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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Das Erbrecht des Atcmtes

auch von Geschwistern des Erblassers und deren Abkömmlingen, weil diese wohl
zumeist durch Testament als Erben eingesetzt werden würden, wenn nicht plötz¬
licher Tod oder Testierunfähigkeit den Erblasser am Testieren hinderte. Auch
die Großeltern, weil eventuell den Abkömmlingen in unbeschränktem Grade
gegenüber unterhaltspflichtig (Z 1601 des Bürgerlichen Gesetzbuchs), sollen ihr
gesetzliches Erbrecht behalten.

Weiter soll aber das private Erbrecht nicht reichen (soweit 5 und 6a
des Entwurfs in Einzelfällen nicht anders bestimmen).

Professor von Scheel (Erbschaftssteuer und Erbrechtsreform) nennt keine
genau festgesetzte Grenze, wenn er meint: "Inhalt und Umfang der Erbrechts¬
ordnung werden mit bestimmt, und müssen es sein, durch die Bedürfnisse der
Gesamtheit."

Professor H. Delbrück rät (Preußische Jahrbücher 1906) "das Erbrecht über
den sechsten Grad der Verwandtschaft hinaus gänzlich aufzuheben."

Am weitesten geht wohl Justizrat Bamberger (Erbrechtsreform 1908),
wenn er sagt: "Man beschränke das gesetzliche Erbrecht auf die Pflichtteilerben."

Demnach hätten nur Abkömmlinge, Eltern und Ehegatten des Erblassers
ein gesetzliches Erbrecht.

In einer weiteren Schrift ("Für das Erbrecht des Reichs" 1912) schlägt
Justizrat Bamberger vor, sämtliche Seitenverwandte, außer den Geschwistern,
als Erben auszuschließen.

Professor Adolf Wagner ("Reichsfinanznot" 1906) erklärt demgegenüber,
"daß die Bambergersche Beschränkung des gesetzlichen Erbrechts der Seitenlinie
von 1908 zu weit ginge."

Er äußert noch an anderem Orte (Finanzwissenschaft II. Teil 1890), "daß,
über den Grad der Großneffen bzw. Großonkel hinaus ein Jntestaterbrecht nicht
mehr geboten sei."

Ein mir im letzten Augenblick bekannt gewordenes beachtenswertes Werk
des Professors Dr. W. von Blume (Umbau und Ausbau des deutschen Erb¬
rechts, 1913) beschäftigt sich gleichfalls eingehend mit der Frage und kommt zu
dem Schluß, daß man sämtlichen Verwandten dritter Ordnung -- also
auch den Abkömmlingen der Großeltern -- ein Jntestaterbrecht wohl belassen
könne, daß aber auch die vom Entwurf bestimmte Beschränkimgsgrenze zu recht¬
fertigen sei.

Im Entwürfe zum Bürgerlichen Gesetzbuch ist die Bestimmung der Grenze
der Erbrechtsbeschränkung nach Graden als eine willkürliche bezeichnet.

In der Kommissionssttzung vom 10. Juni 1913 waren zwei Anträge
gestellt worden, der eine, daß noch die Abkömmlinge der Großeltern, der andere,
daß noch die Urgroßeltern mit Abkömmlingen (vierter Ordnung) ab intestato
erbberechtigt sein sollten.

Auch darüber sind auseinandergehende Meinungen laut geworden, wer wohl bei
NichtVorhandensein eines gesetzlichen Privaterben den Nachlaß beanspruchen darf.


Das Erbrecht des Atcmtes

auch von Geschwistern des Erblassers und deren Abkömmlingen, weil diese wohl
zumeist durch Testament als Erben eingesetzt werden würden, wenn nicht plötz¬
licher Tod oder Testierunfähigkeit den Erblasser am Testieren hinderte. Auch
die Großeltern, weil eventuell den Abkömmlingen in unbeschränktem Grade
gegenüber unterhaltspflichtig (Z 1601 des Bürgerlichen Gesetzbuchs), sollen ihr
gesetzliches Erbrecht behalten.

Weiter soll aber das private Erbrecht nicht reichen (soweit 5 und 6a
des Entwurfs in Einzelfällen nicht anders bestimmen).

Professor von Scheel (Erbschaftssteuer und Erbrechtsreform) nennt keine
genau festgesetzte Grenze, wenn er meint: „Inhalt und Umfang der Erbrechts¬
ordnung werden mit bestimmt, und müssen es sein, durch die Bedürfnisse der
Gesamtheit."

Professor H. Delbrück rät (Preußische Jahrbücher 1906) „das Erbrecht über
den sechsten Grad der Verwandtschaft hinaus gänzlich aufzuheben."

Am weitesten geht wohl Justizrat Bamberger (Erbrechtsreform 1908),
wenn er sagt: „Man beschränke das gesetzliche Erbrecht auf die Pflichtteilerben."

Demnach hätten nur Abkömmlinge, Eltern und Ehegatten des Erblassers
ein gesetzliches Erbrecht.

In einer weiteren Schrift („Für das Erbrecht des Reichs" 1912) schlägt
Justizrat Bamberger vor, sämtliche Seitenverwandte, außer den Geschwistern,
als Erben auszuschließen.

Professor Adolf Wagner („Reichsfinanznot" 1906) erklärt demgegenüber,
„daß die Bambergersche Beschränkung des gesetzlichen Erbrechts der Seitenlinie
von 1908 zu weit ginge."

Er äußert noch an anderem Orte (Finanzwissenschaft II. Teil 1890), „daß,
über den Grad der Großneffen bzw. Großonkel hinaus ein Jntestaterbrecht nicht
mehr geboten sei."

Ein mir im letzten Augenblick bekannt gewordenes beachtenswertes Werk
des Professors Dr. W. von Blume (Umbau und Ausbau des deutschen Erb¬
rechts, 1913) beschäftigt sich gleichfalls eingehend mit der Frage und kommt zu
dem Schluß, daß man sämtlichen Verwandten dritter Ordnung — also
auch den Abkömmlingen der Großeltern — ein Jntestaterbrecht wohl belassen
könne, daß aber auch die vom Entwurf bestimmte Beschränkimgsgrenze zu recht¬
fertigen sei.

Im Entwürfe zum Bürgerlichen Gesetzbuch ist die Bestimmung der Grenze
der Erbrechtsbeschränkung nach Graden als eine willkürliche bezeichnet.

In der Kommissionssttzung vom 10. Juni 1913 waren zwei Anträge
gestellt worden, der eine, daß noch die Abkömmlinge der Großeltern, der andere,
daß noch die Urgroßeltern mit Abkömmlingen (vierter Ordnung) ab intestato
erbberechtigt sein sollten.

Auch darüber sind auseinandergehende Meinungen laut geworden, wer wohl bei
NichtVorhandensein eines gesetzlichen Privaterben den Nachlaß beanspruchen darf.


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[0608] Das Erbrecht des Atcmtes auch von Geschwistern des Erblassers und deren Abkömmlingen, weil diese wohl zumeist durch Testament als Erben eingesetzt werden würden, wenn nicht plötz¬ licher Tod oder Testierunfähigkeit den Erblasser am Testieren hinderte. Auch die Großeltern, weil eventuell den Abkömmlingen in unbeschränktem Grade gegenüber unterhaltspflichtig (Z 1601 des Bürgerlichen Gesetzbuchs), sollen ihr gesetzliches Erbrecht behalten. Weiter soll aber das private Erbrecht nicht reichen (soweit 5 und 6a des Entwurfs in Einzelfällen nicht anders bestimmen). Professor von Scheel (Erbschaftssteuer und Erbrechtsreform) nennt keine genau festgesetzte Grenze, wenn er meint: „Inhalt und Umfang der Erbrechts¬ ordnung werden mit bestimmt, und müssen es sein, durch die Bedürfnisse der Gesamtheit." Professor H. Delbrück rät (Preußische Jahrbücher 1906) „das Erbrecht über den sechsten Grad der Verwandtschaft hinaus gänzlich aufzuheben." Am weitesten geht wohl Justizrat Bamberger (Erbrechtsreform 1908), wenn er sagt: „Man beschränke das gesetzliche Erbrecht auf die Pflichtteilerben." Demnach hätten nur Abkömmlinge, Eltern und Ehegatten des Erblassers ein gesetzliches Erbrecht. In einer weiteren Schrift („Für das Erbrecht des Reichs" 1912) schlägt Justizrat Bamberger vor, sämtliche Seitenverwandte, außer den Geschwistern, als Erben auszuschließen. Professor Adolf Wagner („Reichsfinanznot" 1906) erklärt demgegenüber, „daß die Bambergersche Beschränkung des gesetzlichen Erbrechts der Seitenlinie von 1908 zu weit ginge." Er äußert noch an anderem Orte (Finanzwissenschaft II. Teil 1890), „daß, über den Grad der Großneffen bzw. Großonkel hinaus ein Jntestaterbrecht nicht mehr geboten sei." Ein mir im letzten Augenblick bekannt gewordenes beachtenswertes Werk des Professors Dr. W. von Blume (Umbau und Ausbau des deutschen Erb¬ rechts, 1913) beschäftigt sich gleichfalls eingehend mit der Frage und kommt zu dem Schluß, daß man sämtlichen Verwandten dritter Ordnung — also auch den Abkömmlingen der Großeltern — ein Jntestaterbrecht wohl belassen könne, daß aber auch die vom Entwurf bestimmte Beschränkimgsgrenze zu recht¬ fertigen sei. Im Entwürfe zum Bürgerlichen Gesetzbuch ist die Bestimmung der Grenze der Erbrechtsbeschränkung nach Graden als eine willkürliche bezeichnet. In der Kommissionssttzung vom 10. Juni 1913 waren zwei Anträge gestellt worden, der eine, daß noch die Abkömmlinge der Großeltern, der andere, daß noch die Urgroßeltern mit Abkömmlingen (vierter Ordnung) ab intestato erbberechtigt sein sollten. Auch darüber sind auseinandergehende Meinungen laut geworden, wer wohl bei NichtVorhandensein eines gesetzlichen Privaterben den Nachlaß beanspruchen darf.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/608>, abgerufen am 20.10.2024.