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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Das Erbrecht des Staates

Die Mehrheit kam zu dem Entschlüsse, unter teilweiser Aufhebung des
§ 6 des Entwurfes, einen Z 6a einzufügen, der folgende wichtige Bestimmungen
enthält:

1. betreffs dessen, der vor Vollendung des einundzwanzigsten Lebensjahres
ohne Testament verstorben oder der vom sechzehnten Lebensjahr an testierunfähig
gewesen ist, daß es hier bei den bisherigen Bestimmungen des Bürgerlichen
Gesetzbuchs verbleibt, d. h. daß das Erbrecht der Abkömmlinge der Großeltern
wie der Verwandten der vierten und fünften Ordnung erhalten bleibt;

2. daß der Bundesrat nähere Bestimmungen darüber trifft, inwieweit in
anderen Fällen der Nachlaß eines Erblassers den durch den Entwurf aus¬
geschlossenen Erben (entfernten Verwandten) dennoch aus Gründen der Billigkeit
zuzuwenden ist, insbesondere wenn der Erblasser zeitweise testierunfähig war
oder plötzlich verstorben ist;

3. daß bei nichtigen Testamenten nach näheren Bestimmungen des Bundes¬
rath diejenigen den Erwerb ganz oder teilweise erhalten, die ihn bei Gültigkeit
des Testamentes erhalten hätten.

Beachtenswert ist noch besonders Z 15 des Entwurfs, demzufolge von der
aus dem Erbrecht des Fiskus erzielten Reineinnahme das Reich 75 Prozent
erhalten soll, der Bundesstaat, dessen Fiskus Erbe ist, "als Vergütung für die
Kosten der allgemeinen Verwaltung" den Rest.

Die Kommisston hat hier eine Änderung in der Weise getroffen, daß das
Reich nur 60 Prozent, der Bundesstaat 30 Prozent, die Gemeinde da¬
gegen "von dem in ihrem Gemeindebezirk befindlichen Erbgut" 10 Prozent
erhält.

Daß das private Jntestaterbrecht auf mehr als tausendjähriger Grundlage
beruht, daß aber auch seine Beschränkung ihm gleichalterig ist, dürfte be¬
kannt sein.

Das römische Recht der zwölf Tafeln gab ein beschränktes Jntestaterbrecht,
das erst unter Kaiser Justinian (Nov. 118) zu einem unbeschränkten sich aus¬
bildete.

Auch das alte deutsche Erbrecht (die vermutlich noch vor Chlodwig ent¬
standene lex Salica u. a. in.) kannte nur ein beschränktes Erbrecht.

Von den modernen Gesetzgebungen ist es besonders der als vorzüglich an¬
erkannte Code civil Napoleons, der die Jntestaterbfolge beschränkt.

Auch das österreichische allgemeine bürgerliche Gesetzbuch hat eine Be¬
schränkung des Jntestaterbrechts.

Das Erbrecht ist dort auf die "sechs Linien der ehelichen Verwandtschaft"
beschränkt -- beiläufig eine sehr geringe Einschränkung.

Neuere deutsche Gesetze, sowie das römische Recht Justinians (Nov. 118),
geben den Verwandten ein unbeschränktes Erbrecht.

Dr. von Schmitt tritt in seiner Begründung des Entwurfs eines Bürger¬
lichen Gesetzbuchs im Jahre 1879 (Seite 691) für die unbeschränkte Erbfolge


Das Erbrecht des Staates

Die Mehrheit kam zu dem Entschlüsse, unter teilweiser Aufhebung des
§ 6 des Entwurfes, einen Z 6a einzufügen, der folgende wichtige Bestimmungen
enthält:

1. betreffs dessen, der vor Vollendung des einundzwanzigsten Lebensjahres
ohne Testament verstorben oder der vom sechzehnten Lebensjahr an testierunfähig
gewesen ist, daß es hier bei den bisherigen Bestimmungen des Bürgerlichen
Gesetzbuchs verbleibt, d. h. daß das Erbrecht der Abkömmlinge der Großeltern
wie der Verwandten der vierten und fünften Ordnung erhalten bleibt;

2. daß der Bundesrat nähere Bestimmungen darüber trifft, inwieweit in
anderen Fällen der Nachlaß eines Erblassers den durch den Entwurf aus¬
geschlossenen Erben (entfernten Verwandten) dennoch aus Gründen der Billigkeit
zuzuwenden ist, insbesondere wenn der Erblasser zeitweise testierunfähig war
oder plötzlich verstorben ist;

3. daß bei nichtigen Testamenten nach näheren Bestimmungen des Bundes¬
rath diejenigen den Erwerb ganz oder teilweise erhalten, die ihn bei Gültigkeit
des Testamentes erhalten hätten.

Beachtenswert ist noch besonders Z 15 des Entwurfs, demzufolge von der
aus dem Erbrecht des Fiskus erzielten Reineinnahme das Reich 75 Prozent
erhalten soll, der Bundesstaat, dessen Fiskus Erbe ist, „als Vergütung für die
Kosten der allgemeinen Verwaltung" den Rest.

Die Kommisston hat hier eine Änderung in der Weise getroffen, daß das
Reich nur 60 Prozent, der Bundesstaat 30 Prozent, die Gemeinde da¬
gegen „von dem in ihrem Gemeindebezirk befindlichen Erbgut" 10 Prozent
erhält.

Daß das private Jntestaterbrecht auf mehr als tausendjähriger Grundlage
beruht, daß aber auch seine Beschränkung ihm gleichalterig ist, dürfte be¬
kannt sein.

Das römische Recht der zwölf Tafeln gab ein beschränktes Jntestaterbrecht,
das erst unter Kaiser Justinian (Nov. 118) zu einem unbeschränkten sich aus¬
bildete.

Auch das alte deutsche Erbrecht (die vermutlich noch vor Chlodwig ent¬
standene lex Salica u. a. in.) kannte nur ein beschränktes Erbrecht.

Von den modernen Gesetzgebungen ist es besonders der als vorzüglich an¬
erkannte Code civil Napoleons, der die Jntestaterbfolge beschränkt.

Auch das österreichische allgemeine bürgerliche Gesetzbuch hat eine Be¬
schränkung des Jntestaterbrechts.

Das Erbrecht ist dort auf die „sechs Linien der ehelichen Verwandtschaft"
beschränkt — beiläufig eine sehr geringe Einschränkung.

Neuere deutsche Gesetze, sowie das römische Recht Justinians (Nov. 118),
geben den Verwandten ein unbeschränktes Erbrecht.

Dr. von Schmitt tritt in seiner Begründung des Entwurfs eines Bürger¬
lichen Gesetzbuchs im Jahre 1879 (Seite 691) für die unbeschränkte Erbfolge


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[0601] Das Erbrecht des Staates Die Mehrheit kam zu dem Entschlüsse, unter teilweiser Aufhebung des § 6 des Entwurfes, einen Z 6a einzufügen, der folgende wichtige Bestimmungen enthält: 1. betreffs dessen, der vor Vollendung des einundzwanzigsten Lebensjahres ohne Testament verstorben oder der vom sechzehnten Lebensjahr an testierunfähig gewesen ist, daß es hier bei den bisherigen Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs verbleibt, d. h. daß das Erbrecht der Abkömmlinge der Großeltern wie der Verwandten der vierten und fünften Ordnung erhalten bleibt; 2. daß der Bundesrat nähere Bestimmungen darüber trifft, inwieweit in anderen Fällen der Nachlaß eines Erblassers den durch den Entwurf aus¬ geschlossenen Erben (entfernten Verwandten) dennoch aus Gründen der Billigkeit zuzuwenden ist, insbesondere wenn der Erblasser zeitweise testierunfähig war oder plötzlich verstorben ist; 3. daß bei nichtigen Testamenten nach näheren Bestimmungen des Bundes¬ rath diejenigen den Erwerb ganz oder teilweise erhalten, die ihn bei Gültigkeit des Testamentes erhalten hätten. Beachtenswert ist noch besonders Z 15 des Entwurfs, demzufolge von der aus dem Erbrecht des Fiskus erzielten Reineinnahme das Reich 75 Prozent erhalten soll, der Bundesstaat, dessen Fiskus Erbe ist, „als Vergütung für die Kosten der allgemeinen Verwaltung" den Rest. Die Kommisston hat hier eine Änderung in der Weise getroffen, daß das Reich nur 60 Prozent, der Bundesstaat 30 Prozent, die Gemeinde da¬ gegen „von dem in ihrem Gemeindebezirk befindlichen Erbgut" 10 Prozent erhält. Daß das private Jntestaterbrecht auf mehr als tausendjähriger Grundlage beruht, daß aber auch seine Beschränkung ihm gleichalterig ist, dürfte be¬ kannt sein. Das römische Recht der zwölf Tafeln gab ein beschränktes Jntestaterbrecht, das erst unter Kaiser Justinian (Nov. 118) zu einem unbeschränkten sich aus¬ bildete. Auch das alte deutsche Erbrecht (die vermutlich noch vor Chlodwig ent¬ standene lex Salica u. a. in.) kannte nur ein beschränktes Erbrecht. Von den modernen Gesetzgebungen ist es besonders der als vorzüglich an¬ erkannte Code civil Napoleons, der die Jntestaterbfolge beschränkt. Auch das österreichische allgemeine bürgerliche Gesetzbuch hat eine Be¬ schränkung des Jntestaterbrechts. Das Erbrecht ist dort auf die „sechs Linien der ehelichen Verwandtschaft" beschränkt — beiläufig eine sehr geringe Einschränkung. Neuere deutsche Gesetze, sowie das römische Recht Justinians (Nov. 118), geben den Verwandten ein unbeschränktes Erbrecht. Dr. von Schmitt tritt in seiner Begründung des Entwurfs eines Bürger¬ lichen Gesetzbuchs im Jahre 1879 (Seite 691) für die unbeschränkte Erbfolge

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/601>, abgerufen am 19.10.2024.