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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Vstasiatische Gewitterwolken

chinesischen Grenzländer durch jenen vielbesprochenen Anleihevertrag über
10 Millionen Pfund Sterling bedroht, den das sogenannte Viermächtesyndikat,
bestehend aus Banken der Vereinigten Staaten, Englands, Frankreichs und
Deutschlands, mit China abschloß. Diese Anleihe sollte China die Möglichkeit
geben, die gewaltigen wirtschaftlichen Schätze der Mandschurei zu erschließen
und die geplante Währungsreform durchzuführen. Als Sicherheit wurden die
Einnahmen der drei mandschurischen Provinzen verpfändet. Damit war den
geldgebenden Mächten, zu denen, wie erwähnt, Japan und Rußland nicht ge¬
hörten, ein gewisser Einfluß in jenen Gebieten zugestanden. Eine gewaltige
Erregung griff in Tokio Platz. Japan sah seine Stellung in der Mandschurei
schwer bedroht; es zog an den von Kirin bis hinunter nach Canton seit Jahren
sorgsam gespannten Fäden, und -- der chinesische Bürgerkrieg, der heute noch
nicht beendet ist, brach in den ersten Oktobertagen des Jahres 1911 aus. Die
Auszahlung der Anleihe unterblieb, und die Mandschurei war vorläufig für die
weitere Ausdehnung des japanischen Einflusses gerettet. Die chinesische Revo¬
lution hat dann die russisch-japanische Annäherung weiter begünstigt und eine
verstärkte Abkühlung der britisch-japanischen Beziehungen gebracht. Sehr bald
erkannte die britische Diplomatie in China, daß sie mit der anfänglichen Be¬
günstigung der chinesischen Aufstandsbewegung einen schweren Fehler begangen,
ja, sich einfach von Japan hatte schieben lassen. Für die britische Gesandtschaft
in Peking galten in jenen Monaten der Aufregung die Berichte des Schanghaier
Generalkonsuls Sir E. D. H. Fräser als durchaus maßgebend. Fräsers Be-
rater wiederum waren die Chefs der großen britischen Handelshäuser in Schanghai,
die ihrerseits -- jeder Kenner chinesischer Verhältnisse wird meine Beobachtungen
bestätigen müssen -- von ihren Compradores (durch deren Hände das gesamte
Ein- und Ausfuhrgeschäft geht), die alle den südchinesischen Provinzen ent¬
stammen, über die "Stimmung in China" mit bemerkenswerter Energie "unter¬
richtet" und durch Boykottdrohungen seitens der großen südchinesischen Gilden
in Schrecken gesetzt wurden. In Südchina aber war, wie heute allgemein be¬
kannt ist, das Heer der japanischen Agenten seit Jahren tätig gewesen. In
diesem Augenblicke, d. h. im Sommer 1911, wurde es im Interesse eines revo¬
lutionären Ausbruches in China mobil gemacht. Der Ring war geschlossen;
der Funke zündete I

Endlich erkannten die maßgebenden britischen Kreise die Drahtzieher der Revo¬
lution. England machte denn auch bald den Versuch, den japanischen Gelüsten auf die
Eisen-, Stahl- und Kohlenwerke von Hanyang, Tajeh und Pinghsiang, im
Herzen Chinas und die "China Merchants Steam Navigation Cop", die größte
chinesische Schiffahrtsgesellschaft, einen Riegel vorzuschieben. Die führenden
Londoner Blätter ergehen sich, ebenso wie die der britischen Regierung nahe-
stehenden, im Osten in englischer Sprache erscheinenden Zeitungen, in Warnungen,
die offen an die Tokioer Adresse gerichtet sind und in denen auf den großen
Schaden hingewiesen wird, der allen am Handel Chinas interessierten Mächten
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chinesischen Grenzländer durch jenen vielbesprochenen Anleihevertrag über
10 Millionen Pfund Sterling bedroht, den das sogenannte Viermächtesyndikat,
bestehend aus Banken der Vereinigten Staaten, Englands, Frankreichs und
Deutschlands, mit China abschloß. Diese Anleihe sollte China die Möglichkeit
geben, die gewaltigen wirtschaftlichen Schätze der Mandschurei zu erschließen
und die geplante Währungsreform durchzuführen. Als Sicherheit wurden die
Einnahmen der drei mandschurischen Provinzen verpfändet. Damit war den
geldgebenden Mächten, zu denen, wie erwähnt, Japan und Rußland nicht ge¬
hörten, ein gewisser Einfluß in jenen Gebieten zugestanden. Eine gewaltige
Erregung griff in Tokio Platz. Japan sah seine Stellung in der Mandschurei
schwer bedroht; es zog an den von Kirin bis hinunter nach Canton seit Jahren
sorgsam gespannten Fäden, und — der chinesische Bürgerkrieg, der heute noch
nicht beendet ist, brach in den ersten Oktobertagen des Jahres 1911 aus. Die
Auszahlung der Anleihe unterblieb, und die Mandschurei war vorläufig für die
weitere Ausdehnung des japanischen Einflusses gerettet. Die chinesische Revo¬
lution hat dann die russisch-japanische Annäherung weiter begünstigt und eine
verstärkte Abkühlung der britisch-japanischen Beziehungen gebracht. Sehr bald
erkannte die britische Diplomatie in China, daß sie mit der anfänglichen Be¬
günstigung der chinesischen Aufstandsbewegung einen schweren Fehler begangen,
ja, sich einfach von Japan hatte schieben lassen. Für die britische Gesandtschaft
in Peking galten in jenen Monaten der Aufregung die Berichte des Schanghaier
Generalkonsuls Sir E. D. H. Fräser als durchaus maßgebend. Fräsers Be-
rater wiederum waren die Chefs der großen britischen Handelshäuser in Schanghai,
die ihrerseits — jeder Kenner chinesischer Verhältnisse wird meine Beobachtungen
bestätigen müssen — von ihren Compradores (durch deren Hände das gesamte
Ein- und Ausfuhrgeschäft geht), die alle den südchinesischen Provinzen ent¬
stammen, über die „Stimmung in China" mit bemerkenswerter Energie „unter¬
richtet" und durch Boykottdrohungen seitens der großen südchinesischen Gilden
in Schrecken gesetzt wurden. In Südchina aber war, wie heute allgemein be¬
kannt ist, das Heer der japanischen Agenten seit Jahren tätig gewesen. In
diesem Augenblicke, d. h. im Sommer 1911, wurde es im Interesse eines revo¬
lutionären Ausbruches in China mobil gemacht. Der Ring war geschlossen;
der Funke zündete I

Endlich erkannten die maßgebenden britischen Kreise die Drahtzieher der Revo¬
lution. England machte denn auch bald den Versuch, den japanischen Gelüsten auf die
Eisen-, Stahl- und Kohlenwerke von Hanyang, Tajeh und Pinghsiang, im
Herzen Chinas und die „China Merchants Steam Navigation Cop", die größte
chinesische Schiffahrtsgesellschaft, einen Riegel vorzuschieben. Die führenden
Londoner Blätter ergehen sich, ebenso wie die der britischen Regierung nahe-
stehenden, im Osten in englischer Sprache erscheinenden Zeitungen, in Warnungen,
die offen an die Tokioer Adresse gerichtet sind und in denen auf den großen
Schaden hingewiesen wird, der allen am Handel Chinas interessierten Mächten
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/591>, abgerufen am 19.10.2024.