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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Mozart resurrectus

fristet. Kein Kunstpöbel, kein Musikphilistertum, das gekommen ist. längst ent¬
thronte Götter anzubeten. Nein, junges armes Volk, das sich den Figaroplatz
erhungert hat. Mozart hat die Jugend! Mozart ist wiedererstanden! Wahr,
haftig: Freude dem Sterblichen!

Wie war es noch vor anderthalb Jahrzehnten? Es ist noch nicht einmal
solange her. daß ein sehr bekannter Berliner Musikkritiker nach einer Aufführung
des "Figaro" es sagen durfte, er habe einen Achtungserfolg erzielt. Gewiß!
Was war Mozart auch anderes, als ein geschichtlich geheiligter Bestandteil einer
musikalischen Bibliothek? Seine Sonaten, auch die letzten, in das Reich Beethovens
hinübergreifenden, waren in deutschen Konzertsälen längst verschollen, seine
Kammermusik blieb unbekannt. Und die Opern? Gut genug für staatserhaltend-
langweilige Galavorstellungen mit "Achtungserfolgen"! Schrankenlose Anmut
und göttliche Heiterkeit, das war die gangbarste, in allen Musikgeschichten
zu findende Etikettierung für Mozart, unter der man ihn seelenruhig ein¬
gesargt hatte.

Was hat den Totgewähnten zum Leben neu erweckt?

Nicht die Freude an jener göttlichen Heiterkeit allein. Auch seine eigene
Zeit freilich hat in seinem Werk nur die geliebt. Mußte, wie sie selbst war,
alles andere übersehen. Das Rokoko hat sich, kraft seiner Lebenskunst und
seines Formensinnes eine Welt gebaut, in der es nach berühmtem Spruch kein
Leiden gab. Was ist eben dieser Zeit, die sich nur des einen Triebes bewußt
sein wollte, Mozart anders gewesen als ein besonders entzückendes Exemplar
jener Kapellmeistergattung, die man sich hielt, wie man heute einen kostbaren
Schoßhund hält? Einer von den vielen, die von Hof zu Hof zogen und immer
bald vergessen waren. Einer freilich, der die Menuetts der Zeit in besonders
entzückende Rhythmen zu bringen verstand, einer zudem, der die Kollegen an
Liebenswürdigkeit und Anmut des Wesens überstrahlte, den man in den aristo¬
kratischen Salons verhätschelte, solange seine Töne eine auch jener Welt ver¬
ständliche Zunge redeten, den man aber befremdet anstarrte, sowie er die
gewohnten Pfade verließ, sowie er die streng gehüteten Formen sprengte. Der
"Figaro" wird in Wien niederintrigiert, "Don Juan" in Grund und Boden
verurteilt. Als Wolfgang Amadeus ausgereift ist, als der Zierliche von einst,
das Wunderkind der Violinsonaten ins Riesenformat erwachsen ist und der
Brand dieses fortwährend schaffenden Lebens sich verzehrt hat, läßt ihn die Zeit
im Massengrab verschwinden. Man wollte Mozart den Heiteren. Was sollten
ihr die Schauer des "Don Juan"-Finales?

Von diesem Mozart dem Heiteren führt eine gerade Linie zu dem Mozart,
wie ihn Hugo Wolfs Zeit, wie man ihn noch gestern sah. Zu der Zeit, wo
die scheinbare Einfachheit seiner Formen durch anspruchsvollere überblufft war.
als Banausen, in deren Mund sein Name eine Lästerung ist, ihn zu einer Art
Kampfmittel gegen eine musikalische Sozialdemokratie machten. Zu jenem Mozart,
den man aus der Rumpelkammer holte, um seine Sonaten, sür die die beste


Mozart resurrectus

fristet. Kein Kunstpöbel, kein Musikphilistertum, das gekommen ist. längst ent¬
thronte Götter anzubeten. Nein, junges armes Volk, das sich den Figaroplatz
erhungert hat. Mozart hat die Jugend! Mozart ist wiedererstanden! Wahr,
haftig: Freude dem Sterblichen!

Wie war es noch vor anderthalb Jahrzehnten? Es ist noch nicht einmal
solange her. daß ein sehr bekannter Berliner Musikkritiker nach einer Aufführung
des „Figaro" es sagen durfte, er habe einen Achtungserfolg erzielt. Gewiß!
Was war Mozart auch anderes, als ein geschichtlich geheiligter Bestandteil einer
musikalischen Bibliothek? Seine Sonaten, auch die letzten, in das Reich Beethovens
hinübergreifenden, waren in deutschen Konzertsälen längst verschollen, seine
Kammermusik blieb unbekannt. Und die Opern? Gut genug für staatserhaltend-
langweilige Galavorstellungen mit „Achtungserfolgen"! Schrankenlose Anmut
und göttliche Heiterkeit, das war die gangbarste, in allen Musikgeschichten
zu findende Etikettierung für Mozart, unter der man ihn seelenruhig ein¬
gesargt hatte.

Was hat den Totgewähnten zum Leben neu erweckt?

Nicht die Freude an jener göttlichen Heiterkeit allein. Auch seine eigene
Zeit freilich hat in seinem Werk nur die geliebt. Mußte, wie sie selbst war,
alles andere übersehen. Das Rokoko hat sich, kraft seiner Lebenskunst und
seines Formensinnes eine Welt gebaut, in der es nach berühmtem Spruch kein
Leiden gab. Was ist eben dieser Zeit, die sich nur des einen Triebes bewußt
sein wollte, Mozart anders gewesen als ein besonders entzückendes Exemplar
jener Kapellmeistergattung, die man sich hielt, wie man heute einen kostbaren
Schoßhund hält? Einer von den vielen, die von Hof zu Hof zogen und immer
bald vergessen waren. Einer freilich, der die Menuetts der Zeit in besonders
entzückende Rhythmen zu bringen verstand, einer zudem, der die Kollegen an
Liebenswürdigkeit und Anmut des Wesens überstrahlte, den man in den aristo¬
kratischen Salons verhätschelte, solange seine Töne eine auch jener Welt ver¬
ständliche Zunge redeten, den man aber befremdet anstarrte, sowie er die
gewohnten Pfade verließ, sowie er die streng gehüteten Formen sprengte. Der
„Figaro" wird in Wien niederintrigiert, „Don Juan" in Grund und Boden
verurteilt. Als Wolfgang Amadeus ausgereift ist, als der Zierliche von einst,
das Wunderkind der Violinsonaten ins Riesenformat erwachsen ist und der
Brand dieses fortwährend schaffenden Lebens sich verzehrt hat, läßt ihn die Zeit
im Massengrab verschwinden. Man wollte Mozart den Heiteren. Was sollten
ihr die Schauer des „Don Juan"-Finales?

Von diesem Mozart dem Heiteren führt eine gerade Linie zu dem Mozart,
wie ihn Hugo Wolfs Zeit, wie man ihn noch gestern sah. Zu der Zeit, wo
die scheinbare Einfachheit seiner Formen durch anspruchsvollere überblufft war.
als Banausen, in deren Mund sein Name eine Lästerung ist, ihn zu einer Art
Kampfmittel gegen eine musikalische Sozialdemokratie machten. Zu jenem Mozart,
den man aus der Rumpelkammer holte, um seine Sonaten, sür die die beste


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[0529] Mozart resurrectus fristet. Kein Kunstpöbel, kein Musikphilistertum, das gekommen ist. längst ent¬ thronte Götter anzubeten. Nein, junges armes Volk, das sich den Figaroplatz erhungert hat. Mozart hat die Jugend! Mozart ist wiedererstanden! Wahr, haftig: Freude dem Sterblichen! Wie war es noch vor anderthalb Jahrzehnten? Es ist noch nicht einmal solange her. daß ein sehr bekannter Berliner Musikkritiker nach einer Aufführung des „Figaro" es sagen durfte, er habe einen Achtungserfolg erzielt. Gewiß! Was war Mozart auch anderes, als ein geschichtlich geheiligter Bestandteil einer musikalischen Bibliothek? Seine Sonaten, auch die letzten, in das Reich Beethovens hinübergreifenden, waren in deutschen Konzertsälen längst verschollen, seine Kammermusik blieb unbekannt. Und die Opern? Gut genug für staatserhaltend- langweilige Galavorstellungen mit „Achtungserfolgen"! Schrankenlose Anmut und göttliche Heiterkeit, das war die gangbarste, in allen Musikgeschichten zu findende Etikettierung für Mozart, unter der man ihn seelenruhig ein¬ gesargt hatte. Was hat den Totgewähnten zum Leben neu erweckt? Nicht die Freude an jener göttlichen Heiterkeit allein. Auch seine eigene Zeit freilich hat in seinem Werk nur die geliebt. Mußte, wie sie selbst war, alles andere übersehen. Das Rokoko hat sich, kraft seiner Lebenskunst und seines Formensinnes eine Welt gebaut, in der es nach berühmtem Spruch kein Leiden gab. Was ist eben dieser Zeit, die sich nur des einen Triebes bewußt sein wollte, Mozart anders gewesen als ein besonders entzückendes Exemplar jener Kapellmeistergattung, die man sich hielt, wie man heute einen kostbaren Schoßhund hält? Einer von den vielen, die von Hof zu Hof zogen und immer bald vergessen waren. Einer freilich, der die Menuetts der Zeit in besonders entzückende Rhythmen zu bringen verstand, einer zudem, der die Kollegen an Liebenswürdigkeit und Anmut des Wesens überstrahlte, den man in den aristo¬ kratischen Salons verhätschelte, solange seine Töne eine auch jener Welt ver¬ ständliche Zunge redeten, den man aber befremdet anstarrte, sowie er die gewohnten Pfade verließ, sowie er die streng gehüteten Formen sprengte. Der „Figaro" wird in Wien niederintrigiert, „Don Juan" in Grund und Boden verurteilt. Als Wolfgang Amadeus ausgereift ist, als der Zierliche von einst, das Wunderkind der Violinsonaten ins Riesenformat erwachsen ist und der Brand dieses fortwährend schaffenden Lebens sich verzehrt hat, läßt ihn die Zeit im Massengrab verschwinden. Man wollte Mozart den Heiteren. Was sollten ihr die Schauer des „Don Juan"-Finales? Von diesem Mozart dem Heiteren führt eine gerade Linie zu dem Mozart, wie ihn Hugo Wolfs Zeit, wie man ihn noch gestern sah. Zu der Zeit, wo die scheinbare Einfachheit seiner Formen durch anspruchsvollere überblufft war. als Banausen, in deren Mund sein Name eine Lästerung ist, ihn zu einer Art Kampfmittel gegen eine musikalische Sozialdemokratie machten. Zu jenem Mozart, den man aus der Rumpelkammer holte, um seine Sonaten, sür die die beste

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/529>, abgerufen am 28.12.2024.