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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Das Erbrecht des Staates

In der Kommissionssitzung war von einem Abgeordneten das Wort gefallen,
daß "wenn nicht die ^ira neLL88ita8 des Geldbedürfnisses hinzukäme, man nicht zu
einer Änderung der Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches gekommen sein
würde." (Drucksache Ur. 874).

Um den zahlreichen beachtenswerten, von den obigen abweichenden, Be¬
gründungen eines staatlichen Erbrechts gerecht zu werden, erscheint es angebracht,
näher auf das schon erwähnte hervorragende Werk des Professors Dr. Hans
von Scheel einzugehen.

Dr. von Scheel nennt als "Grund und Zweck" des Erbrechts überhaupt
folgende drei, scharf gesonderte Punkte:

1. "Erhaltung und Förderung der wirtschaftlichen Existenz der Familie."

Er steht hier mit dem Entwürfe insoweit auf einem Boden, als er unter
der "Familie", deren Erbrecht keinesfalls geschmälert werden darf, "die bei Leb-
zeiten des Erblassers von ihm abhängigen Verwandten," d. h. Ehefrau und
unselbständige Kinder, versteht.

2. "Verteilung der Verlassenschaft nach Maßgabe des im Volksbewußtsein
anerkannten wirtschaftlichen und sittlichen Zusammenhangs der Einzelwirtschaft."

Er bezweifelt das Stammesbewußtsein in weiteren Graden und fährt fort,
"die Ausdehnung des Erbrechts aus die Verwandtschaft in jeder beliebigen Ver¬
dünnung sei weder in Volkswirtschaft noch Moral zu rechtfertigen. Die Ein¬
schränkung würde auf eine für den Volkswohlstand zweckmäßige Erbfolge heraus¬
kommen." Die weitgehende Testierfreiheit sieht er als ein Institut an, durch
das bewiesen wird, daß die gesetzliche Erbfolge entfernter Verwandter eine wirt¬
schaftliche und sittliche Notwendigkeit nicht ist, daß vielmehr hierdurch anerkannt
wird, daß das Erbrecht entfernter Verwandter an und für sich auf wirtschaft¬
lichen und sittlichen Motiven nicht beruhe.

3. "Verwendung der Kapitalien in der volkswirtschaftlich zweckmäßigsten
und wirksamsten Weise."

Der Verfasser bemerkt hierzu, "daß bei Neuverteilung der Vermögen durch
Erbgang diejenigen ein Recht auf Beteiligung haben, die an der Schöpfung des
Vermögens mitgewirkt haben; daß dies aber erst subsidär nach Ur. 1 und 2 gelte."

Wir finden hier eine fast völlige Übereinstimmung mit dem oben gebrachten
Gedankengang Sohns.

Zur Begründung eines speziell staatlichen Erbrechts sagt von Scheel (S. 44):
"Heute fallen den öffentlichen Körperschaften, dem Staatswesen, Funktionen zu,
die früher dem Stamme, der Familie zufielen. Deshalb hat der Staat das
Recht, auch in Hinterlassenschaften selbst für die Gesamtheit als Erbe einzutreten."

Das staatliche Erbrecht wird also hier gewissermaßen als eine berechtigte
Vergütung für geleistete Dienste angesehen.

Gegenüber dem fast ausschließlich finanziellen Standpunkte wird mithin von
anderer Seite mehr die volkswirtschaftliche und rechtliche Seite betont. Aller-


Das Erbrecht des Staates

In der Kommissionssitzung war von einem Abgeordneten das Wort gefallen,
daß „wenn nicht die ^ira neLL88ita8 des Geldbedürfnisses hinzukäme, man nicht zu
einer Änderung der Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches gekommen sein
würde." (Drucksache Ur. 874).

Um den zahlreichen beachtenswerten, von den obigen abweichenden, Be¬
gründungen eines staatlichen Erbrechts gerecht zu werden, erscheint es angebracht,
näher auf das schon erwähnte hervorragende Werk des Professors Dr. Hans
von Scheel einzugehen.

Dr. von Scheel nennt als „Grund und Zweck" des Erbrechts überhaupt
folgende drei, scharf gesonderte Punkte:

1. „Erhaltung und Förderung der wirtschaftlichen Existenz der Familie."

Er steht hier mit dem Entwürfe insoweit auf einem Boden, als er unter
der „Familie", deren Erbrecht keinesfalls geschmälert werden darf, „die bei Leb-
zeiten des Erblassers von ihm abhängigen Verwandten," d. h. Ehefrau und
unselbständige Kinder, versteht.

2. „Verteilung der Verlassenschaft nach Maßgabe des im Volksbewußtsein
anerkannten wirtschaftlichen und sittlichen Zusammenhangs der Einzelwirtschaft."

Er bezweifelt das Stammesbewußtsein in weiteren Graden und fährt fort,
„die Ausdehnung des Erbrechts aus die Verwandtschaft in jeder beliebigen Ver¬
dünnung sei weder in Volkswirtschaft noch Moral zu rechtfertigen. Die Ein¬
schränkung würde auf eine für den Volkswohlstand zweckmäßige Erbfolge heraus¬
kommen." Die weitgehende Testierfreiheit sieht er als ein Institut an, durch
das bewiesen wird, daß die gesetzliche Erbfolge entfernter Verwandter eine wirt¬
schaftliche und sittliche Notwendigkeit nicht ist, daß vielmehr hierdurch anerkannt
wird, daß das Erbrecht entfernter Verwandter an und für sich auf wirtschaft¬
lichen und sittlichen Motiven nicht beruhe.

3. „Verwendung der Kapitalien in der volkswirtschaftlich zweckmäßigsten
und wirksamsten Weise."

Der Verfasser bemerkt hierzu, „daß bei Neuverteilung der Vermögen durch
Erbgang diejenigen ein Recht auf Beteiligung haben, die an der Schöpfung des
Vermögens mitgewirkt haben; daß dies aber erst subsidär nach Ur. 1 und 2 gelte."

Wir finden hier eine fast völlige Übereinstimmung mit dem oben gebrachten
Gedankengang Sohns.

Zur Begründung eines speziell staatlichen Erbrechts sagt von Scheel (S. 44):
„Heute fallen den öffentlichen Körperschaften, dem Staatswesen, Funktionen zu,
die früher dem Stamme, der Familie zufielen. Deshalb hat der Staat das
Recht, auch in Hinterlassenschaften selbst für die Gesamtheit als Erbe einzutreten."

Das staatliche Erbrecht wird also hier gewissermaßen als eine berechtigte
Vergütung für geleistete Dienste angesehen.

Gegenüber dem fast ausschließlich finanziellen Standpunkte wird mithin von
anderer Seite mehr die volkswirtschaftliche und rechtliche Seite betont. Aller-


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[0604] Das Erbrecht des Staates In der Kommissionssitzung war von einem Abgeordneten das Wort gefallen, daß „wenn nicht die ^ira neLL88ita8 des Geldbedürfnisses hinzukäme, man nicht zu einer Änderung der Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches gekommen sein würde." (Drucksache Ur. 874). Um den zahlreichen beachtenswerten, von den obigen abweichenden, Be¬ gründungen eines staatlichen Erbrechts gerecht zu werden, erscheint es angebracht, näher auf das schon erwähnte hervorragende Werk des Professors Dr. Hans von Scheel einzugehen. Dr. von Scheel nennt als „Grund und Zweck" des Erbrechts überhaupt folgende drei, scharf gesonderte Punkte: 1. „Erhaltung und Förderung der wirtschaftlichen Existenz der Familie." Er steht hier mit dem Entwürfe insoweit auf einem Boden, als er unter der „Familie", deren Erbrecht keinesfalls geschmälert werden darf, „die bei Leb- zeiten des Erblassers von ihm abhängigen Verwandten," d. h. Ehefrau und unselbständige Kinder, versteht. 2. „Verteilung der Verlassenschaft nach Maßgabe des im Volksbewußtsein anerkannten wirtschaftlichen und sittlichen Zusammenhangs der Einzelwirtschaft." Er bezweifelt das Stammesbewußtsein in weiteren Graden und fährt fort, „die Ausdehnung des Erbrechts aus die Verwandtschaft in jeder beliebigen Ver¬ dünnung sei weder in Volkswirtschaft noch Moral zu rechtfertigen. Die Ein¬ schränkung würde auf eine für den Volkswohlstand zweckmäßige Erbfolge heraus¬ kommen." Die weitgehende Testierfreiheit sieht er als ein Institut an, durch das bewiesen wird, daß die gesetzliche Erbfolge entfernter Verwandter eine wirt¬ schaftliche und sittliche Notwendigkeit nicht ist, daß vielmehr hierdurch anerkannt wird, daß das Erbrecht entfernter Verwandter an und für sich auf wirtschaft¬ lichen und sittlichen Motiven nicht beruhe. 3. „Verwendung der Kapitalien in der volkswirtschaftlich zweckmäßigsten und wirksamsten Weise." Der Verfasser bemerkt hierzu, „daß bei Neuverteilung der Vermögen durch Erbgang diejenigen ein Recht auf Beteiligung haben, die an der Schöpfung des Vermögens mitgewirkt haben; daß dies aber erst subsidär nach Ur. 1 und 2 gelte." Wir finden hier eine fast völlige Übereinstimmung mit dem oben gebrachten Gedankengang Sohns. Zur Begründung eines speziell staatlichen Erbrechts sagt von Scheel (S. 44): „Heute fallen den öffentlichen Körperschaften, dem Staatswesen, Funktionen zu, die früher dem Stamme, der Familie zufielen. Deshalb hat der Staat das Recht, auch in Hinterlassenschaften selbst für die Gesamtheit als Erbe einzutreten." Das staatliche Erbrecht wird also hier gewissermaßen als eine berechtigte Vergütung für geleistete Dienste angesehen. Gegenüber dem fast ausschließlich finanziellen Standpunkte wird mithin von anderer Seite mehr die volkswirtschaftliche und rechtliche Seite betont. Aller-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/604>, abgerufen am 20.10.2024.