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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Trutzig und herrschgewaltig steht das Schloß Wallensteins da mit breit
ausladender Rampe. Noch heute wird hinter seinen Mauern gekämpft; denn
hier tagt der böhmische Landtag. Hinauf führt der Weg durch die Gangsteige
mit den schlechten Pflastersteinen zum Hradschin, der alten Königsburg, von der
so zahllose Herrscherträume hinaus ins Land flogen seit den Zeiten der sagen¬
haften Libussa. des Ritters Dalibor, König Ottokars des Przemysliden und
Georg Podiebrads. Noch steht jene alte Landtagskanzlei mit der schlichten Ein¬
richtung des Jahres 1618, und aus den Fenstern blickt man hinaus über
blühende Wipfel und hinab in den Wallgraben. Es sind dieselben Fenster,
aus denen am 23. Mai 1618 der protestantische Adel Böhmens die Kaiserlichen
Statthalter Slawata und Martinitz herauswarf, und ihren Geheimschreiber
Fabricius hinterherschickte. Es war ein gewaltiger Wurf der Weltgeschichte,
der mit diesen drei Personen aus dem Fenster flog! Dreispaltig sind diese
Fenster, durch zwei steinerne Pfeiler geteilt. Welche Mühe mag es gekostet
haben, die gewiß stattlichen und sich sträubenden Herren durch diese engen
Öffnungen hinauszuschieben. Wie mag sich Martinitz an dem einen dieser
Fensterkreuze festgehalten haben, bis ihm der eherne Degenknauf Mathias von
Thurms die Knöchel zerschlug, daß er loslassen mußte.

Beginn und Schluß des dreißigjährigen Schicksals liegen in Prag dicht bei¬
einander. Von der Kleinseite führt über die Moldau die alte ehrwürdige Karls¬
brücke. Drei eiserne Sterne bezeichnen die Stelle noch, da König Wenzeslaus
den seiner Priesterpflicht getreuen Jan von Pomuk in die Moldau werfen ließ.
Aber kampffroheres Bild zeigt mir diese Brücke. Ein Frühmorgen des Jahres 1648
dämmert über Prag. Noch liegt die Stadt in Schlummers Armen, da tönt
der Schreckensruf durch die Gassen: "die Schweden sind in der Kleinseite!" Schon
dringen ihre gelben Koller durch jene enge Pforte, die noch heute die Karls¬
brücke nach der Kleinseite zu beschließt. Schon sind sie auf der Brücke, noch
100 Meter trennen sie von der Altseite. Bald ist die Hauptstadt Böhmens in
den Händen des gefürchteten Feindes; da kommt es mit fliegendem Haar und
offenen Wämsern durch das Tor der Altstadt die Brücke entlang; die langen
Raufdegen voraus, werfen sie sich in die Hellebarden der Schweden. "Das
sind die Herren Studenten, zum Tor hinaus es geht!" Es ist die akademische
Jugend der alten Karls-Universität, die an jenem Sommermorgen des Jahres 1648
die Altstadt vor dem Grafen Königsmark gerettet hat. Kurz darauf läuten die
Friedensglocken von Münster und Osnabrück.

Aber wo finde ich das Sterbehaus Scharnhorsts? Durch die winkligen
Gassen der Altstadt führt mich der Weg. Trüb und regnerisch hat sich der
Abend gesenkt. Da trete ich heraus auf den Markt an der Teynkirche. Hier
haben sie einst nach der unglücklichen Schlacht am weißen Berge der Blüte des
protestantischen Adels das Haupt vor die Füße gelegt, weil er die Privilegien
der Stände Böhmens und die evangelische Freiheit verteidigt hatte. Noch
stehen die Häuser, vor allem Kinskns Palast, um jenen Platz wie 1621. noch


Trutzig und herrschgewaltig steht das Schloß Wallensteins da mit breit
ausladender Rampe. Noch heute wird hinter seinen Mauern gekämpft; denn
hier tagt der böhmische Landtag. Hinauf führt der Weg durch die Gangsteige
mit den schlechten Pflastersteinen zum Hradschin, der alten Königsburg, von der
so zahllose Herrscherträume hinaus ins Land flogen seit den Zeiten der sagen¬
haften Libussa. des Ritters Dalibor, König Ottokars des Przemysliden und
Georg Podiebrads. Noch steht jene alte Landtagskanzlei mit der schlichten Ein¬
richtung des Jahres 1618, und aus den Fenstern blickt man hinaus über
blühende Wipfel und hinab in den Wallgraben. Es sind dieselben Fenster,
aus denen am 23. Mai 1618 der protestantische Adel Böhmens die Kaiserlichen
Statthalter Slawata und Martinitz herauswarf, und ihren Geheimschreiber
Fabricius hinterherschickte. Es war ein gewaltiger Wurf der Weltgeschichte,
der mit diesen drei Personen aus dem Fenster flog! Dreispaltig sind diese
Fenster, durch zwei steinerne Pfeiler geteilt. Welche Mühe mag es gekostet
haben, die gewiß stattlichen und sich sträubenden Herren durch diese engen
Öffnungen hinauszuschieben. Wie mag sich Martinitz an dem einen dieser
Fensterkreuze festgehalten haben, bis ihm der eherne Degenknauf Mathias von
Thurms die Knöchel zerschlug, daß er loslassen mußte.

Beginn und Schluß des dreißigjährigen Schicksals liegen in Prag dicht bei¬
einander. Von der Kleinseite führt über die Moldau die alte ehrwürdige Karls¬
brücke. Drei eiserne Sterne bezeichnen die Stelle noch, da König Wenzeslaus
den seiner Priesterpflicht getreuen Jan von Pomuk in die Moldau werfen ließ.
Aber kampffroheres Bild zeigt mir diese Brücke. Ein Frühmorgen des Jahres 1648
dämmert über Prag. Noch liegt die Stadt in Schlummers Armen, da tönt
der Schreckensruf durch die Gassen: „die Schweden sind in der Kleinseite!" Schon
dringen ihre gelben Koller durch jene enge Pforte, die noch heute die Karls¬
brücke nach der Kleinseite zu beschließt. Schon sind sie auf der Brücke, noch
100 Meter trennen sie von der Altseite. Bald ist die Hauptstadt Böhmens in
den Händen des gefürchteten Feindes; da kommt es mit fliegendem Haar und
offenen Wämsern durch das Tor der Altstadt die Brücke entlang; die langen
Raufdegen voraus, werfen sie sich in die Hellebarden der Schweden. „Das
sind die Herren Studenten, zum Tor hinaus es geht!" Es ist die akademische
Jugend der alten Karls-Universität, die an jenem Sommermorgen des Jahres 1648
die Altstadt vor dem Grafen Königsmark gerettet hat. Kurz darauf läuten die
Friedensglocken von Münster und Osnabrück.

Aber wo finde ich das Sterbehaus Scharnhorsts? Durch die winkligen
Gassen der Altstadt führt mich der Weg. Trüb und regnerisch hat sich der
Abend gesenkt. Da trete ich heraus auf den Markt an der Teynkirche. Hier
haben sie einst nach der unglücklichen Schlacht am weißen Berge der Blüte des
protestantischen Adels das Haupt vor die Füße gelegt, weil er die Privilegien
der Stände Böhmens und die evangelische Freiheit verteidigt hatte. Noch
stehen die Häuser, vor allem Kinskns Palast, um jenen Platz wie 1621. noch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/63>, abgerufen am 20.10.2024.