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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Sturm

Es war von vornherein eine aussichtslose Liebe, die den unzufriedenen
Erbherrn von Sternburg mit dem lebensfroher Naturkind verband, über die
Mitte der Dreißiger hinaus lebte er ein zu Untätigkeit verurteiltes Dasein. Der
Vater behielt die Zügel der Regierung fast bis zu seinem letzten Atemzug in
seiner welken Hand und schaltete auf seinem Besitz nach altem patriarchalischen
Herkommen.

Noch hörte er das "Papperlapapp", mit dem der alte Freiherr alle Neue¬
rungsvorschläge seines Sohnes abzulehnen pflegte. Nicht eine Maschine durfte
angeschafft werden. Dafür wurden aber die Leute bei kärglichem Lohn in mühe¬
voller Fronde abgehetzt.

Der Wald verkam. Durchforsten war damals auf Sternburg ein un¬
bekannter Begriff. Nur für das Wild wurde gesorgt, und die Jagden aus Stern¬
burg waren berühmt im Baltenland. In dem urwaldähnlichen Dickicht hauste
der Elch und brach im Winter ungehindert in die Äcker der Bauern ein.
Wildschweine bevölkerten die Moore und zerwühlten die Roggen- und Kartoffel¬
felder.

Die Verschiedenheit in der Auffassung der Pflichten machte das Zusammen¬
leben von Vater und Sohn unerquicklich. Namentlich im Herbst, wenn das
Weidmcmnswerk begann, fühlte sich der Erbe unbehaglich. Wenn er auch kein
Feind der Jägerei war, so verurteilte er doch die Rücksichtslosigkeit, mit der der
Vater ssiner Passton alle anderen Interessen unterordnete. In jenen Jahren
hatte er in jedem Spätsommer das Haus verlassen, sobald das Korn unter
Dach und Fach war. Auf deutschen Universitäten vervollständigte er seine
theoretischen Kenntnisse. Auf schottischen Gütern studierte er die Moorkultur in
praktischer Mitarbeit. Ja, bis nach Amerika trieb ihn sein Wissensdrang,
und gerade von dort brachte er die Überzeugung mit, daß eine rationelle Land¬
wirtschaft mit einer umsichtigen Forstverwaltung Hand in Hand gehen müsse.

In den letzten Lebensjahren des Vaters gelang es ihm, einigen Einfluß
auf die Führung der Geschäfte zu gewinnen. Damals setzte er durch, daß die
Bauern eine Entschädigung für die Verwüstungen erhielten, die das Wild auf
ihren Ackern anrichtete. Er hatte ein Schema ausgearbeitet, nach dem der
Schaden geschätzt und bezahlt wurde.

"Sie werden dich schön betrügen!" höhnte der Vater von seinem Kranken¬
bett aus. "Du bist der richtige Sohn deiner Mutter. Die hat sich auch immer
rühren lassen, wenn die Leute ihr vorjammerten, und, wenn ich nicht dazwischen
gefahren wäre, hätte sie ihr Letztes weggegeben."

Von dem kurzen Erdenwallen dieser Fran. die sich der Freiherr aus Borküll
geholt hatte, erzählte man sich im Land viele Geschichten. Sie war für das
Volk eine Art heilige Elisabeth gewesen, und selbst der harte, tyrannische Cha¬
rakter ihres Mannes hatte sich vor der heiteren Güte ihres kindlichen Wesens
gebeugt. Sie starb nach kurzer Ehe, und seitdem hatte das Regiment im Hause
des Gegengewichtes sanfter Frauenart entbehrt.


Grenzbvton III 191" S3
Sturm

Es war von vornherein eine aussichtslose Liebe, die den unzufriedenen
Erbherrn von Sternburg mit dem lebensfroher Naturkind verband, über die
Mitte der Dreißiger hinaus lebte er ein zu Untätigkeit verurteiltes Dasein. Der
Vater behielt die Zügel der Regierung fast bis zu seinem letzten Atemzug in
seiner welken Hand und schaltete auf seinem Besitz nach altem patriarchalischen
Herkommen.

Noch hörte er das „Papperlapapp", mit dem der alte Freiherr alle Neue¬
rungsvorschläge seines Sohnes abzulehnen pflegte. Nicht eine Maschine durfte
angeschafft werden. Dafür wurden aber die Leute bei kärglichem Lohn in mühe¬
voller Fronde abgehetzt.

Der Wald verkam. Durchforsten war damals auf Sternburg ein un¬
bekannter Begriff. Nur für das Wild wurde gesorgt, und die Jagden aus Stern¬
burg waren berühmt im Baltenland. In dem urwaldähnlichen Dickicht hauste
der Elch und brach im Winter ungehindert in die Äcker der Bauern ein.
Wildschweine bevölkerten die Moore und zerwühlten die Roggen- und Kartoffel¬
felder.

Die Verschiedenheit in der Auffassung der Pflichten machte das Zusammen¬
leben von Vater und Sohn unerquicklich. Namentlich im Herbst, wenn das
Weidmcmnswerk begann, fühlte sich der Erbe unbehaglich. Wenn er auch kein
Feind der Jägerei war, so verurteilte er doch die Rücksichtslosigkeit, mit der der
Vater ssiner Passton alle anderen Interessen unterordnete. In jenen Jahren
hatte er in jedem Spätsommer das Haus verlassen, sobald das Korn unter
Dach und Fach war. Auf deutschen Universitäten vervollständigte er seine
theoretischen Kenntnisse. Auf schottischen Gütern studierte er die Moorkultur in
praktischer Mitarbeit. Ja, bis nach Amerika trieb ihn sein Wissensdrang,
und gerade von dort brachte er die Überzeugung mit, daß eine rationelle Land¬
wirtschaft mit einer umsichtigen Forstverwaltung Hand in Hand gehen müsse.

In den letzten Lebensjahren des Vaters gelang es ihm, einigen Einfluß
auf die Führung der Geschäfte zu gewinnen. Damals setzte er durch, daß die
Bauern eine Entschädigung für die Verwüstungen erhielten, die das Wild auf
ihren Ackern anrichtete. Er hatte ein Schema ausgearbeitet, nach dem der
Schaden geschätzt und bezahlt wurde.

„Sie werden dich schön betrügen!" höhnte der Vater von seinem Kranken¬
bett aus. „Du bist der richtige Sohn deiner Mutter. Die hat sich auch immer
rühren lassen, wenn die Leute ihr vorjammerten, und, wenn ich nicht dazwischen
gefahren wäre, hätte sie ihr Letztes weggegeben."

Von dem kurzen Erdenwallen dieser Fran. die sich der Freiherr aus Borküll
geholt hatte, erzählte man sich im Land viele Geschichten. Sie war für das
Volk eine Art heilige Elisabeth gewesen, und selbst der harte, tyrannische Cha¬
rakter ihres Mannes hatte sich vor der heiteren Güte ihres kindlichen Wesens
gebeugt. Sie starb nach kurzer Ehe, und seitdem hatte das Regiment im Hause
des Gegengewichtes sanfter Frauenart entbehrt.


Grenzbvton III 191» S3
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[0525] Sturm Es war von vornherein eine aussichtslose Liebe, die den unzufriedenen Erbherrn von Sternburg mit dem lebensfroher Naturkind verband, über die Mitte der Dreißiger hinaus lebte er ein zu Untätigkeit verurteiltes Dasein. Der Vater behielt die Zügel der Regierung fast bis zu seinem letzten Atemzug in seiner welken Hand und schaltete auf seinem Besitz nach altem patriarchalischen Herkommen. Noch hörte er das „Papperlapapp", mit dem der alte Freiherr alle Neue¬ rungsvorschläge seines Sohnes abzulehnen pflegte. Nicht eine Maschine durfte angeschafft werden. Dafür wurden aber die Leute bei kärglichem Lohn in mühe¬ voller Fronde abgehetzt. Der Wald verkam. Durchforsten war damals auf Sternburg ein un¬ bekannter Begriff. Nur für das Wild wurde gesorgt, und die Jagden aus Stern¬ burg waren berühmt im Baltenland. In dem urwaldähnlichen Dickicht hauste der Elch und brach im Winter ungehindert in die Äcker der Bauern ein. Wildschweine bevölkerten die Moore und zerwühlten die Roggen- und Kartoffel¬ felder. Die Verschiedenheit in der Auffassung der Pflichten machte das Zusammen¬ leben von Vater und Sohn unerquicklich. Namentlich im Herbst, wenn das Weidmcmnswerk begann, fühlte sich der Erbe unbehaglich. Wenn er auch kein Feind der Jägerei war, so verurteilte er doch die Rücksichtslosigkeit, mit der der Vater ssiner Passton alle anderen Interessen unterordnete. In jenen Jahren hatte er in jedem Spätsommer das Haus verlassen, sobald das Korn unter Dach und Fach war. Auf deutschen Universitäten vervollständigte er seine theoretischen Kenntnisse. Auf schottischen Gütern studierte er die Moorkultur in praktischer Mitarbeit. Ja, bis nach Amerika trieb ihn sein Wissensdrang, und gerade von dort brachte er die Überzeugung mit, daß eine rationelle Land¬ wirtschaft mit einer umsichtigen Forstverwaltung Hand in Hand gehen müsse. In den letzten Lebensjahren des Vaters gelang es ihm, einigen Einfluß auf die Führung der Geschäfte zu gewinnen. Damals setzte er durch, daß die Bauern eine Entschädigung für die Verwüstungen erhielten, die das Wild auf ihren Ackern anrichtete. Er hatte ein Schema ausgearbeitet, nach dem der Schaden geschätzt und bezahlt wurde. „Sie werden dich schön betrügen!" höhnte der Vater von seinem Kranken¬ bett aus. „Du bist der richtige Sohn deiner Mutter. Die hat sich auch immer rühren lassen, wenn die Leute ihr vorjammerten, und, wenn ich nicht dazwischen gefahren wäre, hätte sie ihr Letztes weggegeben." Von dem kurzen Erdenwallen dieser Fran. die sich der Freiherr aus Borküll geholt hatte, erzählte man sich im Land viele Geschichten. Sie war für das Volk eine Art heilige Elisabeth gewesen, und selbst der harte, tyrannische Cha¬ rakter ihres Mannes hatte sich vor der heiteren Güte ihres kindlichen Wesens gebeugt. Sie starb nach kurzer Ehe, und seitdem hatte das Regiment im Hause des Gegengewichtes sanfter Frauenart entbehrt. Grenzbvton III 191» S3

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/525>, abgerufen am 21.10.2024.