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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Sturm

Jwanowschen Hause. Von dem Tage an, wo sein Wirt geheiratet hatte, war
es mit der Ruhe vorbei. Der alte sperrte seine junge Frau eifersüchtig ein,
und wenn sie klagte, zankte er sie aus. Es war alles durch die Decke zu hören.
Wie ein Kind war sie in die Ehe gegangen, weil man ihr hübsche Kleider und
Konfekt nach Herzenslust versprochen hatte. Was Liebe war, davon hatte sie
keine Ahnung. Sie verstand gar nicht, was der Mann von ihr wollte. Bald
ein Jahr lang quälte er sie. Sie verkroch sich vor ihm wie ein Hund, und wie
ein Hund bekam sie schließlich Prügel... Ich habe auf ihrem Rücken die
Narben gesehen! -- Eines Tages gelingt es ihr, die Wohnung allein zu ver¬
lassen. Sie will fliehen. Da hört sie im Flur die Schritte ihres Mannes. In
ihrer Angst rennt sie die Treppe hinauf und Wolff Joachim gerade in die Arme:
.Retten Sie mich!' fleht sie. >Er schlägt mich tot!' Damals sah er sie zum
erstenmal..."

"Er hat sie selbstverständlich unter seinen Schutz genommen?"

"Erst ging er zu dem Mann und wollte mit ihm reden. Aber der
gebärdete sich wie verrückt, pochte auf sein Recht und wies ihm die Tür. Wolff
Joachim ist noch am selben Tag ausgezogen und hat die arme Frau an einem
sicheren Ort untergebracht. Nun ging eine ordentliche Hetzjagd los. Jwanow
setzte Himmel und Hölle in Bewegung, um Loljas wieder habhaft zu werden.
Sie mußte zehnmal die Wohnung wechseln und schließlich nahm Wolff Joachim
polizeilichen Schutz für sie in Anspruch. Ist es ein Wunder, daß sie ihm
dankbar war?"

"Und daß aus der Dankbarkeit Liebe wurde?"

"Siehst du -- jetzt bekommt auch die Affäre im Restaurant ein anderes
Gesicht. Es war das erstemal, daß er Lolja auszuführen wagte. Das Kind
hatte noch so gut wie nichts vom Leben gesehen. In der Angst, von ihrem
Mann entdeckt zu werden, hatte sie tagaus, tagein das Zimmer hüten müssen.
Da holte sie Wolff Joachim eines Tages ab. So, wie er uns damals in
Petersburg zum Bummeln abgeholt hat. Sie sollte einmal lustig sein --
Musik hören, Menschen sehen, Champagner trinken. Ahnungslos, daß ein Detektiv
den Alten benachrichtigt hatte, fitzen sie beim Wein. Da kommt der Mensch
angestürzt."

"Ein peinlicher Augenblick!"

"Er ist es, der mit der Reitpeitsche ausholt..."

"Und der mit seiner eigenen Reitpeitsche Prügel bekommt? Bravo, Wolff
Joachim!"

Edles klatschte in die Hände. "So hat er es auch in Borküll gemacht.
Ist doch ein schneidiger Junge!"

Edda schwieg.

"Entschuldige! Ich hatte ganz vergessen..."

Aber Edda blickte ihrer Schwester ruhig ins Auge: "Du hast mich nicht
gekränkt. Ich will dir gestehen, daß ich in meines Herzens Grund für solche


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Sturm

Jwanowschen Hause. Von dem Tage an, wo sein Wirt geheiratet hatte, war
es mit der Ruhe vorbei. Der alte sperrte seine junge Frau eifersüchtig ein,
und wenn sie klagte, zankte er sie aus. Es war alles durch die Decke zu hören.
Wie ein Kind war sie in die Ehe gegangen, weil man ihr hübsche Kleider und
Konfekt nach Herzenslust versprochen hatte. Was Liebe war, davon hatte sie
keine Ahnung. Sie verstand gar nicht, was der Mann von ihr wollte. Bald
ein Jahr lang quälte er sie. Sie verkroch sich vor ihm wie ein Hund, und wie
ein Hund bekam sie schließlich Prügel... Ich habe auf ihrem Rücken die
Narben gesehen! — Eines Tages gelingt es ihr, die Wohnung allein zu ver¬
lassen. Sie will fliehen. Da hört sie im Flur die Schritte ihres Mannes. In
ihrer Angst rennt sie die Treppe hinauf und Wolff Joachim gerade in die Arme:
.Retten Sie mich!' fleht sie. >Er schlägt mich tot!' Damals sah er sie zum
erstenmal..."

„Er hat sie selbstverständlich unter seinen Schutz genommen?"

„Erst ging er zu dem Mann und wollte mit ihm reden. Aber der
gebärdete sich wie verrückt, pochte auf sein Recht und wies ihm die Tür. Wolff
Joachim ist noch am selben Tag ausgezogen und hat die arme Frau an einem
sicheren Ort untergebracht. Nun ging eine ordentliche Hetzjagd los. Jwanow
setzte Himmel und Hölle in Bewegung, um Loljas wieder habhaft zu werden.
Sie mußte zehnmal die Wohnung wechseln und schließlich nahm Wolff Joachim
polizeilichen Schutz für sie in Anspruch. Ist es ein Wunder, daß sie ihm
dankbar war?"

„Und daß aus der Dankbarkeit Liebe wurde?"

„Siehst du — jetzt bekommt auch die Affäre im Restaurant ein anderes
Gesicht. Es war das erstemal, daß er Lolja auszuführen wagte. Das Kind
hatte noch so gut wie nichts vom Leben gesehen. In der Angst, von ihrem
Mann entdeckt zu werden, hatte sie tagaus, tagein das Zimmer hüten müssen.
Da holte sie Wolff Joachim eines Tages ab. So, wie er uns damals in
Petersburg zum Bummeln abgeholt hat. Sie sollte einmal lustig sein —
Musik hören, Menschen sehen, Champagner trinken. Ahnungslos, daß ein Detektiv
den Alten benachrichtigt hatte, fitzen sie beim Wein. Da kommt der Mensch
angestürzt."

„Ein peinlicher Augenblick!"

„Er ist es, der mit der Reitpeitsche ausholt..."

„Und der mit seiner eigenen Reitpeitsche Prügel bekommt? Bravo, Wolff
Joachim!"

Edles klatschte in die Hände. „So hat er es auch in Borküll gemacht.
Ist doch ein schneidiger Junge!"

Edda schwieg.

„Entschuldige! Ich hatte ganz vergessen..."

Aber Edda blickte ihrer Schwester ruhig ins Auge: „Du hast mich nicht
gekränkt. Ich will dir gestehen, daß ich in meines Herzens Grund für solche


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[0575] Sturm Jwanowschen Hause. Von dem Tage an, wo sein Wirt geheiratet hatte, war es mit der Ruhe vorbei. Der alte sperrte seine junge Frau eifersüchtig ein, und wenn sie klagte, zankte er sie aus. Es war alles durch die Decke zu hören. Wie ein Kind war sie in die Ehe gegangen, weil man ihr hübsche Kleider und Konfekt nach Herzenslust versprochen hatte. Was Liebe war, davon hatte sie keine Ahnung. Sie verstand gar nicht, was der Mann von ihr wollte. Bald ein Jahr lang quälte er sie. Sie verkroch sich vor ihm wie ein Hund, und wie ein Hund bekam sie schließlich Prügel... Ich habe auf ihrem Rücken die Narben gesehen! — Eines Tages gelingt es ihr, die Wohnung allein zu ver¬ lassen. Sie will fliehen. Da hört sie im Flur die Schritte ihres Mannes. In ihrer Angst rennt sie die Treppe hinauf und Wolff Joachim gerade in die Arme: .Retten Sie mich!' fleht sie. >Er schlägt mich tot!' Damals sah er sie zum erstenmal..." „Er hat sie selbstverständlich unter seinen Schutz genommen?" „Erst ging er zu dem Mann und wollte mit ihm reden. Aber der gebärdete sich wie verrückt, pochte auf sein Recht und wies ihm die Tür. Wolff Joachim ist noch am selben Tag ausgezogen und hat die arme Frau an einem sicheren Ort untergebracht. Nun ging eine ordentliche Hetzjagd los. Jwanow setzte Himmel und Hölle in Bewegung, um Loljas wieder habhaft zu werden. Sie mußte zehnmal die Wohnung wechseln und schließlich nahm Wolff Joachim polizeilichen Schutz für sie in Anspruch. Ist es ein Wunder, daß sie ihm dankbar war?" „Und daß aus der Dankbarkeit Liebe wurde?" „Siehst du — jetzt bekommt auch die Affäre im Restaurant ein anderes Gesicht. Es war das erstemal, daß er Lolja auszuführen wagte. Das Kind hatte noch so gut wie nichts vom Leben gesehen. In der Angst, von ihrem Mann entdeckt zu werden, hatte sie tagaus, tagein das Zimmer hüten müssen. Da holte sie Wolff Joachim eines Tages ab. So, wie er uns damals in Petersburg zum Bummeln abgeholt hat. Sie sollte einmal lustig sein — Musik hören, Menschen sehen, Champagner trinken. Ahnungslos, daß ein Detektiv den Alten benachrichtigt hatte, fitzen sie beim Wein. Da kommt der Mensch angestürzt." „Ein peinlicher Augenblick!" „Er ist es, der mit der Reitpeitsche ausholt..." „Und der mit seiner eigenen Reitpeitsche Prügel bekommt? Bravo, Wolff Joachim!" Edles klatschte in die Hände. „So hat er es auch in Borküll gemacht. Ist doch ein schneidiger Junge!" Edda schwieg. „Entschuldige! Ich hatte ganz vergessen..." Aber Edda blickte ihrer Schwester ruhig ins Auge: „Du hast mich nicht gekränkt. Ich will dir gestehen, daß ich in meines Herzens Grund für solche 36»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/575>, abgerufen am 20.10.2024.