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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Lin Nachwort zum Metzer Aatholikentag

nicht wenige Katholiken von starker Religiosität gibt, die diesen Tagungen
grundsätzlich fern bleiben, ja direkt ablehnend gegenüberstehen -- vielleicht gerade
wegen ihrer tiefen Religiosität. Doch das sind psychologisch leicht erklärliche
Erscheinungen, die an obigem Tatbestand nichts zu ändern vermögen. Auch
der jeder Schaustellung abholde, ganz auf innere echte Religiosität gestimmte
Katholik muß schließlich zugeben, daß es eben doch die Kräfte des deutschen
Katholizismus sind, die bei diesen Massendemonstrationen zum mindesten mit¬
wirken.

Gerade ein solcher aber wird an den Gedanken und Bestrebungen, die
auf jenen Tagungen ihren resonanzstarken Ausdruck finden, nicht gleichgültig
vorbeigehen können, eben aus Interesse am deutschen Katholizismus und damit
auch am Katholizismus überhaupt.

Seit einer Anzahl von Jahren verfolgen die tiefer denkenden und schärfer
blickenden Kreise unter den Katholiken Deutschlands die seelische und geistige
Lage des deutschen Katholizismus mit wachsender Sorge; viele halten die
Situation geradezu für hoffnungslos und legen untätig die Hände in den
Schoß, es in bitterer Resignation der Vorsehung überlassend, ob und wann sie
eine Wendung zum besseren eintreten lassen will. Wer Einblick gewinnt in die
Anschauungen und Stimmungen jener katholischen Kreise, der wird erstaunt
sein, wieviel Mißstimmung und Erbitterung herrscht gegen den gegenwärtigen
kirchlichen Kurs, der wird aber auch mit Schmerz erkennen, wieviel geistige und
sittliche Kraft durch ihn lahmgelegt oder geradezu im Keime erstickt wird.
Wie ein schwerer Alp liegt das Pontifikat Pius des Zehnten auf dem katho¬
lischen Leben in Deutschland. Was hat dieser Papst in den zehn Jahren seines
Wirkens nicht alles an Hoffnungen und hoffnungsvollen Anfängen zerstört?
Ob er allein an all dem Unheil schuld ist oder nur den Strohmann einer
fanatischen Gruppe im Vatikan darstellt, dürfte sich selbst für einen der Kurie
Nahestehenden kaum mit Sicherheit entscheiden lassen. Schließlich ist das für
die Tatsache an sich ziemlich belanglos. Auch wer die kirchliche Autorität an¬
erkennt, wird, sofern er nur imstande ist, zwischen ihr und ihrem Vertreter zu
unterscheiden, nicht umhin können, Pius den Zehnten als einen die Entwicklung
und Stärkung des Katholizismus aufs schwerste schädigenden und auf Jahr¬
zehnte hemmenden Papst anzusehen. Was besagt da ein dabei- und makelloser
Charakter angesichts der von ihm verschuldeten ungeheuren Verwüstung und
Zerstörung im geistigen Leben des Katholizismus? Wer vermöchte da von uns
Sympathie oder gar Verehrung und Bewunderung für diesen Leiter der Kirche
verlangen?

Es ist der Metzer Tagung vorbehalten gewesen, uns gläubigen Katholiken
die Tiefe des Risses recht klar werden zu lassen, der durch unsere Seelen geht.
Fürst Löwenstein, der Präsident der Katholikenversammlung, führte aus: "Wie
oft ist dieser Papst unser Wohltäter geworden, auch wenn -- gestehen wir es
es offen -- seine Handlungen anfangs ängstlicher Kleingläubigkeit


Lin Nachwort zum Metzer Aatholikentag

nicht wenige Katholiken von starker Religiosität gibt, die diesen Tagungen
grundsätzlich fern bleiben, ja direkt ablehnend gegenüberstehen — vielleicht gerade
wegen ihrer tiefen Religiosität. Doch das sind psychologisch leicht erklärliche
Erscheinungen, die an obigem Tatbestand nichts zu ändern vermögen. Auch
der jeder Schaustellung abholde, ganz auf innere echte Religiosität gestimmte
Katholik muß schließlich zugeben, daß es eben doch die Kräfte des deutschen
Katholizismus sind, die bei diesen Massendemonstrationen zum mindesten mit¬
wirken.

Gerade ein solcher aber wird an den Gedanken und Bestrebungen, die
auf jenen Tagungen ihren resonanzstarken Ausdruck finden, nicht gleichgültig
vorbeigehen können, eben aus Interesse am deutschen Katholizismus und damit
auch am Katholizismus überhaupt.

Seit einer Anzahl von Jahren verfolgen die tiefer denkenden und schärfer
blickenden Kreise unter den Katholiken Deutschlands die seelische und geistige
Lage des deutschen Katholizismus mit wachsender Sorge; viele halten die
Situation geradezu für hoffnungslos und legen untätig die Hände in den
Schoß, es in bitterer Resignation der Vorsehung überlassend, ob und wann sie
eine Wendung zum besseren eintreten lassen will. Wer Einblick gewinnt in die
Anschauungen und Stimmungen jener katholischen Kreise, der wird erstaunt
sein, wieviel Mißstimmung und Erbitterung herrscht gegen den gegenwärtigen
kirchlichen Kurs, der wird aber auch mit Schmerz erkennen, wieviel geistige und
sittliche Kraft durch ihn lahmgelegt oder geradezu im Keime erstickt wird.
Wie ein schwerer Alp liegt das Pontifikat Pius des Zehnten auf dem katho¬
lischen Leben in Deutschland. Was hat dieser Papst in den zehn Jahren seines
Wirkens nicht alles an Hoffnungen und hoffnungsvollen Anfängen zerstört?
Ob er allein an all dem Unheil schuld ist oder nur den Strohmann einer
fanatischen Gruppe im Vatikan darstellt, dürfte sich selbst für einen der Kurie
Nahestehenden kaum mit Sicherheit entscheiden lassen. Schließlich ist das für
die Tatsache an sich ziemlich belanglos. Auch wer die kirchliche Autorität an¬
erkennt, wird, sofern er nur imstande ist, zwischen ihr und ihrem Vertreter zu
unterscheiden, nicht umhin können, Pius den Zehnten als einen die Entwicklung
und Stärkung des Katholizismus aufs schwerste schädigenden und auf Jahr¬
zehnte hemmenden Papst anzusehen. Was besagt da ein dabei- und makelloser
Charakter angesichts der von ihm verschuldeten ungeheuren Verwüstung und
Zerstörung im geistigen Leben des Katholizismus? Wer vermöchte da von uns
Sympathie oder gar Verehrung und Bewunderung für diesen Leiter der Kirche
verlangen?

Es ist der Metzer Tagung vorbehalten gewesen, uns gläubigen Katholiken
die Tiefe des Risses recht klar werden zu lassen, der durch unsere Seelen geht.
Fürst Löwenstein, der Präsident der Katholikenversammlung, führte aus: „Wie
oft ist dieser Papst unser Wohltäter geworden, auch wenn — gestehen wir es
es offen — seine Handlungen anfangs ängstlicher Kleingläubigkeit


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[0594] Lin Nachwort zum Metzer Aatholikentag nicht wenige Katholiken von starker Religiosität gibt, die diesen Tagungen grundsätzlich fern bleiben, ja direkt ablehnend gegenüberstehen — vielleicht gerade wegen ihrer tiefen Religiosität. Doch das sind psychologisch leicht erklärliche Erscheinungen, die an obigem Tatbestand nichts zu ändern vermögen. Auch der jeder Schaustellung abholde, ganz auf innere echte Religiosität gestimmte Katholik muß schließlich zugeben, daß es eben doch die Kräfte des deutschen Katholizismus sind, die bei diesen Massendemonstrationen zum mindesten mit¬ wirken. Gerade ein solcher aber wird an den Gedanken und Bestrebungen, die auf jenen Tagungen ihren resonanzstarken Ausdruck finden, nicht gleichgültig vorbeigehen können, eben aus Interesse am deutschen Katholizismus und damit auch am Katholizismus überhaupt. Seit einer Anzahl von Jahren verfolgen die tiefer denkenden und schärfer blickenden Kreise unter den Katholiken Deutschlands die seelische und geistige Lage des deutschen Katholizismus mit wachsender Sorge; viele halten die Situation geradezu für hoffnungslos und legen untätig die Hände in den Schoß, es in bitterer Resignation der Vorsehung überlassend, ob und wann sie eine Wendung zum besseren eintreten lassen will. Wer Einblick gewinnt in die Anschauungen und Stimmungen jener katholischen Kreise, der wird erstaunt sein, wieviel Mißstimmung und Erbitterung herrscht gegen den gegenwärtigen kirchlichen Kurs, der wird aber auch mit Schmerz erkennen, wieviel geistige und sittliche Kraft durch ihn lahmgelegt oder geradezu im Keime erstickt wird. Wie ein schwerer Alp liegt das Pontifikat Pius des Zehnten auf dem katho¬ lischen Leben in Deutschland. Was hat dieser Papst in den zehn Jahren seines Wirkens nicht alles an Hoffnungen und hoffnungsvollen Anfängen zerstört? Ob er allein an all dem Unheil schuld ist oder nur den Strohmann einer fanatischen Gruppe im Vatikan darstellt, dürfte sich selbst für einen der Kurie Nahestehenden kaum mit Sicherheit entscheiden lassen. Schließlich ist das für die Tatsache an sich ziemlich belanglos. Auch wer die kirchliche Autorität an¬ erkennt, wird, sofern er nur imstande ist, zwischen ihr und ihrem Vertreter zu unterscheiden, nicht umhin können, Pius den Zehnten als einen die Entwicklung und Stärkung des Katholizismus aufs schwerste schädigenden und auf Jahr¬ zehnte hemmenden Papst anzusehen. Was besagt da ein dabei- und makelloser Charakter angesichts der von ihm verschuldeten ungeheuren Verwüstung und Zerstörung im geistigen Leben des Katholizismus? Wer vermöchte da von uns Sympathie oder gar Verehrung und Bewunderung für diesen Leiter der Kirche verlangen? Es ist der Metzer Tagung vorbehalten gewesen, uns gläubigen Katholiken die Tiefe des Risses recht klar werden zu lassen, der durch unsere Seelen geht. Fürst Löwenstein, der Präsident der Katholikenversammlung, führte aus: „Wie oft ist dieser Papst unser Wohltäter geworden, auch wenn — gestehen wir es es offen — seine Handlungen anfangs ängstlicher Kleingläubigkeit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/594>, abgerufen am 28.12.2024.