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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Sturm

"Morgen wird auch der rote Reiter beerdigt!" sagte er nach einer Weile.
"Es wird viel Volk da seinl"

Wolff Joachims Augen glühten in düstrem Feuer: "Man sollte ihn wie
einen Hund auf dem Schindanger verscharren!"

"Nicht doch, Herr Baron! Er war ein Irrender, und sein letztes Wort
galt seiner Heimat. Unser Herr Christus wird ihm vergeben. So wollen wir
ihm auch vergeben..."

Und Rehren sagte: "Du -- die Gemeinheit da" -- er deutete auf Wolff
Joachims Verband -- "hätte der rote Reiter nicht zugelassen!"

Da fiel es Pastor Tannebaum ein, daß diese zweite Beerdigung noch eine
Rücksprache mit Herrn von Wenkendorff erforderte. Er verabschiedete sich eilig
und pochte zum zweiten Male an die Tür des Herrenzimmers:

"Ich wollte Ihnen nur mitteilen, daß ich es für meine Pflicht halte, dem
Mann eine christliche Bestattung nicht zu versagen. . ."

"Ich habe es nie anders angenommen, lieber Pastor. Und keine bessere
Gelegenheit gibt es, dem Volk zu zeigen, daß die Deutschen nicht mit zweierlei
Maß messen."

So sprach der alte Wenkendorff. . .

Eine ähnliche Feier, wie sie am Sonntag auf dem Gottesacker des Kirch¬
spiels stattfand, hatte Estland noch nie gesehen.

Der Förster Sandberg war in den Dörfern des Kreises eine bekannte Per¬
sönlichkeit. Für seine Waldkulturen hatte er viel Arbeiter gebraucht, und, da
der Lohnsatz auf Sternburg reichlich war, so drängten sich die Leute zu der Arbeit.

Nun kamen sie aus allen Windrichtungen herbei, dem Mann die letzte Ehre
zu erweisen, der so freundlich und dabei doch bestimmt Kommando geführt hatte.
Wetterbraune, verarbeitete Gestalten waren es, in Lederjacken und Schafspelzen,
mit schwerfälligen, ungeschickten Bewegungen. Sie trugen Fellmützen mit Ohren¬
klappen, und verlegen blickten darunter die kleinen hellen Augen hervor.

Auch ihre Weiber waren mitgekommen, meist in der bäurischen Tracht mit
hohen bändergeschmückten Seidenbänder, halb versteckt unter den großen Um-
schlagetüchern.

So zogen die Scharen dem Friedhof zu. In langen Reihen standen die
niedrigen Schlitten unterhalb der Mauer. Die Heukisten der Sitze waren mit
hausgewebten bunten Decken belegt und hoben sich farbig ab gegen den Schnee,
der seit zwei Tagen gefallen war.

Jetzt tauchte von Sternburg her der Leichenzug auf der Landstraße auf.
Buschwächter und Hofleute trugen abwechselnd den Sarg. Und zwanzig Barone
zu Pferde ritten als Ehreneskorte mit.

Reus von Manteuffel hatte die Idee angeregt und Herr von Burkhard sie
mit Wärme aufgegriffen. Es gab aber auch Meinungen, die sich gegen sie aus-
sprachen.


Grenzboten III 1913 36
Sturm

„Morgen wird auch der rote Reiter beerdigt!" sagte er nach einer Weile.
„Es wird viel Volk da seinl"

Wolff Joachims Augen glühten in düstrem Feuer: „Man sollte ihn wie
einen Hund auf dem Schindanger verscharren!"

„Nicht doch, Herr Baron! Er war ein Irrender, und sein letztes Wort
galt seiner Heimat. Unser Herr Christus wird ihm vergeben. So wollen wir
ihm auch vergeben..."

Und Rehren sagte: „Du — die Gemeinheit da" — er deutete auf Wolff
Joachims Verband — „hätte der rote Reiter nicht zugelassen!"

Da fiel es Pastor Tannebaum ein, daß diese zweite Beerdigung noch eine
Rücksprache mit Herrn von Wenkendorff erforderte. Er verabschiedete sich eilig
und pochte zum zweiten Male an die Tür des Herrenzimmers:

„Ich wollte Ihnen nur mitteilen, daß ich es für meine Pflicht halte, dem
Mann eine christliche Bestattung nicht zu versagen. . ."

„Ich habe es nie anders angenommen, lieber Pastor. Und keine bessere
Gelegenheit gibt es, dem Volk zu zeigen, daß die Deutschen nicht mit zweierlei
Maß messen."

So sprach der alte Wenkendorff. . .

Eine ähnliche Feier, wie sie am Sonntag auf dem Gottesacker des Kirch¬
spiels stattfand, hatte Estland noch nie gesehen.

Der Förster Sandberg war in den Dörfern des Kreises eine bekannte Per¬
sönlichkeit. Für seine Waldkulturen hatte er viel Arbeiter gebraucht, und, da
der Lohnsatz auf Sternburg reichlich war, so drängten sich die Leute zu der Arbeit.

Nun kamen sie aus allen Windrichtungen herbei, dem Mann die letzte Ehre
zu erweisen, der so freundlich und dabei doch bestimmt Kommando geführt hatte.
Wetterbraune, verarbeitete Gestalten waren es, in Lederjacken und Schafspelzen,
mit schwerfälligen, ungeschickten Bewegungen. Sie trugen Fellmützen mit Ohren¬
klappen, und verlegen blickten darunter die kleinen hellen Augen hervor.

Auch ihre Weiber waren mitgekommen, meist in der bäurischen Tracht mit
hohen bändergeschmückten Seidenbänder, halb versteckt unter den großen Um-
schlagetüchern.

So zogen die Scharen dem Friedhof zu. In langen Reihen standen die
niedrigen Schlitten unterhalb der Mauer. Die Heukisten der Sitze waren mit
hausgewebten bunten Decken belegt und hoben sich farbig ab gegen den Schnee,
der seit zwei Tagen gefallen war.

Jetzt tauchte von Sternburg her der Leichenzug auf der Landstraße auf.
Buschwächter und Hofleute trugen abwechselnd den Sarg. Und zwanzig Barone
zu Pferde ritten als Ehreneskorte mit.

Reus von Manteuffel hatte die Idee angeregt und Herr von Burkhard sie
mit Wärme aufgegriffen. Es gab aber auch Meinungen, die sich gegen sie aus-
sprachen.


Grenzboten III 1913 36
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[0573] Sturm „Morgen wird auch der rote Reiter beerdigt!" sagte er nach einer Weile. „Es wird viel Volk da seinl" Wolff Joachims Augen glühten in düstrem Feuer: „Man sollte ihn wie einen Hund auf dem Schindanger verscharren!" „Nicht doch, Herr Baron! Er war ein Irrender, und sein letztes Wort galt seiner Heimat. Unser Herr Christus wird ihm vergeben. So wollen wir ihm auch vergeben..." Und Rehren sagte: „Du — die Gemeinheit da" — er deutete auf Wolff Joachims Verband — „hätte der rote Reiter nicht zugelassen!" Da fiel es Pastor Tannebaum ein, daß diese zweite Beerdigung noch eine Rücksprache mit Herrn von Wenkendorff erforderte. Er verabschiedete sich eilig und pochte zum zweiten Male an die Tür des Herrenzimmers: „Ich wollte Ihnen nur mitteilen, daß ich es für meine Pflicht halte, dem Mann eine christliche Bestattung nicht zu versagen. . ." „Ich habe es nie anders angenommen, lieber Pastor. Und keine bessere Gelegenheit gibt es, dem Volk zu zeigen, daß die Deutschen nicht mit zweierlei Maß messen." So sprach der alte Wenkendorff. . . Eine ähnliche Feier, wie sie am Sonntag auf dem Gottesacker des Kirch¬ spiels stattfand, hatte Estland noch nie gesehen. Der Förster Sandberg war in den Dörfern des Kreises eine bekannte Per¬ sönlichkeit. Für seine Waldkulturen hatte er viel Arbeiter gebraucht, und, da der Lohnsatz auf Sternburg reichlich war, so drängten sich die Leute zu der Arbeit. Nun kamen sie aus allen Windrichtungen herbei, dem Mann die letzte Ehre zu erweisen, der so freundlich und dabei doch bestimmt Kommando geführt hatte. Wetterbraune, verarbeitete Gestalten waren es, in Lederjacken und Schafspelzen, mit schwerfälligen, ungeschickten Bewegungen. Sie trugen Fellmützen mit Ohren¬ klappen, und verlegen blickten darunter die kleinen hellen Augen hervor. Auch ihre Weiber waren mitgekommen, meist in der bäurischen Tracht mit hohen bändergeschmückten Seidenbänder, halb versteckt unter den großen Um- schlagetüchern. So zogen die Scharen dem Friedhof zu. In langen Reihen standen die niedrigen Schlitten unterhalb der Mauer. Die Heukisten der Sitze waren mit hausgewebten bunten Decken belegt und hoben sich farbig ab gegen den Schnee, der seit zwei Tagen gefallen war. Jetzt tauchte von Sternburg her der Leichenzug auf der Landstraße auf. Buschwächter und Hofleute trugen abwechselnd den Sarg. Und zwanzig Barone zu Pferde ritten als Ehreneskorte mit. Reus von Manteuffel hatte die Idee angeregt und Herr von Burkhard sie mit Wärme aufgegriffen. Es gab aber auch Meinungen, die sich gegen sie aus- sprachen. Grenzboten III 1913 36

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/573>, abgerufen am 20.10.2024.