Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.Internationales Recht und internationale Rechtsgemeinschaft echten Völkerrechtsnormen sind allerdings nicht zusammen zu werfen die Regeln An der rechtlichen Gemeinüberzeugung, die zur Erzeugung von Völker- Internationales Recht und internationale Rechtsgemeinschaft echten Völkerrechtsnormen sind allerdings nicht zusammen zu werfen die Regeln An der rechtlichen Gemeinüberzeugung, die zur Erzeugung von Völker- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0552" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/326722"/> <fw type="header" place="top"> Internationales Recht und internationale Rechtsgemeinschaft</fw><lb/> <p xml:id="ID_2682" prev="#ID_2681"> echten Völkerrechtsnormen sind allerdings nicht zusammen zu werfen die Regeln<lb/> der bloßen Staatensitte (comiws Zerlinen, L0urtol3le internationale), welche,<lb/> auf die Bezeugung äußerer Höflichkeitsakte gerichtet, zwar auch das äußere<lb/> gegenseitige Verhalten der Kulturstaaten »betreffen, aber ohne den immanenten<lb/> Charakter unbedingter Befolgsamkeit. Dahin gehört beispielsweise die Berück¬<lb/> sichtigung der von Kaiserreichen, Königreichen, großen Republiken in Anspruch ge¬<lb/> nommenen „königlichen Ehren" (Entsendung von Gesandten der erstenKlasse, Königs¬<lb/> krone im Wappen, Gebrauch des Brudertitels unter monarchischen Staatshäuptern).</p><lb/> <p xml:id="ID_2683"> An der rechtlichen Gemeinüberzeugung, die zur Erzeugung von Völker-<lb/> gewohnheitsrecht sührt und in rechtsetzenden Staatsverträgen sich ausspricht, sind<lb/> der Regel nach wohl alle Völkerrechtssubjekte unmittelbar beteiligt, für welche<lb/> die fraglichen Völkerrechtsnormen gelten sollen. Aber gerade in der Kultur¬<lb/> staatengemeinschaft wohnt zu gewissen Zeitmomenten gewissen Völkerrechtssubjekten<lb/> ein solches geistiges Führergewicht bei, daß sie, ohne formell als Organe der<lb/> Gemeinschaft bestellt zu sein, vornehmlich als die eigentlichen Träger der recht¬<lb/> lichen Gemeinüberzeugung in der Kulturstaatengemeinschaft wirken und daher<lb/> das von ihnen in Völlergewohnheitsrecht und in rechtsetzenden Staatsverträgen<lb/> produzierte Recht unter Umständen auch für die übrigen Völkerrechtssubjekte<lb/> maßgebend wird. Die letzteren stimmen stillschweigend den ohne ihre formelle<lb/> Beteiligung entstandenen Völkerrechtsnormen bei, sei es daß sie gegebenenfalls<lb/> selbst Rechtsansprüche daraus herleiten, sei es daß sie einer derartigen Ableitung<lb/> von Rechtsansprüchen, soweit diese gegen sie selbst gerichtet sind, nicht die An¬<lb/> zweiflung der objektiven Rechtsbasis entgegensetzen. Immerhin folgt aus der<lb/> grundsätzlichen Gleichordnung der Staaten der Völkerrechtsgemeinschaft, daß<lb/> jeder Staat berechtigt ist, die Verbindlichkeit eines Völkergewohnheitsrechts¬<lb/> satzes oder einer gesetzten Völkerrechtsnorm für sich abzulehnen, sofern er<lb/> bei der Erzeugung der fraglichen Norm keinen Anteil gehabt und sie auch<lb/> späterhin nicht genehmigt hat. Nur wenn ein neuer Staat sich bildet<lb/> und in die Völkerrechtsgemeinschaft eintritt, greift das alle bisherigen<lb/> Völkerrechtssubjekte angehende Völkerrecht, mag es Gewohnheits- oder gesetztes<lb/> Recht sein, ohne weiteres auch für den Neustaat Platz. Im übrigen ist das<lb/> objektive Völkerrecht allerdings zum Teil gemeines Völkerrecht, welches alle Völker¬<lb/> rechtssubjekte eines bestimmten Zeitmoments verbindet, zum Teil aber auch<lb/> partikuläres Völkerrecht, das nur zwischen bestimmten Staaten gilt. „Daß die<lb/> Staaten gewisse Regeln als gemeingültig erachten, beweist insbesondere die<lb/> formelle, sonst inhaltlose Aufnahme der Türkei in die Völkerrechtsgemeinschaft"<lb/> (Heilborn). Nicht minder geht aber auch die deutsche Reichsgesetzgebung, wenn<lb/> sie dem Kaiser allgemein die „völkerrechtliche" Vertretung des Reichs beilegt<lb/> oder die Strafsanktionen für „feindliche Handlungen gegen befreundete Staaten"<lb/> auf die Annahme einer „völkerrechtlichen" Verpflichtung „jedes" Staats gründet,<lb/> unleugbar von dem Glauben „gemeiner" Völkerrechtssätze aus. Grundsätzlich<lb/> geht jedoch das partikuläre Völkerrecht dem „gemeinen" vor.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0552]
Internationales Recht und internationale Rechtsgemeinschaft
echten Völkerrechtsnormen sind allerdings nicht zusammen zu werfen die Regeln
der bloßen Staatensitte (comiws Zerlinen, L0urtol3le internationale), welche,
auf die Bezeugung äußerer Höflichkeitsakte gerichtet, zwar auch das äußere
gegenseitige Verhalten der Kulturstaaten »betreffen, aber ohne den immanenten
Charakter unbedingter Befolgsamkeit. Dahin gehört beispielsweise die Berück¬
sichtigung der von Kaiserreichen, Königreichen, großen Republiken in Anspruch ge¬
nommenen „königlichen Ehren" (Entsendung von Gesandten der erstenKlasse, Königs¬
krone im Wappen, Gebrauch des Brudertitels unter monarchischen Staatshäuptern).
An der rechtlichen Gemeinüberzeugung, die zur Erzeugung von Völker-
gewohnheitsrecht sührt und in rechtsetzenden Staatsverträgen sich ausspricht, sind
der Regel nach wohl alle Völkerrechtssubjekte unmittelbar beteiligt, für welche
die fraglichen Völkerrechtsnormen gelten sollen. Aber gerade in der Kultur¬
staatengemeinschaft wohnt zu gewissen Zeitmomenten gewissen Völkerrechtssubjekten
ein solches geistiges Führergewicht bei, daß sie, ohne formell als Organe der
Gemeinschaft bestellt zu sein, vornehmlich als die eigentlichen Träger der recht¬
lichen Gemeinüberzeugung in der Kulturstaatengemeinschaft wirken und daher
das von ihnen in Völlergewohnheitsrecht und in rechtsetzenden Staatsverträgen
produzierte Recht unter Umständen auch für die übrigen Völkerrechtssubjekte
maßgebend wird. Die letzteren stimmen stillschweigend den ohne ihre formelle
Beteiligung entstandenen Völkerrechtsnormen bei, sei es daß sie gegebenenfalls
selbst Rechtsansprüche daraus herleiten, sei es daß sie einer derartigen Ableitung
von Rechtsansprüchen, soweit diese gegen sie selbst gerichtet sind, nicht die An¬
zweiflung der objektiven Rechtsbasis entgegensetzen. Immerhin folgt aus der
grundsätzlichen Gleichordnung der Staaten der Völkerrechtsgemeinschaft, daß
jeder Staat berechtigt ist, die Verbindlichkeit eines Völkergewohnheitsrechts¬
satzes oder einer gesetzten Völkerrechtsnorm für sich abzulehnen, sofern er
bei der Erzeugung der fraglichen Norm keinen Anteil gehabt und sie auch
späterhin nicht genehmigt hat. Nur wenn ein neuer Staat sich bildet
und in die Völkerrechtsgemeinschaft eintritt, greift das alle bisherigen
Völkerrechtssubjekte angehende Völkerrecht, mag es Gewohnheits- oder gesetztes
Recht sein, ohne weiteres auch für den Neustaat Platz. Im übrigen ist das
objektive Völkerrecht allerdings zum Teil gemeines Völkerrecht, welches alle Völker¬
rechtssubjekte eines bestimmten Zeitmoments verbindet, zum Teil aber auch
partikuläres Völkerrecht, das nur zwischen bestimmten Staaten gilt. „Daß die
Staaten gewisse Regeln als gemeingültig erachten, beweist insbesondere die
formelle, sonst inhaltlose Aufnahme der Türkei in die Völkerrechtsgemeinschaft"
(Heilborn). Nicht minder geht aber auch die deutsche Reichsgesetzgebung, wenn
sie dem Kaiser allgemein die „völkerrechtliche" Vertretung des Reichs beilegt
oder die Strafsanktionen für „feindliche Handlungen gegen befreundete Staaten"
auf die Annahme einer „völkerrechtlichen" Verpflichtung „jedes" Staats gründet,
unleugbar von dem Glauben „gemeiner" Völkerrechtssätze aus. Grundsätzlich
geht jedoch das partikuläre Völkerrecht dem „gemeinen" vor.
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