Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Rcichsspiegel

sie davon nicht abhalten. Aus welchen Gründen und zu welchem Zweck also
ein Verhalten, das nur Mißtrauen im deutscheu Volke gegen die Regierung sät
und das Ansehen der deutschen Beamten, die in der Ostmark die wichtigsten
Träger des deutschen Gedankens sind, wenn nicht erschüttert, .so doch unendlich
erschwert?

Über Zweck und Ziel des neuesten Polenkurses ist naturgemäß viel ge¬
schrieben und geraten worden. Zu den wiederholten Versicherungen der Re¬
gierung, daß von einem Versöhnungskurs nicht die Rede sein könne, ist
auch ein Schreiben des Herrn Präsidialrat Naumann zu Posen an die
Kreuzzeitung zu rechnen, das die Politik des Oberpräsidenten gut national
nennt, -- übrigens ein novum im preußischen Beamtenkörper, daß Unter¬
gebene ihre Vorgesetzten öffentlich loben! Rücksicht auf den österreichischen
Bundesgenossen soll nach einer Lesart, Rücksichtnahme auf die deutsche Zen¬
trumspartei nach einer anderen die Ursache für die neue Richtung sein. Wenn
die zweite Lesart richtig sein sollte, müßten wir darauf gefaßt sein, daß
demnächst mit der Regel gebrochen wird, ausschließlich evangelische Bauern
in der Ostmark anzusetzen und daß man wahllos auch katholische Ansiedler auf¬
nimmt. Sollte dies wirklich geschehen, dann bedeutete das die Preisgabe des
nationalen Zweckes, dem die Anstedlungskommission bisher diente. Nicht daß
die heute lebenden katholischen Bauern in ihrer Gesinnung verdächtigt werden
sollen! Sie würden gewiß der polnischen Propaganda standhalten. Die Gefahr
liegt bei ihren Kindern und Kindeskindern und bei den Ehen mit Polen. Es
ist kein Märchen, daß die Muttergottes als Königin von Polen verehrt wird
und leicht läßt sich dies Symbol einer glücklichen Zukunft Polens auch in die
Herzen der bayerischen Bauernknaben pflanzen, wenn sie auf ehemals polnischem
Boden unter der Obhut polnischer Geistlicher aufwachsen!

Für das andere Argument, daß die preußische Negierung sich von Öster¬
reich leiten lasse, fehlt mir jeder Anhaltspunkt. Wie tief müßten wir mit
unsrer politischen Stellung im Dreibund und in Europa herunter gekommen sein,
wenn ein Stirnrunzeln der österreichischen Polenpartei genügte, um Maßnahmen
unserer inneren Politik zu modifizieren! Daß aber die österreichische Negierung
offiziell vorstellig werden könnte, halte ich für absolut unmöglich. Man lese
einmal im zweiten Bande von Wertheimers Andrassy nach, wie vorsichtig Bis-
marck sein Mißbehagen gegenüber der österreichischen Polenpolitik zur Kenntnis
des ihm befreundeten Andrassy kommen ließ und man wird verstehen, wie übel
die Rolle unserer Diplomaten wäre, wenn sie sich zu Trägern der polnischen
Mißstimmung machten, wie ihnen von manchen Seiten imputiert wird. Ich
mag daran nicht glauben!

Bleibt die Frage, ob der Herr Reichskanzler und mit ihm der Herr
Oberpräsident von Posen an die Möglichkeit einer Aussöhnung mit den Polen
ohne Garantie für die Wiederherstellung eines mehr oder minder autonomen
polnischen Staates glauben. Wäre es der Fall, so kennen sie entweder die


Rcichsspiegel

sie davon nicht abhalten. Aus welchen Gründen und zu welchem Zweck also
ein Verhalten, das nur Mißtrauen im deutscheu Volke gegen die Regierung sät
und das Ansehen der deutschen Beamten, die in der Ostmark die wichtigsten
Träger des deutschen Gedankens sind, wenn nicht erschüttert, .so doch unendlich
erschwert?

Über Zweck und Ziel des neuesten Polenkurses ist naturgemäß viel ge¬
schrieben und geraten worden. Zu den wiederholten Versicherungen der Re¬
gierung, daß von einem Versöhnungskurs nicht die Rede sein könne, ist
auch ein Schreiben des Herrn Präsidialrat Naumann zu Posen an die
Kreuzzeitung zu rechnen, das die Politik des Oberpräsidenten gut national
nennt, — übrigens ein novum im preußischen Beamtenkörper, daß Unter¬
gebene ihre Vorgesetzten öffentlich loben! Rücksicht auf den österreichischen
Bundesgenossen soll nach einer Lesart, Rücksichtnahme auf die deutsche Zen¬
trumspartei nach einer anderen die Ursache für die neue Richtung sein. Wenn
die zweite Lesart richtig sein sollte, müßten wir darauf gefaßt sein, daß
demnächst mit der Regel gebrochen wird, ausschließlich evangelische Bauern
in der Ostmark anzusetzen und daß man wahllos auch katholische Ansiedler auf¬
nimmt. Sollte dies wirklich geschehen, dann bedeutete das die Preisgabe des
nationalen Zweckes, dem die Anstedlungskommission bisher diente. Nicht daß
die heute lebenden katholischen Bauern in ihrer Gesinnung verdächtigt werden
sollen! Sie würden gewiß der polnischen Propaganda standhalten. Die Gefahr
liegt bei ihren Kindern und Kindeskindern und bei den Ehen mit Polen. Es
ist kein Märchen, daß die Muttergottes als Königin von Polen verehrt wird
und leicht läßt sich dies Symbol einer glücklichen Zukunft Polens auch in die
Herzen der bayerischen Bauernknaben pflanzen, wenn sie auf ehemals polnischem
Boden unter der Obhut polnischer Geistlicher aufwachsen!

Für das andere Argument, daß die preußische Negierung sich von Öster¬
reich leiten lasse, fehlt mir jeder Anhaltspunkt. Wie tief müßten wir mit
unsrer politischen Stellung im Dreibund und in Europa herunter gekommen sein,
wenn ein Stirnrunzeln der österreichischen Polenpartei genügte, um Maßnahmen
unserer inneren Politik zu modifizieren! Daß aber die österreichische Negierung
offiziell vorstellig werden könnte, halte ich für absolut unmöglich. Man lese
einmal im zweiten Bande von Wertheimers Andrassy nach, wie vorsichtig Bis-
marck sein Mißbehagen gegenüber der österreichischen Polenpolitik zur Kenntnis
des ihm befreundeten Andrassy kommen ließ und man wird verstehen, wie übel
die Rolle unserer Diplomaten wäre, wenn sie sich zu Trägern der polnischen
Mißstimmung machten, wie ihnen von manchen Seiten imputiert wird. Ich
mag daran nicht glauben!

Bleibt die Frage, ob der Herr Reichskanzler und mit ihm der Herr
Oberpräsident von Posen an die Möglichkeit einer Aussöhnung mit den Polen
ohne Garantie für die Wiederherstellung eines mehr oder minder autonomen
polnischen Staates glauben. Wäre es der Fall, so kennen sie entweder die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0103" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/326915"/>
          <fw type="header" place="top"> Rcichsspiegel</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_396" prev="#ID_395"> sie davon nicht abhalten. Aus welchen Gründen und zu welchem Zweck also<lb/>
ein Verhalten, das nur Mißtrauen im deutscheu Volke gegen die Regierung sät<lb/>
und das Ansehen der deutschen Beamten, die in der Ostmark die wichtigsten<lb/>
Träger des deutschen Gedankens sind, wenn nicht erschüttert, .so doch unendlich<lb/>
erschwert?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_397"> Über Zweck und Ziel des neuesten Polenkurses ist naturgemäß viel ge¬<lb/>
schrieben und geraten worden. Zu den wiederholten Versicherungen der Re¬<lb/>
gierung, daß von einem Versöhnungskurs nicht die Rede sein könne, ist<lb/>
auch ein Schreiben des Herrn Präsidialrat Naumann zu Posen an die<lb/>
Kreuzzeitung zu rechnen, das die Politik des Oberpräsidenten gut national<lb/>
nennt, &#x2014; übrigens ein novum im preußischen Beamtenkörper, daß Unter¬<lb/>
gebene ihre Vorgesetzten öffentlich loben! Rücksicht auf den österreichischen<lb/>
Bundesgenossen soll nach einer Lesart, Rücksichtnahme auf die deutsche Zen¬<lb/>
trumspartei nach einer anderen die Ursache für die neue Richtung sein. Wenn<lb/>
die zweite Lesart richtig sein sollte, müßten wir darauf gefaßt sein, daß<lb/>
demnächst mit der Regel gebrochen wird, ausschließlich evangelische Bauern<lb/>
in der Ostmark anzusetzen und daß man wahllos auch katholische Ansiedler auf¬<lb/>
nimmt. Sollte dies wirklich geschehen, dann bedeutete das die Preisgabe des<lb/>
nationalen Zweckes, dem die Anstedlungskommission bisher diente. Nicht daß<lb/>
die heute lebenden katholischen Bauern in ihrer Gesinnung verdächtigt werden<lb/>
sollen! Sie würden gewiß der polnischen Propaganda standhalten. Die Gefahr<lb/>
liegt bei ihren Kindern und Kindeskindern und bei den Ehen mit Polen. Es<lb/>
ist kein Märchen, daß die Muttergottes als Königin von Polen verehrt wird<lb/>
und leicht läßt sich dies Symbol einer glücklichen Zukunft Polens auch in die<lb/>
Herzen der bayerischen Bauernknaben pflanzen, wenn sie auf ehemals polnischem<lb/>
Boden unter der Obhut polnischer Geistlicher aufwachsen!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_398"> Für das andere Argument, daß die preußische Negierung sich von Öster¬<lb/>
reich leiten lasse, fehlt mir jeder Anhaltspunkt. Wie tief müßten wir mit<lb/>
unsrer politischen Stellung im Dreibund und in Europa herunter gekommen sein,<lb/>
wenn ein Stirnrunzeln der österreichischen Polenpartei genügte, um Maßnahmen<lb/>
unserer inneren Politik zu modifizieren! Daß aber die österreichische Negierung<lb/>
offiziell vorstellig werden könnte, halte ich für absolut unmöglich. Man lese<lb/>
einmal im zweiten Bande von Wertheimers Andrassy nach, wie vorsichtig Bis-<lb/>
marck sein Mißbehagen gegenüber der österreichischen Polenpolitik zur Kenntnis<lb/>
des ihm befreundeten Andrassy kommen ließ und man wird verstehen, wie übel<lb/>
die Rolle unserer Diplomaten wäre, wenn sie sich zu Trägern der polnischen<lb/>
Mißstimmung machten, wie ihnen von manchen Seiten imputiert wird. Ich<lb/>
mag daran nicht glauben!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_399" next="#ID_400"> Bleibt die Frage, ob der Herr Reichskanzler und mit ihm der Herr<lb/>
Oberpräsident von Posen an die Möglichkeit einer Aussöhnung mit den Polen<lb/>
ohne Garantie für die Wiederherstellung eines mehr oder minder autonomen<lb/>
polnischen Staates glauben.  Wäre es der Fall, so kennen sie entweder die</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0103] Rcichsspiegel sie davon nicht abhalten. Aus welchen Gründen und zu welchem Zweck also ein Verhalten, das nur Mißtrauen im deutscheu Volke gegen die Regierung sät und das Ansehen der deutschen Beamten, die in der Ostmark die wichtigsten Träger des deutschen Gedankens sind, wenn nicht erschüttert, .so doch unendlich erschwert? Über Zweck und Ziel des neuesten Polenkurses ist naturgemäß viel ge¬ schrieben und geraten worden. Zu den wiederholten Versicherungen der Re¬ gierung, daß von einem Versöhnungskurs nicht die Rede sein könne, ist auch ein Schreiben des Herrn Präsidialrat Naumann zu Posen an die Kreuzzeitung zu rechnen, das die Politik des Oberpräsidenten gut national nennt, — übrigens ein novum im preußischen Beamtenkörper, daß Unter¬ gebene ihre Vorgesetzten öffentlich loben! Rücksicht auf den österreichischen Bundesgenossen soll nach einer Lesart, Rücksichtnahme auf die deutsche Zen¬ trumspartei nach einer anderen die Ursache für die neue Richtung sein. Wenn die zweite Lesart richtig sein sollte, müßten wir darauf gefaßt sein, daß demnächst mit der Regel gebrochen wird, ausschließlich evangelische Bauern in der Ostmark anzusetzen und daß man wahllos auch katholische Ansiedler auf¬ nimmt. Sollte dies wirklich geschehen, dann bedeutete das die Preisgabe des nationalen Zweckes, dem die Anstedlungskommission bisher diente. Nicht daß die heute lebenden katholischen Bauern in ihrer Gesinnung verdächtigt werden sollen! Sie würden gewiß der polnischen Propaganda standhalten. Die Gefahr liegt bei ihren Kindern und Kindeskindern und bei den Ehen mit Polen. Es ist kein Märchen, daß die Muttergottes als Königin von Polen verehrt wird und leicht läßt sich dies Symbol einer glücklichen Zukunft Polens auch in die Herzen der bayerischen Bauernknaben pflanzen, wenn sie auf ehemals polnischem Boden unter der Obhut polnischer Geistlicher aufwachsen! Für das andere Argument, daß die preußische Negierung sich von Öster¬ reich leiten lasse, fehlt mir jeder Anhaltspunkt. Wie tief müßten wir mit unsrer politischen Stellung im Dreibund und in Europa herunter gekommen sein, wenn ein Stirnrunzeln der österreichischen Polenpartei genügte, um Maßnahmen unserer inneren Politik zu modifizieren! Daß aber die österreichische Negierung offiziell vorstellig werden könnte, halte ich für absolut unmöglich. Man lese einmal im zweiten Bande von Wertheimers Andrassy nach, wie vorsichtig Bis- marck sein Mißbehagen gegenüber der österreichischen Polenpolitik zur Kenntnis des ihm befreundeten Andrassy kommen ließ und man wird verstehen, wie übel die Rolle unserer Diplomaten wäre, wenn sie sich zu Trägern der polnischen Mißstimmung machten, wie ihnen von manchen Seiten imputiert wird. Ich mag daran nicht glauben! Bleibt die Frage, ob der Herr Reichskanzler und mit ihm der Herr Oberpräsident von Posen an die Möglichkeit einer Aussöhnung mit den Polen ohne Garantie für die Wiederherstellung eines mehr oder minder autonomen polnischen Staates glauben. Wäre es der Fall, so kennen sie entweder die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/103
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326811/103>, abgerufen am 23.07.2024.