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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Lin Nachwort zum Metzer Katholikentag

darf es nicht einmal, wenn sie auch nur mit der Möglichkeit eines Erfolges
rechnen will. Nur der deutsche Katholizismus als Ganzes vermöchte zur Not
noch auf die Kurie irgendeinen Druck auszuüben. Die Arbeit jener stillen Ge¬
meinde kann unter den obwaltenden Verhältnissen nur in der unmerklichen Er¬
ziehung des katholischen Volkes zu einer würdigeren Auffassung seiner eigenen
Religion und seiner Kirche und -- von sich selber bestehen. Daß diese Arbeit
freilich unsagbar langsam, nur in unendlichen kleinen Schritten geleistet werden
kann, daß hier eine Aufgabe für Generationen vorliegt, wird auch der größte
Optimist zugeben müssen. Nur ein solcher auch wird in der Lage sein, an
eine Rettung der im Katholizismus zweifellos vorhandenen tiefen religiösen
Werte vor der römisch-kirchlichen Verkümmerung und Verknöcherung zu glauben,
und bereit sein im Sinne dieses Glaubens zu arbeiten und zu wirken. Es
bedarf dazu jenes Hegelschen optimistischen Glaubens an die Idee, der mit dem
schwärzesten Pessimismus im Urteil über die gerade herrschenden Zustände der
Realität wohl vereinbar ist, weil er überzeugt ist, daß das Stärkste in der Welt
doch die Idee ist und daß ihr Triumph kommen muß, auch wenn ganze Zeit¬
alter sich gegen sie auflehnen. Daß die deutschen Katholiken in ihrer Ganzheit
oder auch nur in einem größeren Bruchteil jemals evangelisch würden, ist aus
historischen und psychologischen Gründen ganz ausgeschlossen. Für sie gibt es
nur zwei Entwicklungsmöglichkeiten: entweder sie werden durch Rom aus der
Kirche hinaus und dem Freidenkertum, dem Monistenbund oder, wenigstens die
Intelligenteren und Konsequenter, dem völligen Unglauben und dem absoluten
Skeptizismus zugetrieben oder sie läutern sich empor zu dem idealen Katholizismus,
von dem so viele edle Köpfe schon geträumt haben und dessen ideelle Macht
auch heute noch nicht ganz verschwunden ist. Welche von den beiden Ent¬
wicklungsmöglichkeiten für die Zukunft der Religion und das Leben unseres
Volkes segensreicher ist, mag hier nicht weiter untersucht werden, auch nicht ent¬
schieden werden, welche die größeren Aussichten hat. Auch wer an die zweite
Möglichkeit nicht glauben kann und jenen idealen Katholizismus für eine wider¬
spruchsvolle Utopie hält, muß, wofern er nicht etwa im Antichristentum das
Heil aller Zukunft erblickt, seine Bestrebungen und ihre Pflege begrüßen.




Lin Nachwort zum Metzer Katholikentag

darf es nicht einmal, wenn sie auch nur mit der Möglichkeit eines Erfolges
rechnen will. Nur der deutsche Katholizismus als Ganzes vermöchte zur Not
noch auf die Kurie irgendeinen Druck auszuüben. Die Arbeit jener stillen Ge¬
meinde kann unter den obwaltenden Verhältnissen nur in der unmerklichen Er¬
ziehung des katholischen Volkes zu einer würdigeren Auffassung seiner eigenen
Religion und seiner Kirche und — von sich selber bestehen. Daß diese Arbeit
freilich unsagbar langsam, nur in unendlichen kleinen Schritten geleistet werden
kann, daß hier eine Aufgabe für Generationen vorliegt, wird auch der größte
Optimist zugeben müssen. Nur ein solcher auch wird in der Lage sein, an
eine Rettung der im Katholizismus zweifellos vorhandenen tiefen religiösen
Werte vor der römisch-kirchlichen Verkümmerung und Verknöcherung zu glauben,
und bereit sein im Sinne dieses Glaubens zu arbeiten und zu wirken. Es
bedarf dazu jenes Hegelschen optimistischen Glaubens an die Idee, der mit dem
schwärzesten Pessimismus im Urteil über die gerade herrschenden Zustände der
Realität wohl vereinbar ist, weil er überzeugt ist, daß das Stärkste in der Welt
doch die Idee ist und daß ihr Triumph kommen muß, auch wenn ganze Zeit¬
alter sich gegen sie auflehnen. Daß die deutschen Katholiken in ihrer Ganzheit
oder auch nur in einem größeren Bruchteil jemals evangelisch würden, ist aus
historischen und psychologischen Gründen ganz ausgeschlossen. Für sie gibt es
nur zwei Entwicklungsmöglichkeiten: entweder sie werden durch Rom aus der
Kirche hinaus und dem Freidenkertum, dem Monistenbund oder, wenigstens die
Intelligenteren und Konsequenter, dem völligen Unglauben und dem absoluten
Skeptizismus zugetrieben oder sie läutern sich empor zu dem idealen Katholizismus,
von dem so viele edle Köpfe schon geträumt haben und dessen ideelle Macht
auch heute noch nicht ganz verschwunden ist. Welche von den beiden Ent¬
wicklungsmöglichkeiten für die Zukunft der Religion und das Leben unseres
Volkes segensreicher ist, mag hier nicht weiter untersucht werden, auch nicht ent¬
schieden werden, welche die größeren Aussichten hat. Auch wer an die zweite
Möglichkeit nicht glauben kann und jenen idealen Katholizismus für eine wider¬
spruchsvolle Utopie hält, muß, wofern er nicht etwa im Antichristentum das
Heil aller Zukunft erblickt, seine Bestrebungen und ihre Pflege begrüßen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/598>, abgerufen am 19.10.2024.