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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Rhein-See-Kanal

gebaut werden, wenn er der gesamten Volkswirtschaft Nutzen bringt, denn er
würde ein öffentliches, kein privatwirtschaftliches Unternehmen sein. Der Bau
erscheint mir nur möglich, wenn er durch eine verhältnismäßig verkehrslose
Gegend geleitet werden kann und sich doch nahe genug an die Empfangs- und
Versandstellen heranführen läßt, die für die oben angedeuteten Massenfrachten in
Frage kommen. Dann kann er auch, anstatt großer Schädigungen bestehender
Verkehrs- und Wirtschaftsverhältnisse für bisher unerschlossene Gebiete Segen
stiften, einen Segen, der sich freilich erst langsam im Lauf der Jahrzehnte ein¬
stellen kann, denn der Vorstellung, daß sich nun gleich ein reges industrielles
Leben an der ganzen Kanalstrecke entwickeln werde, würde bald die Enttäuschung
folgen. Schon deshalb sind auch die Berechnungen großer Gewinne aus Abgabe
elektrischer Kraft folgerichtig zurückgewiesen worden. Mit Recht ist dabei betont
worden, daß Anlagen sür Kraftabgabe in denjenigen vom Kanal berührten
Gebieten, in denen schon große Werte in Überlandzentralen angelegt sind, volks¬
wirtschaftlich tot sein würden. Bei einem aus öffentlichen Mitteln zu erbauen¬
den Unternehmen ist aber aus bestehende Interessen Rücksicht zu nehmen.

Für den Zeitpunkt des etwaigen Baues tritt eine Frage in den Vorder¬
grund, nämlich die, ob der Kanal gegenwärtig schon ein wirkliches Bedürfnis
darstellt. Das ist glatt zu verneinen und deshalb würde es sich in der
unmittelbaren Gegenwart nicht rechtfertigen, die großen Summen festzulegen,
die er erfordern würde. Wir haben alle Ursache, unser Geld für die nächste
Zeit nur an den notwendigsten Stellen zu verbrauchen. Ein Kanalbau würde
überdies bei dem wesentlichen Teil seiner Kosten, der auf Erdarbeiten entfällt,
vor allem die Taschen ausländischer Saisonarbeiter füllen, die sowieso schon als
eine wirtschaftliche und soziale Gefahr unser Land überschwemmen. Ich kann
mir den Zeitpunkt des Kanalbaus nur denken, wenn es einmal gilt große Not¬
standsarbeiten auszuführen und in Zeiten schwacher Beschäftigung unserer eigenen
Arbeitskräfte, unseres Geldes und unserer industrieller Werke die Volkswirtschaft
zu beleben.




Rhein-See-Kanal

gebaut werden, wenn er der gesamten Volkswirtschaft Nutzen bringt, denn er
würde ein öffentliches, kein privatwirtschaftliches Unternehmen sein. Der Bau
erscheint mir nur möglich, wenn er durch eine verhältnismäßig verkehrslose
Gegend geleitet werden kann und sich doch nahe genug an die Empfangs- und
Versandstellen heranführen läßt, die für die oben angedeuteten Massenfrachten in
Frage kommen. Dann kann er auch, anstatt großer Schädigungen bestehender
Verkehrs- und Wirtschaftsverhältnisse für bisher unerschlossene Gebiete Segen
stiften, einen Segen, der sich freilich erst langsam im Lauf der Jahrzehnte ein¬
stellen kann, denn der Vorstellung, daß sich nun gleich ein reges industrielles
Leben an der ganzen Kanalstrecke entwickeln werde, würde bald die Enttäuschung
folgen. Schon deshalb sind auch die Berechnungen großer Gewinne aus Abgabe
elektrischer Kraft folgerichtig zurückgewiesen worden. Mit Recht ist dabei betont
worden, daß Anlagen sür Kraftabgabe in denjenigen vom Kanal berührten
Gebieten, in denen schon große Werte in Überlandzentralen angelegt sind, volks¬
wirtschaftlich tot sein würden. Bei einem aus öffentlichen Mitteln zu erbauen¬
den Unternehmen ist aber aus bestehende Interessen Rücksicht zu nehmen.

Für den Zeitpunkt des etwaigen Baues tritt eine Frage in den Vorder¬
grund, nämlich die, ob der Kanal gegenwärtig schon ein wirkliches Bedürfnis
darstellt. Das ist glatt zu verneinen und deshalb würde es sich in der
unmittelbaren Gegenwart nicht rechtfertigen, die großen Summen festzulegen,
die er erfordern würde. Wir haben alle Ursache, unser Geld für die nächste
Zeit nur an den notwendigsten Stellen zu verbrauchen. Ein Kanalbau würde
überdies bei dem wesentlichen Teil seiner Kosten, der auf Erdarbeiten entfällt,
vor allem die Taschen ausländischer Saisonarbeiter füllen, die sowieso schon als
eine wirtschaftliche und soziale Gefahr unser Land überschwemmen. Ich kann
mir den Zeitpunkt des Kanalbaus nur denken, wenn es einmal gilt große Not¬
standsarbeiten auszuführen und in Zeiten schwacher Beschäftigung unserer eigenen
Arbeitskräfte, unseres Geldes und unserer industrieller Werke die Volkswirtschaft
zu beleben.




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[0614] Rhein-See-Kanal gebaut werden, wenn er der gesamten Volkswirtschaft Nutzen bringt, denn er würde ein öffentliches, kein privatwirtschaftliches Unternehmen sein. Der Bau erscheint mir nur möglich, wenn er durch eine verhältnismäßig verkehrslose Gegend geleitet werden kann und sich doch nahe genug an die Empfangs- und Versandstellen heranführen läßt, die für die oben angedeuteten Massenfrachten in Frage kommen. Dann kann er auch, anstatt großer Schädigungen bestehender Verkehrs- und Wirtschaftsverhältnisse für bisher unerschlossene Gebiete Segen stiften, einen Segen, der sich freilich erst langsam im Lauf der Jahrzehnte ein¬ stellen kann, denn der Vorstellung, daß sich nun gleich ein reges industrielles Leben an der ganzen Kanalstrecke entwickeln werde, würde bald die Enttäuschung folgen. Schon deshalb sind auch die Berechnungen großer Gewinne aus Abgabe elektrischer Kraft folgerichtig zurückgewiesen worden. Mit Recht ist dabei betont worden, daß Anlagen sür Kraftabgabe in denjenigen vom Kanal berührten Gebieten, in denen schon große Werte in Überlandzentralen angelegt sind, volks¬ wirtschaftlich tot sein würden. Bei einem aus öffentlichen Mitteln zu erbauen¬ den Unternehmen ist aber aus bestehende Interessen Rücksicht zu nehmen. Für den Zeitpunkt des etwaigen Baues tritt eine Frage in den Vorder¬ grund, nämlich die, ob der Kanal gegenwärtig schon ein wirkliches Bedürfnis darstellt. Das ist glatt zu verneinen und deshalb würde es sich in der unmittelbaren Gegenwart nicht rechtfertigen, die großen Summen festzulegen, die er erfordern würde. Wir haben alle Ursache, unser Geld für die nächste Zeit nur an den notwendigsten Stellen zu verbrauchen. Ein Kanalbau würde überdies bei dem wesentlichen Teil seiner Kosten, der auf Erdarbeiten entfällt, vor allem die Taschen ausländischer Saisonarbeiter füllen, die sowieso schon als eine wirtschaftliche und soziale Gefahr unser Land überschwemmen. Ich kann mir den Zeitpunkt des Kanalbaus nur denken, wenn es einmal gilt große Not¬ standsarbeiten auszuführen und in Zeiten schwacher Beschäftigung unserer eigenen Arbeitskräfte, unseres Geldes und unserer industrieller Werke die Volkswirtschaft zu beleben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/614>, abgerufen am 19.10.2024.