leine Freude an ihrem zersplitterten und unfreien Staate. Fichte hält
es 1804 noch "für die Aufgabe eines sonnenverwandten Geistes, sich abzu¬
wenden vom Staate, wenn dieser gesunken sei, und sich dorthin zu wenden, wo
Licht ist und Recht". Der Weltbürger von 1804 ist durch die Not von 1806
und 1807 der Redner an die deutsche Nation geworden, der nach einem Zwing¬
herrn zur Deutschheit rief. Und der andere Schüler Kants, Hegel, bewies auf
Grund seiner Philosophie die Berechtigung des selbstherrlichen Willens jedes
Staates und die Vernünftigkeit des Krieges. Von Hegel geht der Weg über
Ranke zu Bismarck zu der klaren Erkenntnis, daß, wie die einzelnen Menschen,
so auch ihre großen Gemeinschaften, die Staaten, Persönlichkeiten mit eineni
notwendigen, immanenten Recht auf Freiheit, Eigenheit und Einheit sind oder
sein sollen, die bei ihren besonderen Lebensbedingungen und Lebensinteressen
und ihrem besonderen Charakter gesunden Egoismus brauchen, um Lebensmög¬
lichkeit und Lebensberechtigung zu haben. Bismarck hatte in seiner Olmützrede
1830 Grund zu sagen: "Die einzige gesunde Grundlage eines großen Staates,
und dadurch unterscheidet er sich wesentlich von einem kleinen Staate, ist der
staatliche Egoismus und nicht die Romantik, und es ist eines großen Staates
nicht würdig, für eine Sache zu streiten, die nicht seinem eigenen Interesse an¬
gehört."

An dem völkischen Naturtrieb, der sür Leben und Selbständigkeit des
eigenen Volkes alles aufs Spiel setzt, sind alle Versuche, ein Weltreich zu bilden,
gescheitert. Die Versuche des Xerxes, Alexander des Großen, der römischen
Cäsaren, Jnnozenz des Dritten, Napoleons des Ersten erinnern daran, daß an
den Markscheiden der Weltgeschichtsperioden der Zusammenbruch großer Welt-


Weltbürgertum und Staatsbürgertum

Der Glaube ist lange mächtig gewesen, daß es dauernde überstaatliche
Interessen gebe, denen ein Staat eigene Interessen opfern dürfe und müsse.
Erst bittere Erfahrung haben den modernen bewußten Nationalgeist geweckt
und gestärkt, der Freiheit und Einheit und Größe des eigenen Staates als
Allerhöchstes, als notwendige Vorbedingung für das Wohl und den kulturellen
Fortschritt der Gesamtheit der Bürger erkennt und darum alle nationalen Be¬
strebungen an die erste Stelle setzt und sie vor allen anderen, auch vor den
kosmopolitischen sprechen läßt. Meinecke hat in seinem oben angeführten Buche
gründlich und glänzend entwickelt, mit welcher Schwierigkeit und zugleich mit
welcher Stetigkeit sich der moderne reinpolitische Nationalstaatsgedanke im Laufe
des Jahrhunderts allmählich aus der Verwicklung mit unpolitischen universalen
Ideen losgelöst hat. Den Idealisten des achtzehnten Jahrhunderts war das
Kosmopolitische, Universale das Höchste, nicht das Nationale; ihr Volk sollte
nur das Mittel sein, den großen kosmopolitischen Kulturzwecken zu dienen, und
wie Griechenland die Menschheitsnation der antiken Welt gewesen war, so war
ihnen dies für die neue Zeit das deutsche Volk. Ihr politischer Fehler bestand
darin, daß sie glaubten, sie könnten die Kulturgüter Deutschlands und damit der
Menschheit pflegen und heben ohne Freiheit und Einheit des Staates. Sie
hatten leine Freude an ihrem zersplitterten und unfreien Staate. Fichte hält
es 1804 noch „für die Aufgabe eines sonnenverwandten Geistes, sich abzu¬
wenden vom Staate, wenn dieser gesunken sei, und sich dorthin zu wenden, wo
Licht ist und Recht". Der Weltbürger von 1804 ist durch die Not von 1806
und 1807 der Redner an die deutsche Nation geworden, der nach einem Zwing¬
herrn zur Deutschheit rief. Und der andere Schüler Kants, Hegel, bewies auf
Grund seiner Philosophie die Berechtigung des selbstherrlichen Willens jedes
Staates und die Vernünftigkeit des Krieges. Von Hegel geht der Weg über
Ranke zu Bismarck zu der klaren Erkenntnis, daß, wie die einzelnen Menschen,
so auch ihre großen Gemeinschaften, die Staaten, Persönlichkeiten mit eineni
notwendigen, immanenten Recht auf Freiheit, Eigenheit und Einheit sind oder
sein sollen, die bei ihren besonderen Lebensbedingungen und Lebensinteressen
und ihrem besonderen Charakter gesunden Egoismus brauchen, um Lebensmög¬
lichkeit und Lebensberechtigung zu haben. Bismarck hatte in seiner Olmützrede
1830 Grund zu sagen: „Die einzige gesunde Grundlage eines großen Staates,
und dadurch unterscheidet er sich wesentlich von einem kleinen Staate, ist der
staatliche Egoismus und nicht die Romantik, und es ist eines großen Staates
nicht würdig, für eine Sache zu streiten, die nicht seinem eigenen Interesse an¬
gehört."

An dem völkischen Naturtrieb, der sür Leben und Selbständigkeit des
eigenen Volkes alles aufs Spiel setzt, sind alle Versuche, ein Weltreich zu bilden,
gescheitert. Die Versuche des Xerxes, Alexander des Großen, der römischen
Cäsaren, Jnnozenz des Dritten, Napoleons des Ersten erinnern daran, daß an
den Markscheiden der Weltgeschichtsperioden der Zusammenbruch großer Welt-


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[0110] Weltbürgertum und Staatsbürgertum Der Glaube ist lange mächtig gewesen, daß es dauernde überstaatliche Interessen gebe, denen ein Staat eigene Interessen opfern dürfe und müsse. Erst bittere Erfahrung haben den modernen bewußten Nationalgeist geweckt und gestärkt, der Freiheit und Einheit und Größe des eigenen Staates als Allerhöchstes, als notwendige Vorbedingung für das Wohl und den kulturellen Fortschritt der Gesamtheit der Bürger erkennt und darum alle nationalen Be¬ strebungen an die erste Stelle setzt und sie vor allen anderen, auch vor den kosmopolitischen sprechen läßt. Meinecke hat in seinem oben angeführten Buche gründlich und glänzend entwickelt, mit welcher Schwierigkeit und zugleich mit welcher Stetigkeit sich der moderne reinpolitische Nationalstaatsgedanke im Laufe des Jahrhunderts allmählich aus der Verwicklung mit unpolitischen universalen Ideen losgelöst hat. Den Idealisten des achtzehnten Jahrhunderts war das Kosmopolitische, Universale das Höchste, nicht das Nationale; ihr Volk sollte nur das Mittel sein, den großen kosmopolitischen Kulturzwecken zu dienen, und wie Griechenland die Menschheitsnation der antiken Welt gewesen war, so war ihnen dies für die neue Zeit das deutsche Volk. Ihr politischer Fehler bestand darin, daß sie glaubten, sie könnten die Kulturgüter Deutschlands und damit der Menschheit pflegen und heben ohne Freiheit und Einheit des Staates. Sie hatten leine Freude an ihrem zersplitterten und unfreien Staate. Fichte hält es 1804 noch „für die Aufgabe eines sonnenverwandten Geistes, sich abzu¬ wenden vom Staate, wenn dieser gesunken sei, und sich dorthin zu wenden, wo Licht ist und Recht". Der Weltbürger von 1804 ist durch die Not von 1806 und 1807 der Redner an die deutsche Nation geworden, der nach einem Zwing¬ herrn zur Deutschheit rief. Und der andere Schüler Kants, Hegel, bewies auf Grund seiner Philosophie die Berechtigung des selbstherrlichen Willens jedes Staates und die Vernünftigkeit des Krieges. Von Hegel geht der Weg über Ranke zu Bismarck zu der klaren Erkenntnis, daß, wie die einzelnen Menschen, so auch ihre großen Gemeinschaften, die Staaten, Persönlichkeiten mit eineni notwendigen, immanenten Recht auf Freiheit, Eigenheit und Einheit sind oder sein sollen, die bei ihren besonderen Lebensbedingungen und Lebensinteressen und ihrem besonderen Charakter gesunden Egoismus brauchen, um Lebensmög¬ lichkeit und Lebensberechtigung zu haben. Bismarck hatte in seiner Olmützrede 1830 Grund zu sagen: „Die einzige gesunde Grundlage eines großen Staates, und dadurch unterscheidet er sich wesentlich von einem kleinen Staate, ist der staatliche Egoismus und nicht die Romantik, und es ist eines großen Staates nicht würdig, für eine Sache zu streiten, die nicht seinem eigenen Interesse an¬ gehört." An dem völkischen Naturtrieb, der sür Leben und Selbständigkeit des eigenen Volkes alles aufs Spiel setzt, sind alle Versuche, ein Weltreich zu bilden, gescheitert. Die Versuche des Xerxes, Alexander des Großen, der römischen Cäsaren, Jnnozenz des Dritten, Napoleons des Ersten erinnern daran, daß an den Markscheiden der Weltgeschichtsperioden der Zusammenbruch großer Welt-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/110>, abgerufen am 22.07.2024.