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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Mit dem Kaiser auf Reisen

bald war es ein Pilz, eine Fruchtschale und ähnliches, bis sie zuletzt
die Form eines flachen Tellers annahm und dann ziemlich rasch vollständig
verschwand. Noch lange verweilte Se. Majestät an Deck um die helle Sommer¬
nacht und die lauwarme balsamiscke Lust zu genießen. Erst als um 1 Uhr
der Anker vor Bodo fiel, begab sich Se. Majestät auf kurze Zeit zur Ruhe,
um bereits um 3 Uhr wieder an Deck zu erscheinen und sich zu dem geplanten
Ausflug auf den Berg Löbsassen an Land zu begeben. Trotz der frühen
Morgenstunde war ganz Bodo am Ufer versammelt und erwartete die Ankunft
des Kaisers. Dieser fuhr mit einigen Herren des Gefolges im Kariol bis an
den Fuß des Berges, während der größere Teil des Gefolges, die Offiziere der
"Hohenzollern" und "Prinzeß Wilhelm" und die an Bord der letzteren befind¬
lichen Seekadetten zu Fuß bereits vorausgegangen waren. Von dem etwa eine
halbe Stunde von Bodo entfernten Fuß aus wurde der Gipfel des Berges in
stetigem Aufstieg in anderthalb Stunden erreicht."

Die Reise ging 1891 zum Nordkap, welches am 22. Juli erreicht wurde,
hinauf. Kiderlen faßt seine Eindrücke in die knappen Worte zusammen: "Auf
dem Nordkap war es scheußlich; einstündiges Gekraxel um in fo dichtem Nebel
anzukommen, daß.man kaum die Hand vor Augen sah!"

5. Die Nordlandfahrtgesellschaft

Die Reise von 1891 verlief insofern nicht ganz programmäßig. weil der
Kaiser das Unglück hatte auszugleiten und sich die Kniekapselbänder zu zerren.
Er war infolgedessen zum Liegen verurteilt und konnte keine Partien an Land
unternehmen. Für die Gäste des Monarchen entstand hierdurch eine fatale
Lage: der Kaiser drängte sie, sich in ihren Ausflügen und Vergnügen an Land
nicht stören zu lassen, während sie selbst den gastfreien Schiffsherrn nicht recht
der Langenweile preisgeben konnten! Es hieß also einen Ausweg zu finden.

Bei der großen Anzahl von geselligen Talenten, die mit an Bord waren,
fand sich Befreiung aus der schwierigen Situation leichter, als man gehofft
hatte und es ist wohl nicht übertrieben, wenn wir heute nach zweiundzwanzig
Jahren rückschauend feststellen, daß die dritte Reise zwar nicht an äußeren
Eindrücken die ergiebigste gewesen ist. wohl aber im Hinblick auf die engen
Bande, die sie um die Fahrtteilnehmer geschlungen hat. Um das Schmerzens-
lager des damals erst zweiunddreißigjährigen Kaisers bildete sich ein fröhlicher
Kreis, einig in dem Bestreben, dem Kaiser Ersatz zu bieten für die verloren¬
gegangenen Ausflüge und sonstigen Abwechslungen an Land. Wie die
Aufgabe gelöst wurde, erzählt Kiderlen in einem Schreiben vom 28. Juli 1891
an seine Schwester Sarah von Lattre: ". . . Abends sind Zauber- und
Theatervorstellungen. Ich bin bereits in zwei Stücken aufgetreten, im
.Gespenst um Mitternacht' als Kellner Kaleb und in .Othellos Erfolg' als
Fräulein Enlalia WeizenkornII! In einem improvisierten Tingeltangel habe ich
mit G____die siamesischen Zwillinge gemacht; zusammengewachsen waren wir


Mit dem Kaiser auf Reisen

bald war es ein Pilz, eine Fruchtschale und ähnliches, bis sie zuletzt
die Form eines flachen Tellers annahm und dann ziemlich rasch vollständig
verschwand. Noch lange verweilte Se. Majestät an Deck um die helle Sommer¬
nacht und die lauwarme balsamiscke Lust zu genießen. Erst als um 1 Uhr
der Anker vor Bodo fiel, begab sich Se. Majestät auf kurze Zeit zur Ruhe,
um bereits um 3 Uhr wieder an Deck zu erscheinen und sich zu dem geplanten
Ausflug auf den Berg Löbsassen an Land zu begeben. Trotz der frühen
Morgenstunde war ganz Bodo am Ufer versammelt und erwartete die Ankunft
des Kaisers. Dieser fuhr mit einigen Herren des Gefolges im Kariol bis an
den Fuß des Berges, während der größere Teil des Gefolges, die Offiziere der
„Hohenzollern" und „Prinzeß Wilhelm" und die an Bord der letzteren befind¬
lichen Seekadetten zu Fuß bereits vorausgegangen waren. Von dem etwa eine
halbe Stunde von Bodo entfernten Fuß aus wurde der Gipfel des Berges in
stetigem Aufstieg in anderthalb Stunden erreicht."

Die Reise ging 1891 zum Nordkap, welches am 22. Juli erreicht wurde,
hinauf. Kiderlen faßt seine Eindrücke in die knappen Worte zusammen: „Auf
dem Nordkap war es scheußlich; einstündiges Gekraxel um in fo dichtem Nebel
anzukommen, daß.man kaum die Hand vor Augen sah!"

5. Die Nordlandfahrtgesellschaft

Die Reise von 1891 verlief insofern nicht ganz programmäßig. weil der
Kaiser das Unglück hatte auszugleiten und sich die Kniekapselbänder zu zerren.
Er war infolgedessen zum Liegen verurteilt und konnte keine Partien an Land
unternehmen. Für die Gäste des Monarchen entstand hierdurch eine fatale
Lage: der Kaiser drängte sie, sich in ihren Ausflügen und Vergnügen an Land
nicht stören zu lassen, während sie selbst den gastfreien Schiffsherrn nicht recht
der Langenweile preisgeben konnten! Es hieß also einen Ausweg zu finden.

Bei der großen Anzahl von geselligen Talenten, die mit an Bord waren,
fand sich Befreiung aus der schwierigen Situation leichter, als man gehofft
hatte und es ist wohl nicht übertrieben, wenn wir heute nach zweiundzwanzig
Jahren rückschauend feststellen, daß die dritte Reise zwar nicht an äußeren
Eindrücken die ergiebigste gewesen ist. wohl aber im Hinblick auf die engen
Bande, die sie um die Fahrtteilnehmer geschlungen hat. Um das Schmerzens-
lager des damals erst zweiunddreißigjährigen Kaisers bildete sich ein fröhlicher
Kreis, einig in dem Bestreben, dem Kaiser Ersatz zu bieten für die verloren¬
gegangenen Ausflüge und sonstigen Abwechslungen an Land. Wie die
Aufgabe gelöst wurde, erzählt Kiderlen in einem Schreiben vom 28. Juli 1891
an seine Schwester Sarah von Lattre: „. . . Abends sind Zauber- und
Theatervorstellungen. Ich bin bereits in zwei Stücken aufgetreten, im
.Gespenst um Mitternacht' als Kellner Kaleb und in .Othellos Erfolg' als
Fräulein Enlalia WeizenkornII! In einem improvisierten Tingeltangel habe ich
mit G____die siamesischen Zwillinge gemacht; zusammengewachsen waren wir


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[0087] Mit dem Kaiser auf Reisen bald war es ein Pilz, eine Fruchtschale und ähnliches, bis sie zuletzt die Form eines flachen Tellers annahm und dann ziemlich rasch vollständig verschwand. Noch lange verweilte Se. Majestät an Deck um die helle Sommer¬ nacht und die lauwarme balsamiscke Lust zu genießen. Erst als um 1 Uhr der Anker vor Bodo fiel, begab sich Se. Majestät auf kurze Zeit zur Ruhe, um bereits um 3 Uhr wieder an Deck zu erscheinen und sich zu dem geplanten Ausflug auf den Berg Löbsassen an Land zu begeben. Trotz der frühen Morgenstunde war ganz Bodo am Ufer versammelt und erwartete die Ankunft des Kaisers. Dieser fuhr mit einigen Herren des Gefolges im Kariol bis an den Fuß des Berges, während der größere Teil des Gefolges, die Offiziere der „Hohenzollern" und „Prinzeß Wilhelm" und die an Bord der letzteren befind¬ lichen Seekadetten zu Fuß bereits vorausgegangen waren. Von dem etwa eine halbe Stunde von Bodo entfernten Fuß aus wurde der Gipfel des Berges in stetigem Aufstieg in anderthalb Stunden erreicht." Die Reise ging 1891 zum Nordkap, welches am 22. Juli erreicht wurde, hinauf. Kiderlen faßt seine Eindrücke in die knappen Worte zusammen: „Auf dem Nordkap war es scheußlich; einstündiges Gekraxel um in fo dichtem Nebel anzukommen, daß.man kaum die Hand vor Augen sah!" 5. Die Nordlandfahrtgesellschaft Die Reise von 1891 verlief insofern nicht ganz programmäßig. weil der Kaiser das Unglück hatte auszugleiten und sich die Kniekapselbänder zu zerren. Er war infolgedessen zum Liegen verurteilt und konnte keine Partien an Land unternehmen. Für die Gäste des Monarchen entstand hierdurch eine fatale Lage: der Kaiser drängte sie, sich in ihren Ausflügen und Vergnügen an Land nicht stören zu lassen, während sie selbst den gastfreien Schiffsherrn nicht recht der Langenweile preisgeben konnten! Es hieß also einen Ausweg zu finden. Bei der großen Anzahl von geselligen Talenten, die mit an Bord waren, fand sich Befreiung aus der schwierigen Situation leichter, als man gehofft hatte und es ist wohl nicht übertrieben, wenn wir heute nach zweiundzwanzig Jahren rückschauend feststellen, daß die dritte Reise zwar nicht an äußeren Eindrücken die ergiebigste gewesen ist. wohl aber im Hinblick auf die engen Bande, die sie um die Fahrtteilnehmer geschlungen hat. Um das Schmerzens- lager des damals erst zweiunddreißigjährigen Kaisers bildete sich ein fröhlicher Kreis, einig in dem Bestreben, dem Kaiser Ersatz zu bieten für die verloren¬ gegangenen Ausflüge und sonstigen Abwechslungen an Land. Wie die Aufgabe gelöst wurde, erzählt Kiderlen in einem Schreiben vom 28. Juli 1891 an seine Schwester Sarah von Lattre: „. . . Abends sind Zauber- und Theatervorstellungen. Ich bin bereits in zwei Stücken aufgetreten, im .Gespenst um Mitternacht' als Kellner Kaleb und in .Othellos Erfolg' als Fräulein Enlalia WeizenkornII! In einem improvisierten Tingeltangel habe ich mit G____die siamesischen Zwillinge gemacht; zusammengewachsen waren wir

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/87>, abgerufen am 19.10.2024.