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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Sturm

"Nicht einen Tag kann ich ohne dich sein!" war Wolff Joachims leiden¬
schaftliche Antwort gewesen. Es war geradezu eine Art Hörigkeit, die ihn diesem
jungen Weib verband, seitdem sie ihm ihre vollendete Schönheit und den Zauber
ihres schmiegsamen Wesens offenbart hatte.

"Wer weiß, wie lange ich fortbleiben muß!" hatte er hinzugesetzt. "Und
was kann sich nicht alles ereignen! Schon jetzt ist der Postverkehr vielfach gestört.
Ich höre vielleicht wochenlang nichts von dir. Und, wenn ich wiederkomme,
hat dich der Kerl wirklich erschossen und du bist längst begraben. . . ."

In der Vorstellung, daß dieser herrliche Frauenleib hingemordet werden
könnte, waren dem jungen Offizier die Tränen in die Augen gestiegen, ein
Gefühlsausbruch, der Loljas Eitelkeit um so mehr schmeichelte, als Wolff
Joachim in der Gesellschaft wegen der rücksichtslosen Härte seines Wesens
bekannt war.

"Nun bin ich natürlich in den Hintergrund gedrängt!" dachte sie, wie sie
in dieser beängstigend stillen Mittagstunde fröstelnd vor dem Ofen saß. Die
schlechte Laune zeichnete ihr Falten in die weiße Stirn unter dem schwarzen
üppigen Haar.

Da klirrten Sporen auf dem Korridor -- im nächsten Augenblick war die
Tür aufgerissen, und der so ungeduldig Ersehnte lag vor Lolja auf den Knien
und küßte ihre molligen Grübchenhände.

"Arme kleine Taube! Hast dich gelangweilt? Ich bringe Unterhaltung genug.
Komm jetzt, nebenan ist serviert -- unsere erste Kriegsmahlzeit! Du sollst im
Feld nicht darben, kleine Heldin."

Sekt wurde in den Burgunder gemischt und blutrot perlte es in den
geschliffenen Schalen.

"Heute rot -- morgen tot! heißt ein deutsches Reiterlied." Die Hand des
jungen Kriegers zitterte leicht, als er der Liebsten zutrank, wobei er tief in
ihre dunklen Augen sah.

(Fortsetzung folgt)




Sturm

„Nicht einen Tag kann ich ohne dich sein!" war Wolff Joachims leiden¬
schaftliche Antwort gewesen. Es war geradezu eine Art Hörigkeit, die ihn diesem
jungen Weib verband, seitdem sie ihm ihre vollendete Schönheit und den Zauber
ihres schmiegsamen Wesens offenbart hatte.

„Wer weiß, wie lange ich fortbleiben muß!" hatte er hinzugesetzt. „Und
was kann sich nicht alles ereignen! Schon jetzt ist der Postverkehr vielfach gestört.
Ich höre vielleicht wochenlang nichts von dir. Und, wenn ich wiederkomme,
hat dich der Kerl wirklich erschossen und du bist längst begraben. . . ."

In der Vorstellung, daß dieser herrliche Frauenleib hingemordet werden
könnte, waren dem jungen Offizier die Tränen in die Augen gestiegen, ein
Gefühlsausbruch, der Loljas Eitelkeit um so mehr schmeichelte, als Wolff
Joachim in der Gesellschaft wegen der rücksichtslosen Härte seines Wesens
bekannt war.

„Nun bin ich natürlich in den Hintergrund gedrängt!" dachte sie, wie sie
in dieser beängstigend stillen Mittagstunde fröstelnd vor dem Ofen saß. Die
schlechte Laune zeichnete ihr Falten in die weiße Stirn unter dem schwarzen
üppigen Haar.

Da klirrten Sporen auf dem Korridor — im nächsten Augenblick war die
Tür aufgerissen, und der so ungeduldig Ersehnte lag vor Lolja auf den Knien
und küßte ihre molligen Grübchenhände.

„Arme kleine Taube! Hast dich gelangweilt? Ich bringe Unterhaltung genug.
Komm jetzt, nebenan ist serviert — unsere erste Kriegsmahlzeit! Du sollst im
Feld nicht darben, kleine Heldin."

Sekt wurde in den Burgunder gemischt und blutrot perlte es in den
geschliffenen Schalen.

„Heute rot — morgen tot! heißt ein deutsches Reiterlied." Die Hand des
jungen Kriegers zitterte leicht, als er der Liebsten zutrank, wobei er tief in
ihre dunklen Augen sah.

(Fortsetzung folgt)




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[0098] Sturm „Nicht einen Tag kann ich ohne dich sein!" war Wolff Joachims leiden¬ schaftliche Antwort gewesen. Es war geradezu eine Art Hörigkeit, die ihn diesem jungen Weib verband, seitdem sie ihm ihre vollendete Schönheit und den Zauber ihres schmiegsamen Wesens offenbart hatte. „Wer weiß, wie lange ich fortbleiben muß!" hatte er hinzugesetzt. „Und was kann sich nicht alles ereignen! Schon jetzt ist der Postverkehr vielfach gestört. Ich höre vielleicht wochenlang nichts von dir. Und, wenn ich wiederkomme, hat dich der Kerl wirklich erschossen und du bist längst begraben. . . ." In der Vorstellung, daß dieser herrliche Frauenleib hingemordet werden könnte, waren dem jungen Offizier die Tränen in die Augen gestiegen, ein Gefühlsausbruch, der Loljas Eitelkeit um so mehr schmeichelte, als Wolff Joachim in der Gesellschaft wegen der rücksichtslosen Härte seines Wesens bekannt war. „Nun bin ich natürlich in den Hintergrund gedrängt!" dachte sie, wie sie in dieser beängstigend stillen Mittagstunde fröstelnd vor dem Ofen saß. Die schlechte Laune zeichnete ihr Falten in die weiße Stirn unter dem schwarzen üppigen Haar. Da klirrten Sporen auf dem Korridor — im nächsten Augenblick war die Tür aufgerissen, und der so ungeduldig Ersehnte lag vor Lolja auf den Knien und küßte ihre molligen Grübchenhände. „Arme kleine Taube! Hast dich gelangweilt? Ich bringe Unterhaltung genug. Komm jetzt, nebenan ist serviert — unsere erste Kriegsmahlzeit! Du sollst im Feld nicht darben, kleine Heldin." Sekt wurde in den Burgunder gemischt und blutrot perlte es in den geschliffenen Schalen. „Heute rot — morgen tot! heißt ein deutsches Reiterlied." Die Hand des jungen Kriegers zitterte leicht, als er der Liebsten zutrank, wobei er tief in ihre dunklen Augen sah. (Fortsetzung folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/98>, abgerufen am 28.12.2024.