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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Kinematograph und Zeitgeschichte

dabei in der Regel an die Nutzbarmachung des Kinematographen für wissen¬
schaftliche und für Unterrichtszwecke.

Es sind auch bei uns schon eine ganze Reihe von Vereinen und Gesell¬
schaften vorhanden, welche in mehr oder minder glücklicher Weise sich dieser
Aufgabe angenommen haben, und mehrere Zeitschriften wie "Bild und Filu"
sowie "Filu und Lichtbild" sind hauptsächlich diesen Bestrebungen gewidmet. Schon
heute werden hier und da besondere Schulvorstellungen veranstaltet und wenn
auch die systematische Nutzbarmachung des Kinematographen für den Unterricht
an den Volksschulen sowohl als auch an den höheren Lehranstalten noch in den
Anfangsstadien der Entwicklung sich befindet, so kann es doch keinem Zweifel
unterliegen, daß die Schulkinematographie noch eine große Zukunft hat. Das
gleiche gilt für die belehrenden Vorträge in Verbindung mit kinematographischen
Vorführungen, wie sie beispielsweise der schwedische Zensor Dr. Fevrell ver¬
anstaltet und wie man sie auch bei uns schon einzuführen versucht hat. Wenn
Filmfabrikanten, Filmverleiher und Kinobesitzer es verstehen, sich dem Bedürfnis
nach derartigen Veranstaltungen anzupassen, so wird es ihr Schade nicht sein.

Mit diesen Fragen wollen wir uns heute aber nicht beschäftigen, sondern
wollen die maßgebenden Kreise lediglich darauf aufmerksam machen, daß auch
nach anderer Richtung hin die Kinematographie auf unser aller Interesse An¬
spruch machen kann. Wir denken an die kinematographische Berichterstattung
über Tagesereignisse, wie sie namentlich von französischen Firmen, die ja über¬
haupt im wesentlichen den Weltmark beherrschen, namentlich Pathö, Gaumont
und Eclair, schon seit längerer Zeit als Pathö-Journal, Gaumont-Woche, Eclair-
Revue, seit gut einem Jahre aber in steigendem Maße auch von deutschen Film¬
fabriken, insbesondere der Freiburger Welt-Filu-G. in. b H., unter dem bezeich¬
nenden Titel "Der Tag im Filu" in den Handel gebracht werden.

In kinematographischen Fachzeitschriften konnte man namentlich in früheren
Jahren dithyrambische Lobpreisungen dieser kinematographischen Zeitungsbericht¬
erstattung lesen und in farbenprächtigen Zukunftsbildern geschildert finden, wie
in einigen Jahrzehnten die illustrierte Wiedergabe der Tagesereignisse in den
Zeitungen sich überlebt habe, da jedermann gewohnt sei. abends in seinem
Stammkino die Ereignisse des Tages sich als lebendige Zeitung, welche die
Lektüre zum großen Teil ersetze, anzuschauen. Wessen Phantasie noch kühnere
Bahnen einzuschlagen vermag, wird es vielleicht sogar für möglich halten, daß
über kurz oder lang jeder, der es sich leisten kann, in seinem Hauskino abends
die neuesten Ereignisse aus Nah und Fern sich vorführen läßt, vielleicht sogar,
ohne, daß in seiner Wohnung ein kinematographischer Vorführungsapparat sich
befindet. Wer will derartiges als unmöglich zu verwirklichendende phantastische
Träume bezeichnen, wenn man an die Fernübertragung von Bildern, an die
drahtlose Telegraphie und an die drahtlose Telephone denkt, ja auch nur an
die herrliche Erfindung der Kinematographie, die unseren Voreltern vor einem
halben Jahrhundert noch kaum wunderbarer und phantastischer gedünkt haben


Kinematograph und Zeitgeschichte

dabei in der Regel an die Nutzbarmachung des Kinematographen für wissen¬
schaftliche und für Unterrichtszwecke.

Es sind auch bei uns schon eine ganze Reihe von Vereinen und Gesell¬
schaften vorhanden, welche in mehr oder minder glücklicher Weise sich dieser
Aufgabe angenommen haben, und mehrere Zeitschriften wie „Bild und Filu"
sowie „Filu und Lichtbild" sind hauptsächlich diesen Bestrebungen gewidmet. Schon
heute werden hier und da besondere Schulvorstellungen veranstaltet und wenn
auch die systematische Nutzbarmachung des Kinematographen für den Unterricht
an den Volksschulen sowohl als auch an den höheren Lehranstalten noch in den
Anfangsstadien der Entwicklung sich befindet, so kann es doch keinem Zweifel
unterliegen, daß die Schulkinematographie noch eine große Zukunft hat. Das
gleiche gilt für die belehrenden Vorträge in Verbindung mit kinematographischen
Vorführungen, wie sie beispielsweise der schwedische Zensor Dr. Fevrell ver¬
anstaltet und wie man sie auch bei uns schon einzuführen versucht hat. Wenn
Filmfabrikanten, Filmverleiher und Kinobesitzer es verstehen, sich dem Bedürfnis
nach derartigen Veranstaltungen anzupassen, so wird es ihr Schade nicht sein.

Mit diesen Fragen wollen wir uns heute aber nicht beschäftigen, sondern
wollen die maßgebenden Kreise lediglich darauf aufmerksam machen, daß auch
nach anderer Richtung hin die Kinematographie auf unser aller Interesse An¬
spruch machen kann. Wir denken an die kinematographische Berichterstattung
über Tagesereignisse, wie sie namentlich von französischen Firmen, die ja über¬
haupt im wesentlichen den Weltmark beherrschen, namentlich Pathö, Gaumont
und Eclair, schon seit längerer Zeit als Pathö-Journal, Gaumont-Woche, Eclair-
Revue, seit gut einem Jahre aber in steigendem Maße auch von deutschen Film¬
fabriken, insbesondere der Freiburger Welt-Filu-G. in. b H., unter dem bezeich¬
nenden Titel „Der Tag im Filu" in den Handel gebracht werden.

In kinematographischen Fachzeitschriften konnte man namentlich in früheren
Jahren dithyrambische Lobpreisungen dieser kinematographischen Zeitungsbericht¬
erstattung lesen und in farbenprächtigen Zukunftsbildern geschildert finden, wie
in einigen Jahrzehnten die illustrierte Wiedergabe der Tagesereignisse in den
Zeitungen sich überlebt habe, da jedermann gewohnt sei. abends in seinem
Stammkino die Ereignisse des Tages sich als lebendige Zeitung, welche die
Lektüre zum großen Teil ersetze, anzuschauen. Wessen Phantasie noch kühnere
Bahnen einzuschlagen vermag, wird es vielleicht sogar für möglich halten, daß
über kurz oder lang jeder, der es sich leisten kann, in seinem Hauskino abends
die neuesten Ereignisse aus Nah und Fern sich vorführen läßt, vielleicht sogar,
ohne, daß in seiner Wohnung ein kinematographischer Vorführungsapparat sich
befindet. Wer will derartiges als unmöglich zu verwirklichendende phantastische
Träume bezeichnen, wenn man an die Fernübertragung von Bildern, an die
drahtlose Telegraphie und an die drahtlose Telephone denkt, ja auch nur an
die herrliche Erfindung der Kinematographie, die unseren Voreltern vor einem
halben Jahrhundert noch kaum wunderbarer und phantastischer gedünkt haben


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[0625] Kinematograph und Zeitgeschichte dabei in der Regel an die Nutzbarmachung des Kinematographen für wissen¬ schaftliche und für Unterrichtszwecke. Es sind auch bei uns schon eine ganze Reihe von Vereinen und Gesell¬ schaften vorhanden, welche in mehr oder minder glücklicher Weise sich dieser Aufgabe angenommen haben, und mehrere Zeitschriften wie „Bild und Filu" sowie „Filu und Lichtbild" sind hauptsächlich diesen Bestrebungen gewidmet. Schon heute werden hier und da besondere Schulvorstellungen veranstaltet und wenn auch die systematische Nutzbarmachung des Kinematographen für den Unterricht an den Volksschulen sowohl als auch an den höheren Lehranstalten noch in den Anfangsstadien der Entwicklung sich befindet, so kann es doch keinem Zweifel unterliegen, daß die Schulkinematographie noch eine große Zukunft hat. Das gleiche gilt für die belehrenden Vorträge in Verbindung mit kinematographischen Vorführungen, wie sie beispielsweise der schwedische Zensor Dr. Fevrell ver¬ anstaltet und wie man sie auch bei uns schon einzuführen versucht hat. Wenn Filmfabrikanten, Filmverleiher und Kinobesitzer es verstehen, sich dem Bedürfnis nach derartigen Veranstaltungen anzupassen, so wird es ihr Schade nicht sein. Mit diesen Fragen wollen wir uns heute aber nicht beschäftigen, sondern wollen die maßgebenden Kreise lediglich darauf aufmerksam machen, daß auch nach anderer Richtung hin die Kinematographie auf unser aller Interesse An¬ spruch machen kann. Wir denken an die kinematographische Berichterstattung über Tagesereignisse, wie sie namentlich von französischen Firmen, die ja über¬ haupt im wesentlichen den Weltmark beherrschen, namentlich Pathö, Gaumont und Eclair, schon seit längerer Zeit als Pathö-Journal, Gaumont-Woche, Eclair- Revue, seit gut einem Jahre aber in steigendem Maße auch von deutschen Film¬ fabriken, insbesondere der Freiburger Welt-Filu-G. in. b H., unter dem bezeich¬ nenden Titel „Der Tag im Filu" in den Handel gebracht werden. In kinematographischen Fachzeitschriften konnte man namentlich in früheren Jahren dithyrambische Lobpreisungen dieser kinematographischen Zeitungsbericht¬ erstattung lesen und in farbenprächtigen Zukunftsbildern geschildert finden, wie in einigen Jahrzehnten die illustrierte Wiedergabe der Tagesereignisse in den Zeitungen sich überlebt habe, da jedermann gewohnt sei. abends in seinem Stammkino die Ereignisse des Tages sich als lebendige Zeitung, welche die Lektüre zum großen Teil ersetze, anzuschauen. Wessen Phantasie noch kühnere Bahnen einzuschlagen vermag, wird es vielleicht sogar für möglich halten, daß über kurz oder lang jeder, der es sich leisten kann, in seinem Hauskino abends die neuesten Ereignisse aus Nah und Fern sich vorführen läßt, vielleicht sogar, ohne, daß in seiner Wohnung ein kinematographischer Vorführungsapparat sich befindet. Wer will derartiges als unmöglich zu verwirklichendende phantastische Träume bezeichnen, wenn man an die Fernübertragung von Bildern, an die drahtlose Telegraphie und an die drahtlose Telephone denkt, ja auch nur an die herrliche Erfindung der Kinematographie, die unseren Voreltern vor einem halben Jahrhundert noch kaum wunderbarer und phantastischer gedünkt haben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/625>, abgerufen am 19.10.2024.