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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Das Erbrecht des Staates

dings erschien von Scheels Schrift (1877) zu einer Zeit, da man von einer
eigentlichen Finanznot des Reiches noch nicht sprechen konnte.

Als ein entschiedener Gegner der von der Regierung erklärten Ansicht, als
Zweck und Grund des staatlichen Erbrechts zuvörderst finanzielle Rücksichten
gelten zu lassen, tritt Professor Dr. W. Gerloff auf.

"Für eine solche Maßnahme (beschränktes Jntestatervrecht)," sagt er (Gerloff,
Finanz- und Zollpolitik des Deutschen Reiches. Jena 1913), "lassen sich
zweifellos nicht nur ethische, sondern auch wirtschaftliche und soziale, nur keine
finanzwissenschaftlichen Gründe anführen." Und weiter (Matrikularbeiträge und
direkte Reichssteuer" 1908):

"Man mag das Erbrecht aus ethischen und sozialpolitischen Gründen
beschränken, niemals aber geschehe das zu dem ausgesprochenen Zwecke, dem
Reich Einnahmen zu verschaffen."

Ähnlich urteilt Professor Dr. I. Conrad (Jahrbücher, Seite 626 ff.), wenn
er sagt, es sei bedenklich, die Beschränkung des Erbrechts als Ergänzung oder
Verschärfung der Erbschaftssteuer hinzustellen, "die dem Reiche noch höhere Ein¬
nahmen zuführen soll."

Wie schon oben angedeutet, läßt Justizrat Bamberger zwar, konform mit
der Vorlage, die Finanznot und ihre Linderung durch die Erbrechtsreform als
Hauptzweck und Hauptgrund gelten. Daneben aber führt er noch an: "Ethische
Rücksichten bilden die starke Grundlage der Erbrechtsreform." ("Erbrechts¬
reform" 1908.) Über diese ethischen Rücksichten läßt Bamberger sich weiter
aus, indem er sagt ("Erbrechtsreform" 1908): "Infolge der unbeschränkten
Erbfolge toben über dem Grabe des Verstorbenen unter feinen Verwandten
erbitterte Erbschaftsprozesse" und "Die Institution der lachenden Erben ist eine
ungerechte, unsittliche." Sehr bemerkenswert ist noch eine Äußerung (ebenda):
". . das Gesetz ist immer noch mit Dank zu begrüßen, wenn es auch nur die
eine Folge hätte, die Fürsorge für den Todesfall zu befördern und zu ver¬
allgemeinern." Eine Bemerkung, welche die ethischen Rücksichten sogar noch über
die finanziellen stellt.

Ob die Erbschaftsprozesse bei eingeschränkter Erbfolge tatsächlich erheblich
abnehmen werden, erscheint mir nicht zweifelsfrei: die großen und erbitterten
Erbprozesse pflegen nicht bei Jntestaterbfolge, sondern beim Vorhandensein eines
Testaments stattzufinden, das die Berechtigten für anfechtbar halten. Die Zahl
der "Berechtigten" wird allerdings bei Beschränkung des Erbfolgerechts abnehmen.

In den "Motiven zu dem Entwürfe eines Bürgerlichen Gesetzbuchs für
das Deutsche Reich" von 1888 heißt es schließlich (Seite 366 ff.): "Ob aus
sozialpolitischen Gründen die Verwandtenerbfolge zugunsten des weiteren Ver¬
bandes der Gemeinde oder des Staates als Berechtigter zu beschränken sei, ist
eine Frage, welche zurzeit noch nicht für spruchreif erachtet werden kann. . . ."

Der Minderung der Finanznot als Grund zur Beschränkung der Erbfolge
wird in den Motiven nicht gedacht.


Grenzboten III 1913 S"
Das Erbrecht des Staates

dings erschien von Scheels Schrift (1877) zu einer Zeit, da man von einer
eigentlichen Finanznot des Reiches noch nicht sprechen konnte.

Als ein entschiedener Gegner der von der Regierung erklärten Ansicht, als
Zweck und Grund des staatlichen Erbrechts zuvörderst finanzielle Rücksichten
gelten zu lassen, tritt Professor Dr. W. Gerloff auf.

„Für eine solche Maßnahme (beschränktes Jntestatervrecht)," sagt er (Gerloff,
Finanz- und Zollpolitik des Deutschen Reiches. Jena 1913), „lassen sich
zweifellos nicht nur ethische, sondern auch wirtschaftliche und soziale, nur keine
finanzwissenschaftlichen Gründe anführen." Und weiter (Matrikularbeiträge und
direkte Reichssteuer" 1908):

„Man mag das Erbrecht aus ethischen und sozialpolitischen Gründen
beschränken, niemals aber geschehe das zu dem ausgesprochenen Zwecke, dem
Reich Einnahmen zu verschaffen."

Ähnlich urteilt Professor Dr. I. Conrad (Jahrbücher, Seite 626 ff.), wenn
er sagt, es sei bedenklich, die Beschränkung des Erbrechts als Ergänzung oder
Verschärfung der Erbschaftssteuer hinzustellen, „die dem Reiche noch höhere Ein¬
nahmen zuführen soll."

Wie schon oben angedeutet, läßt Justizrat Bamberger zwar, konform mit
der Vorlage, die Finanznot und ihre Linderung durch die Erbrechtsreform als
Hauptzweck und Hauptgrund gelten. Daneben aber führt er noch an: „Ethische
Rücksichten bilden die starke Grundlage der Erbrechtsreform." („Erbrechts¬
reform" 1908.) Über diese ethischen Rücksichten läßt Bamberger sich weiter
aus, indem er sagt („Erbrechtsreform" 1908): „Infolge der unbeschränkten
Erbfolge toben über dem Grabe des Verstorbenen unter feinen Verwandten
erbitterte Erbschaftsprozesse" und „Die Institution der lachenden Erben ist eine
ungerechte, unsittliche." Sehr bemerkenswert ist noch eine Äußerung (ebenda):
„. . das Gesetz ist immer noch mit Dank zu begrüßen, wenn es auch nur die
eine Folge hätte, die Fürsorge für den Todesfall zu befördern und zu ver¬
allgemeinern." Eine Bemerkung, welche die ethischen Rücksichten sogar noch über
die finanziellen stellt.

Ob die Erbschaftsprozesse bei eingeschränkter Erbfolge tatsächlich erheblich
abnehmen werden, erscheint mir nicht zweifelsfrei: die großen und erbitterten
Erbprozesse pflegen nicht bei Jntestaterbfolge, sondern beim Vorhandensein eines
Testaments stattzufinden, das die Berechtigten für anfechtbar halten. Die Zahl
der „Berechtigten" wird allerdings bei Beschränkung des Erbfolgerechts abnehmen.

In den „Motiven zu dem Entwürfe eines Bürgerlichen Gesetzbuchs für
das Deutsche Reich" von 1888 heißt es schließlich (Seite 366 ff.): „Ob aus
sozialpolitischen Gründen die Verwandtenerbfolge zugunsten des weiteren Ver¬
bandes der Gemeinde oder des Staates als Berechtigter zu beschränken sei, ist
eine Frage, welche zurzeit noch nicht für spruchreif erachtet werden kann. . . ."

Der Minderung der Finanznot als Grund zur Beschränkung der Erbfolge
wird in den Motiven nicht gedacht.


Grenzboten III 1913 S«
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[0605] Das Erbrecht des Staates dings erschien von Scheels Schrift (1877) zu einer Zeit, da man von einer eigentlichen Finanznot des Reiches noch nicht sprechen konnte. Als ein entschiedener Gegner der von der Regierung erklärten Ansicht, als Zweck und Grund des staatlichen Erbrechts zuvörderst finanzielle Rücksichten gelten zu lassen, tritt Professor Dr. W. Gerloff auf. „Für eine solche Maßnahme (beschränktes Jntestatervrecht)," sagt er (Gerloff, Finanz- und Zollpolitik des Deutschen Reiches. Jena 1913), „lassen sich zweifellos nicht nur ethische, sondern auch wirtschaftliche und soziale, nur keine finanzwissenschaftlichen Gründe anführen." Und weiter (Matrikularbeiträge und direkte Reichssteuer" 1908): „Man mag das Erbrecht aus ethischen und sozialpolitischen Gründen beschränken, niemals aber geschehe das zu dem ausgesprochenen Zwecke, dem Reich Einnahmen zu verschaffen." Ähnlich urteilt Professor Dr. I. Conrad (Jahrbücher, Seite 626 ff.), wenn er sagt, es sei bedenklich, die Beschränkung des Erbrechts als Ergänzung oder Verschärfung der Erbschaftssteuer hinzustellen, „die dem Reiche noch höhere Ein¬ nahmen zuführen soll." Wie schon oben angedeutet, läßt Justizrat Bamberger zwar, konform mit der Vorlage, die Finanznot und ihre Linderung durch die Erbrechtsreform als Hauptzweck und Hauptgrund gelten. Daneben aber führt er noch an: „Ethische Rücksichten bilden die starke Grundlage der Erbrechtsreform." („Erbrechts¬ reform" 1908.) Über diese ethischen Rücksichten läßt Bamberger sich weiter aus, indem er sagt („Erbrechtsreform" 1908): „Infolge der unbeschränkten Erbfolge toben über dem Grabe des Verstorbenen unter feinen Verwandten erbitterte Erbschaftsprozesse" und „Die Institution der lachenden Erben ist eine ungerechte, unsittliche." Sehr bemerkenswert ist noch eine Äußerung (ebenda): „. . das Gesetz ist immer noch mit Dank zu begrüßen, wenn es auch nur die eine Folge hätte, die Fürsorge für den Todesfall zu befördern und zu ver¬ allgemeinern." Eine Bemerkung, welche die ethischen Rücksichten sogar noch über die finanziellen stellt. Ob die Erbschaftsprozesse bei eingeschränkter Erbfolge tatsächlich erheblich abnehmen werden, erscheint mir nicht zweifelsfrei: die großen und erbitterten Erbprozesse pflegen nicht bei Jntestaterbfolge, sondern beim Vorhandensein eines Testaments stattzufinden, das die Berechtigten für anfechtbar halten. Die Zahl der „Berechtigten" wird allerdings bei Beschränkung des Erbfolgerechts abnehmen. In den „Motiven zu dem Entwürfe eines Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich" von 1888 heißt es schließlich (Seite 366 ff.): „Ob aus sozialpolitischen Gründen die Verwandtenerbfolge zugunsten des weiteren Ver¬ bandes der Gemeinde oder des Staates als Berechtigter zu beschränken sei, ist eine Frage, welche zurzeit noch nicht für spruchreif erachtet werden kann. . . ." Der Minderung der Finanznot als Grund zur Beschränkung der Erbfolge wird in den Motiven nicht gedacht. Grenzboten III 1913 S«

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/605>, abgerufen am 20.10.2024.