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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Das Symbol in der Kunst

fierung seiner ganzen Farbensymbolik einige weitere Gefühlsnuancen angegeben,
die Kandinski in diesen Farben findet. "Gelb ist die typisch irdische Farbe."
"Verglichen mit dem Gemütszustand des Menschen könnte es als farbige Dar¬
stellung des Wahnsinns wirken, aber nicht der Melancholie, Hypochondrie,
sondern eines Wutanfalles, der blinden Tollheit, der Tobsucht." Das Gelb
klingt wie eine immer lauter "geblasene scharfe Trompete oder wie ein in die
Höhe gebrachter Fanfarenton". Blau ist die typisch himmlische Farbe. Sehr
tiefgehend entwickelt das Blau das Element der Ruhe. Zum Schwarzen
sinkend bekommt es den Beiklang einer "nicht menschlichen Trauer". "Musi¬
kalisch dargestellt, ist Helles Blau der Flöte ähnlich, das dunkle dem Cello,
immer tiefer gehend, den wundervollen Klängen der Baßgeige; in tiefer, feier¬
licher Form ist der Klang des Blau dem der tiefen Orgel vergleichbar."

Es würde hier zu weit gehen, noch mehr Einzelheiten aus Kcmdinskis
Farbensymbolik anzuführen. Als weitere Gegensätze führt er neben Hell und
Dunkel (Weiß und Schwarz, jenes charakterisiert durch "ewigen Widerstand
und trotzdem Möglichkeit, Geburt", dieses durch "absolute Widerstandslosigkeit
und keine Möglichkeit, Tod"), noch Rot und Grün, Orange und Violett auf.
Schon aus den wenigen hier stehenden Proben geht hervor, daß diese Farben¬
symbolik keineswegs sehr originell, sehr individuell ist. Sie ist aber, was
schlimmer ist, vielfach gar nicht einmal gesehen und gefühlt, sondern vielmehr
logisch konstruiert. So sagt z. B. Kandinski vom Grün: "Ideales Gleichgewicht
in der Mischung dieser zwei in allem diametral verschiedenen Farben (Gelb
und Blau) bildet das Grün. Die horizontalen Bewegungen vernichten sich gegen¬
seitig. Die Bewegungen aus und ins Zentrum vernichten sich ebenso. Es
entsteht Ruhe. Dies ist der logische Schluß. . . Und das direkte Wirten aufs
Auge und schließlich auf die Seele führt zu demselben Resultat."

Hier tritt bei Kandinski die logische Konstruktion, das begriffliche Denken
ganz offenkundig vor das Schauen und Fühlen*), und das ist an unzähligen
anderen Stellen ebenso der Fall. Der ganze Expressionismus -- und damit
sind wir bei dem ausschlaggebenden Endpunkt unserer Betrachtung angelangt --
baut sich auf einem logischen Gedanken auf, nämlich auf dem Gedanken, daß
es möglich sei, von jeder sachlichen Bedeutung der Formen und Färben zu
abstrahieren, sich reine Formen und Farben vorzustellen. Das ist in der Logik
in der Tat möglich; aber der Expressionismus ging daran, diese logische Ab¬
straktion auf die Kunst zu übertragen. Er ist nicht so sehr das Produkt eines
neuartigen Schauens und Fühlens als vielmehr des denkenden Verstandes, seine
Symbole sind keine geschauten und gefühlten, sondern erdachte.

Es ist wohl überhaupt ein vergebliches Bemühen, eine allgemein-ver¬
ständliche Symbolik für komplizierte Gemütszustande auf den reinen Formen



*) Das geschieht übrigens nicht nur bei Kandinski und dem Expressionismus, sondern
auch beim Futurismus.
Das Symbol in der Kunst

fierung seiner ganzen Farbensymbolik einige weitere Gefühlsnuancen angegeben,
die Kandinski in diesen Farben findet. „Gelb ist die typisch irdische Farbe."
„Verglichen mit dem Gemütszustand des Menschen könnte es als farbige Dar¬
stellung des Wahnsinns wirken, aber nicht der Melancholie, Hypochondrie,
sondern eines Wutanfalles, der blinden Tollheit, der Tobsucht." Das Gelb
klingt wie eine immer lauter „geblasene scharfe Trompete oder wie ein in die
Höhe gebrachter Fanfarenton". Blau ist die typisch himmlische Farbe. Sehr
tiefgehend entwickelt das Blau das Element der Ruhe. Zum Schwarzen
sinkend bekommt es den Beiklang einer „nicht menschlichen Trauer". „Musi¬
kalisch dargestellt, ist Helles Blau der Flöte ähnlich, das dunkle dem Cello,
immer tiefer gehend, den wundervollen Klängen der Baßgeige; in tiefer, feier¬
licher Form ist der Klang des Blau dem der tiefen Orgel vergleichbar."

Es würde hier zu weit gehen, noch mehr Einzelheiten aus Kcmdinskis
Farbensymbolik anzuführen. Als weitere Gegensätze führt er neben Hell und
Dunkel (Weiß und Schwarz, jenes charakterisiert durch „ewigen Widerstand
und trotzdem Möglichkeit, Geburt", dieses durch „absolute Widerstandslosigkeit
und keine Möglichkeit, Tod"), noch Rot und Grün, Orange und Violett auf.
Schon aus den wenigen hier stehenden Proben geht hervor, daß diese Farben¬
symbolik keineswegs sehr originell, sehr individuell ist. Sie ist aber, was
schlimmer ist, vielfach gar nicht einmal gesehen und gefühlt, sondern vielmehr
logisch konstruiert. So sagt z. B. Kandinski vom Grün: „Ideales Gleichgewicht
in der Mischung dieser zwei in allem diametral verschiedenen Farben (Gelb
und Blau) bildet das Grün. Die horizontalen Bewegungen vernichten sich gegen¬
seitig. Die Bewegungen aus und ins Zentrum vernichten sich ebenso. Es
entsteht Ruhe. Dies ist der logische Schluß. . . Und das direkte Wirten aufs
Auge und schließlich auf die Seele führt zu demselben Resultat."

Hier tritt bei Kandinski die logische Konstruktion, das begriffliche Denken
ganz offenkundig vor das Schauen und Fühlen*), und das ist an unzähligen
anderen Stellen ebenso der Fall. Der ganze Expressionismus — und damit
sind wir bei dem ausschlaggebenden Endpunkt unserer Betrachtung angelangt —
baut sich auf einem logischen Gedanken auf, nämlich auf dem Gedanken, daß
es möglich sei, von jeder sachlichen Bedeutung der Formen und Färben zu
abstrahieren, sich reine Formen und Farben vorzustellen. Das ist in der Logik
in der Tat möglich; aber der Expressionismus ging daran, diese logische Ab¬
straktion auf die Kunst zu übertragen. Er ist nicht so sehr das Produkt eines
neuartigen Schauens und Fühlens als vielmehr des denkenden Verstandes, seine
Symbole sind keine geschauten und gefühlten, sondern erdachte.

Es ist wohl überhaupt ein vergebliches Bemühen, eine allgemein-ver¬
ständliche Symbolik für komplizierte Gemütszustande auf den reinen Formen



*) Das geschieht übrigens nicht nur bei Kandinski und dem Expressionismus, sondern
auch beim Futurismus.
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[0074] Das Symbol in der Kunst fierung seiner ganzen Farbensymbolik einige weitere Gefühlsnuancen angegeben, die Kandinski in diesen Farben findet. „Gelb ist die typisch irdische Farbe." „Verglichen mit dem Gemütszustand des Menschen könnte es als farbige Dar¬ stellung des Wahnsinns wirken, aber nicht der Melancholie, Hypochondrie, sondern eines Wutanfalles, der blinden Tollheit, der Tobsucht." Das Gelb klingt wie eine immer lauter „geblasene scharfe Trompete oder wie ein in die Höhe gebrachter Fanfarenton". Blau ist die typisch himmlische Farbe. Sehr tiefgehend entwickelt das Blau das Element der Ruhe. Zum Schwarzen sinkend bekommt es den Beiklang einer „nicht menschlichen Trauer". „Musi¬ kalisch dargestellt, ist Helles Blau der Flöte ähnlich, das dunkle dem Cello, immer tiefer gehend, den wundervollen Klängen der Baßgeige; in tiefer, feier¬ licher Form ist der Klang des Blau dem der tiefen Orgel vergleichbar." Es würde hier zu weit gehen, noch mehr Einzelheiten aus Kcmdinskis Farbensymbolik anzuführen. Als weitere Gegensätze führt er neben Hell und Dunkel (Weiß und Schwarz, jenes charakterisiert durch „ewigen Widerstand und trotzdem Möglichkeit, Geburt", dieses durch „absolute Widerstandslosigkeit und keine Möglichkeit, Tod"), noch Rot und Grün, Orange und Violett auf. Schon aus den wenigen hier stehenden Proben geht hervor, daß diese Farben¬ symbolik keineswegs sehr originell, sehr individuell ist. Sie ist aber, was schlimmer ist, vielfach gar nicht einmal gesehen und gefühlt, sondern vielmehr logisch konstruiert. So sagt z. B. Kandinski vom Grün: „Ideales Gleichgewicht in der Mischung dieser zwei in allem diametral verschiedenen Farben (Gelb und Blau) bildet das Grün. Die horizontalen Bewegungen vernichten sich gegen¬ seitig. Die Bewegungen aus und ins Zentrum vernichten sich ebenso. Es entsteht Ruhe. Dies ist der logische Schluß. . . Und das direkte Wirten aufs Auge und schließlich auf die Seele führt zu demselben Resultat." Hier tritt bei Kandinski die logische Konstruktion, das begriffliche Denken ganz offenkundig vor das Schauen und Fühlen*), und das ist an unzähligen anderen Stellen ebenso der Fall. Der ganze Expressionismus — und damit sind wir bei dem ausschlaggebenden Endpunkt unserer Betrachtung angelangt — baut sich auf einem logischen Gedanken auf, nämlich auf dem Gedanken, daß es möglich sei, von jeder sachlichen Bedeutung der Formen und Färben zu abstrahieren, sich reine Formen und Farben vorzustellen. Das ist in der Logik in der Tat möglich; aber der Expressionismus ging daran, diese logische Ab¬ straktion auf die Kunst zu übertragen. Er ist nicht so sehr das Produkt eines neuartigen Schauens und Fühlens als vielmehr des denkenden Verstandes, seine Symbole sind keine geschauten und gefühlten, sondern erdachte. Es ist wohl überhaupt ein vergebliches Bemühen, eine allgemein-ver¬ ständliche Symbolik für komplizierte Gemütszustande auf den reinen Formen *) Das geschieht übrigens nicht nur bei Kandinski und dem Expressionismus, sondern auch beim Futurismus.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/74>, abgerufen am 28.12.2024.