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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Mozart resurrectus

hundert als ungehobener Schatz verborgen lag, weder der Humor der Hochzeit
mit Hindernissen, noch die Schwüle der gesellschaftlichen Zustände vor der
französischen Revolution, wie sie aus Beaumarchais Lustspiel herübergewittert;
wenn mau früher die berühmte Grafenarie im "Figaro" sang, ärgerte sich eben
ein Kavalier über ein Mädel, das ihm entgangen war. Heute klingt aus dem
Rollen dieses alleZro maestoso das dumpfe ?A ira!

Mehr als irgendwo anders muß hier das Werkzeug gebraucht werden, das
uns das Bühnengenie Richard Wagner in die Hand gegeben hat: die Kunst
Rcgieanweisungen zu verstehen, die in Noten ausgedrückt sind. Hier liegt eine
Schwäche der im übrigen wundervollen Possartschen Mozartpläne: man merkt
es hin und wieder, daß nicht ein Musikant, sondern ein Mann, der vom Schau¬
spiel kam, sie entworfen hat. Gerade hier bleibt, mehr wie in manchem
modernen Werk, wo alles in Worten ausgesprochen ist, die eigentliche Spiel¬
leitung -- auch die auf der Bühne -- dem Dirigenten vorbehalten.

So aus der Musik entwickelt, sind es nicht mehr die Gestalten seines Text¬
dichters: wird Renaissance und Rokoko gleichgültig, wachsen diese Menschen in
Mantilla, im Reifrock und Pekesche über den Rahmen ihrer Zeitalter hinaus,
zu Typen, die immer waren und die immer wiederkehren, solange es Menschen
gibt. Der "Figaro" wie der "Don Juan": die menschlichen Fragen beider
sind noch heute so lebendig, daß ein Moderner wie Richard Strauß auf den
Grundlinien des einen den "Rosenkavalier", auf denen des anderen einen sym¬
phonischen Bau fügt.

Sein Geheimnis? Daß er ohne Pathos gegeben hat und ohne Kampf.
Daß er im Schaffen unabhängig scheint von aller menschlichen Mühe, allem
Erzwungenen. Eine Kinderhand streckt er entgegen und man erwartet eine
Kindergabe. Aber der scheinbar Spielende bietet alles, was man mit seinem
Fühlen ermessen kann. Und bleibt im Geben immer mühelos und leicht wie
ein göttliches Wunder.

Das ist es: es wird immer der Genius über den Ringenden, der Ungetrübte
über den Zwiespältigen triumphieren.




Mozart resurrectus

hundert als ungehobener Schatz verborgen lag, weder der Humor der Hochzeit
mit Hindernissen, noch die Schwüle der gesellschaftlichen Zustände vor der
französischen Revolution, wie sie aus Beaumarchais Lustspiel herübergewittert;
wenn mau früher die berühmte Grafenarie im „Figaro" sang, ärgerte sich eben
ein Kavalier über ein Mädel, das ihm entgangen war. Heute klingt aus dem
Rollen dieses alleZro maestoso das dumpfe ?A ira!

Mehr als irgendwo anders muß hier das Werkzeug gebraucht werden, das
uns das Bühnengenie Richard Wagner in die Hand gegeben hat: die Kunst
Rcgieanweisungen zu verstehen, die in Noten ausgedrückt sind. Hier liegt eine
Schwäche der im übrigen wundervollen Possartschen Mozartpläne: man merkt
es hin und wieder, daß nicht ein Musikant, sondern ein Mann, der vom Schau¬
spiel kam, sie entworfen hat. Gerade hier bleibt, mehr wie in manchem
modernen Werk, wo alles in Worten ausgesprochen ist, die eigentliche Spiel¬
leitung — auch die auf der Bühne — dem Dirigenten vorbehalten.

So aus der Musik entwickelt, sind es nicht mehr die Gestalten seines Text¬
dichters: wird Renaissance und Rokoko gleichgültig, wachsen diese Menschen in
Mantilla, im Reifrock und Pekesche über den Rahmen ihrer Zeitalter hinaus,
zu Typen, die immer waren und die immer wiederkehren, solange es Menschen
gibt. Der „Figaro" wie der „Don Juan": die menschlichen Fragen beider
sind noch heute so lebendig, daß ein Moderner wie Richard Strauß auf den
Grundlinien des einen den „Rosenkavalier", auf denen des anderen einen sym¬
phonischen Bau fügt.

Sein Geheimnis? Daß er ohne Pathos gegeben hat und ohne Kampf.
Daß er im Schaffen unabhängig scheint von aller menschlichen Mühe, allem
Erzwungenen. Eine Kinderhand streckt er entgegen und man erwartet eine
Kindergabe. Aber der scheinbar Spielende bietet alles, was man mit seinem
Fühlen ermessen kann. Und bleibt im Geben immer mühelos und leicht wie
ein göttliches Wunder.

Das ist es: es wird immer der Genius über den Ringenden, der Ungetrübte
über den Zwiespältigen triumphieren.




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[0533] Mozart resurrectus hundert als ungehobener Schatz verborgen lag, weder der Humor der Hochzeit mit Hindernissen, noch die Schwüle der gesellschaftlichen Zustände vor der französischen Revolution, wie sie aus Beaumarchais Lustspiel herübergewittert; wenn mau früher die berühmte Grafenarie im „Figaro" sang, ärgerte sich eben ein Kavalier über ein Mädel, das ihm entgangen war. Heute klingt aus dem Rollen dieses alleZro maestoso das dumpfe ?A ira! Mehr als irgendwo anders muß hier das Werkzeug gebraucht werden, das uns das Bühnengenie Richard Wagner in die Hand gegeben hat: die Kunst Rcgieanweisungen zu verstehen, die in Noten ausgedrückt sind. Hier liegt eine Schwäche der im übrigen wundervollen Possartschen Mozartpläne: man merkt es hin und wieder, daß nicht ein Musikant, sondern ein Mann, der vom Schau¬ spiel kam, sie entworfen hat. Gerade hier bleibt, mehr wie in manchem modernen Werk, wo alles in Worten ausgesprochen ist, die eigentliche Spiel¬ leitung — auch die auf der Bühne — dem Dirigenten vorbehalten. So aus der Musik entwickelt, sind es nicht mehr die Gestalten seines Text¬ dichters: wird Renaissance und Rokoko gleichgültig, wachsen diese Menschen in Mantilla, im Reifrock und Pekesche über den Rahmen ihrer Zeitalter hinaus, zu Typen, die immer waren und die immer wiederkehren, solange es Menschen gibt. Der „Figaro" wie der „Don Juan": die menschlichen Fragen beider sind noch heute so lebendig, daß ein Moderner wie Richard Strauß auf den Grundlinien des einen den „Rosenkavalier", auf denen des anderen einen sym¬ phonischen Bau fügt. Sein Geheimnis? Daß er ohne Pathos gegeben hat und ohne Kampf. Daß er im Schaffen unabhängig scheint von aller menschlichen Mühe, allem Erzwungenen. Eine Kinderhand streckt er entgegen und man erwartet eine Kindergabe. Aber der scheinbar Spielende bietet alles, was man mit seinem Fühlen ermessen kann. Und bleibt im Geben immer mühelos und leicht wie ein göttliches Wunder. Das ist es: es wird immer der Genius über den Ringenden, der Ungetrübte über den Zwiespältigen triumphieren.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/533>, abgerufen am 28.12.2024.