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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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durch die lang anhaltenden unsicheren Zustände erwächst. Die Wirkung ist
jedoch bisher, wie die anläßlich der Zwischenfälle von Harlan und Nanking in
der zweiten Septemberwoche von Japan erhobenen Forderungen zeigen, sehr
gering gewesen. Wird die gerade von Kritikern unserer Diplomatie oft gerühmte
Kunst der leitenden Männer in Downing Street in der ostasiatischen Frage
versagen?




Die japanische Regierung befindet sich gegenwärtig in der schwierigen Lage
des berühmten Zauberlehrlings, der die einmal gerufenen Geister nicht loswerden
kann, ein Zustand, der sowohl auf ihre allzu kühnen, gegen die chinesische
Staatsautorität gerichteten Drahtziehergriffe vor Beginn und im Verlauf der
chinesischen Revolution, wie auf die Machenschaften jener Partei zurückzuführen
ist. die sich für die Einführung eines parlamentarischen Regierungssystems auf
englischer Grundlage in Japan eingesetzt hat. Nachdem die liberale Seiyukai, durch
ihren radikalen Flügel aufgereizt, das Ministerium des Fürsten Katsura mit Hilfe von
Pöbelausschreitungen im Februar dieses Jahres gestürzt und damit zum ersten¬
mal in der Geschichte des japanischen Reichstags die Mehrheit des Abgeordneten¬
hauses einem ausgesprochenen Wunsche des Kaisers die Erfüllung versagt hatte,
gelangte das aus Mitgliedern der Seiyukai und der Satsuma- und Flotten¬
partei gebildete Kabinett des Admirals Grafen Uamamoto ans Ruder, das
schließlich die Annahme des Etats mit der winzigen Mehrheit von nur fünf
Stimmen erwirkte und dessen Bestand in der Hoffnung auf den Erfolg eines
Finanzreformprogramms beruht. In den letzten Monaten hat sich die Gegner¬
schaft zwischen den Anhängern des Fürsten Katsura, die im wesentlichen die
gemäßigte Politik der sogenannten älteren Staatsmänner vertreten, und dem
Kabinett Uamamoto weiter verschärft. Das Heer der Feinde des Premier¬
ministers wird naturgemäß jetzt durch die zwölftausend Beamten verstärkt, die
auf Grund des Finanzreformprogramms kurzerhand entlassen, mit Pension
in den Ruhestand versetzt oder zur Disposition gestellt werden. Die Lage der
japanischen Regierung ist daher keineswegs rosig, und das um so weniger, als
die Kritik ihrer auswärtigen Politik im Blick auf Kanada und die Vereinigten
Staaten sowohl wie in bezug auf China von Tag zu Tag schärfer einsetzt. Die
in diesen Tagen auftauchende Vermutung, daß die Tokioer Regierung angesichts
der inneren Schwierigkeiten den Versuch machen werde, durch einen brutalen
Schlag gegen China sich Luft zu verschaffen, klang daher nicht unberechtigt. Der
ungeachtet aller Finanzreform chronische Geldmangel und die allgemeine wirt¬
schaftliche Lage Japans dürften aber schließlich einer weisen Mäßigung Geltung ver¬
schaffen. Japanische Anleihen sind gegenwärtig in Europa weit weniger beliebt
als chinesische, denen man sicherlich den Vortritt lassen wird.




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durch die lang anhaltenden unsicheren Zustände erwächst. Die Wirkung ist
jedoch bisher, wie die anläßlich der Zwischenfälle von Harlan und Nanking in
der zweiten Septemberwoche von Japan erhobenen Forderungen zeigen, sehr
gering gewesen. Wird die gerade von Kritikern unserer Diplomatie oft gerühmte
Kunst der leitenden Männer in Downing Street in der ostasiatischen Frage
versagen?




Die japanische Regierung befindet sich gegenwärtig in der schwierigen Lage
des berühmten Zauberlehrlings, der die einmal gerufenen Geister nicht loswerden
kann, ein Zustand, der sowohl auf ihre allzu kühnen, gegen die chinesische
Staatsautorität gerichteten Drahtziehergriffe vor Beginn und im Verlauf der
chinesischen Revolution, wie auf die Machenschaften jener Partei zurückzuführen
ist. die sich für die Einführung eines parlamentarischen Regierungssystems auf
englischer Grundlage in Japan eingesetzt hat. Nachdem die liberale Seiyukai, durch
ihren radikalen Flügel aufgereizt, das Ministerium des Fürsten Katsura mit Hilfe von
Pöbelausschreitungen im Februar dieses Jahres gestürzt und damit zum ersten¬
mal in der Geschichte des japanischen Reichstags die Mehrheit des Abgeordneten¬
hauses einem ausgesprochenen Wunsche des Kaisers die Erfüllung versagt hatte,
gelangte das aus Mitgliedern der Seiyukai und der Satsuma- und Flotten¬
partei gebildete Kabinett des Admirals Grafen Uamamoto ans Ruder, das
schließlich die Annahme des Etats mit der winzigen Mehrheit von nur fünf
Stimmen erwirkte und dessen Bestand in der Hoffnung auf den Erfolg eines
Finanzreformprogramms beruht. In den letzten Monaten hat sich die Gegner¬
schaft zwischen den Anhängern des Fürsten Katsura, die im wesentlichen die
gemäßigte Politik der sogenannten älteren Staatsmänner vertreten, und dem
Kabinett Uamamoto weiter verschärft. Das Heer der Feinde des Premier¬
ministers wird naturgemäß jetzt durch die zwölftausend Beamten verstärkt, die
auf Grund des Finanzreformprogramms kurzerhand entlassen, mit Pension
in den Ruhestand versetzt oder zur Disposition gestellt werden. Die Lage der
japanischen Regierung ist daher keineswegs rosig, und das um so weniger, als
die Kritik ihrer auswärtigen Politik im Blick auf Kanada und die Vereinigten
Staaten sowohl wie in bezug auf China von Tag zu Tag schärfer einsetzt. Die
in diesen Tagen auftauchende Vermutung, daß die Tokioer Regierung angesichts
der inneren Schwierigkeiten den Versuch machen werde, durch einen brutalen
Schlag gegen China sich Luft zu verschaffen, klang daher nicht unberechtigt. Der
ungeachtet aller Finanzreform chronische Geldmangel und die allgemeine wirt¬
schaftliche Lage Japans dürften aber schließlich einer weisen Mäßigung Geltung ver¬
schaffen. Japanische Anleihen sind gegenwärtig in Europa weit weniger beliebt
als chinesische, denen man sicherlich den Vortritt lassen wird.




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[0592] Gstasiatische Gewitterwolke» durch die lang anhaltenden unsicheren Zustände erwächst. Die Wirkung ist jedoch bisher, wie die anläßlich der Zwischenfälle von Harlan und Nanking in der zweiten Septemberwoche von Japan erhobenen Forderungen zeigen, sehr gering gewesen. Wird die gerade von Kritikern unserer Diplomatie oft gerühmte Kunst der leitenden Männer in Downing Street in der ostasiatischen Frage versagen? Die japanische Regierung befindet sich gegenwärtig in der schwierigen Lage des berühmten Zauberlehrlings, der die einmal gerufenen Geister nicht loswerden kann, ein Zustand, der sowohl auf ihre allzu kühnen, gegen die chinesische Staatsautorität gerichteten Drahtziehergriffe vor Beginn und im Verlauf der chinesischen Revolution, wie auf die Machenschaften jener Partei zurückzuführen ist. die sich für die Einführung eines parlamentarischen Regierungssystems auf englischer Grundlage in Japan eingesetzt hat. Nachdem die liberale Seiyukai, durch ihren radikalen Flügel aufgereizt, das Ministerium des Fürsten Katsura mit Hilfe von Pöbelausschreitungen im Februar dieses Jahres gestürzt und damit zum ersten¬ mal in der Geschichte des japanischen Reichstags die Mehrheit des Abgeordneten¬ hauses einem ausgesprochenen Wunsche des Kaisers die Erfüllung versagt hatte, gelangte das aus Mitgliedern der Seiyukai und der Satsuma- und Flotten¬ partei gebildete Kabinett des Admirals Grafen Uamamoto ans Ruder, das schließlich die Annahme des Etats mit der winzigen Mehrheit von nur fünf Stimmen erwirkte und dessen Bestand in der Hoffnung auf den Erfolg eines Finanzreformprogramms beruht. In den letzten Monaten hat sich die Gegner¬ schaft zwischen den Anhängern des Fürsten Katsura, die im wesentlichen die gemäßigte Politik der sogenannten älteren Staatsmänner vertreten, und dem Kabinett Uamamoto weiter verschärft. Das Heer der Feinde des Premier¬ ministers wird naturgemäß jetzt durch die zwölftausend Beamten verstärkt, die auf Grund des Finanzreformprogramms kurzerhand entlassen, mit Pension in den Ruhestand versetzt oder zur Disposition gestellt werden. Die Lage der japanischen Regierung ist daher keineswegs rosig, und das um so weniger, als die Kritik ihrer auswärtigen Politik im Blick auf Kanada und die Vereinigten Staaten sowohl wie in bezug auf China von Tag zu Tag schärfer einsetzt. Die in diesen Tagen auftauchende Vermutung, daß die Tokioer Regierung angesichts der inneren Schwierigkeiten den Versuch machen werde, durch einen brutalen Schlag gegen China sich Luft zu verschaffen, klang daher nicht unberechtigt. Der ungeachtet aller Finanzreform chronische Geldmangel und die allgemeine wirt¬ schaftliche Lage Japans dürften aber schließlich einer weisen Mäßigung Geltung ver¬ schaffen. Japanische Anleihen sind gegenwärtig in Europa weit weniger beliebt als chinesische, denen man sicherlich den Vortritt lassen wird.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/592>, abgerufen am 19.10.2024.