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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Sturm

Es ist der gegebene Moment, deine Angehörigen um ihre Einwilligung zu unseren,
Bund zu bitten. Fühlst du dich aber zu schwach, den Kampf selbst aufzunehmen
-- gut, so laß mich mit dir fahren, dann will ich mit deinem Vater und mit
deinen Brüdern reden. Wolff Joachims Hochmut ist sowieso gebrochen. Ich
habe mit meiner Meinung nur allzu rasch recht bekommen. . "

In Wahrheit dachte der Maler gar nicht daran, aufs Land zurückzukehren.
Er wollte sie durch seine Absicht gefügiger machen.

Mara hatte ihn ausreden lassen. Während seiner Worte war er im Zimmer
auf- und abgegangen und hatte sich, wobei er öfters stehen blieb, mit triumphierenden
Lächeln an seinen Bart gezupft. Aber sie hatte ihm den Rücken gedreht und
überlegte am Fenster ihre Antwort. Eine Weile herrschte Schweigen im Zimmer.
Da fühlte sie ihr Gesicht von seinem Atem gestreift und den Druck seines Armes
um die Taille. Zornig drehte sie sich um:

"Ein einziges Mal habe ich Ihnen ein Recht zu solcher Annäherung gegeben.
Seitdem nie wieder. Ich habe Sie in Schutz genommen, als man Sie ver¬
lachte und habe es für meine Pflicht gehalten, das Gastrecht Ihnen gegenüber
nicht verletzen zu lassen. Trotzdem mußten Sie fühlen, daß ich jener Stunde
keine Fortsetzung geben wollte. Ich liebe Sie nicht. Ihre Interessen können
nicht die meinen sein. Es war ein Irrtum, daß ich sie einmal teilte. Ich bitte
Sie jetzt, vergessen Sie das -- lassen Sie mich!"

Der Maler war zwei Schritt zurückgetreten und stand wieder in seiner
gewohnten Haltung da, den Ellenbogen in die linke Hand gestützt und den Bart
streichelnd. Dabei sog er an seinen Zähnen und bewegte die Kinnbacken, als
ob er was im Munde hätte.

"Er wird sich drein finden!" dachte Mara und sah wieder zum Fenster
hinaus. Ein gurgelnder Laut zwang sie, sich umzuschauen.

"Mara!" kam es in heiserem Schrei von des Malers Lippen, und die erst
so starren Augen himmelten sie an. Er breitete flehend die Arme aus und fiel
auf die Knie nieder.

"Ich lasse dich nicht -- ich gebe mein Glück nicht preis. Welcher Irrtum
hat von dir Besitz ergriffen. Geliebtes Mädchen, denk an unsere köstliche Seelen¬
gemeinschaft, an unsere stillen Stunden..."

Da fühlte sich Mara von Unwillen und Ekel gepackt. Unwillen über sich,
daß sie diesem armseligen Menschen ein Recht zu dieser Szene gegeben hatte.
Ekel aber über die Hohlheit seiner Sprache und über die Berührung seiner Hände,
die sich um ihre Knie schlangen.

"Gehen Sie! Machen Sie sich nicht lächerlich!"

Und da er sie nicht ließ und seinen Kopf immer leidenschaftlicher in ihren
Schoß preßte, trommelte sie mit beiden Fäusten auf seine Arme und stieß ihn
zurück, daß er hintenüber taumelte. . .

Als er wieder aufstand, sah er sich allein im Zimmer. Ein harter egoistischer
Zug verzerrte sein Gesicht, das sonst so milde dreinschaute. Aber er faßte sich rasch.


Sturm

Es ist der gegebene Moment, deine Angehörigen um ihre Einwilligung zu unseren,
Bund zu bitten. Fühlst du dich aber zu schwach, den Kampf selbst aufzunehmen
— gut, so laß mich mit dir fahren, dann will ich mit deinem Vater und mit
deinen Brüdern reden. Wolff Joachims Hochmut ist sowieso gebrochen. Ich
habe mit meiner Meinung nur allzu rasch recht bekommen. . "

In Wahrheit dachte der Maler gar nicht daran, aufs Land zurückzukehren.
Er wollte sie durch seine Absicht gefügiger machen.

Mara hatte ihn ausreden lassen. Während seiner Worte war er im Zimmer
auf- und abgegangen und hatte sich, wobei er öfters stehen blieb, mit triumphierenden
Lächeln an seinen Bart gezupft. Aber sie hatte ihm den Rücken gedreht und
überlegte am Fenster ihre Antwort. Eine Weile herrschte Schweigen im Zimmer.
Da fühlte sie ihr Gesicht von seinem Atem gestreift und den Druck seines Armes
um die Taille. Zornig drehte sie sich um:

„Ein einziges Mal habe ich Ihnen ein Recht zu solcher Annäherung gegeben.
Seitdem nie wieder. Ich habe Sie in Schutz genommen, als man Sie ver¬
lachte und habe es für meine Pflicht gehalten, das Gastrecht Ihnen gegenüber
nicht verletzen zu lassen. Trotzdem mußten Sie fühlen, daß ich jener Stunde
keine Fortsetzung geben wollte. Ich liebe Sie nicht. Ihre Interessen können
nicht die meinen sein. Es war ein Irrtum, daß ich sie einmal teilte. Ich bitte
Sie jetzt, vergessen Sie das — lassen Sie mich!"

Der Maler war zwei Schritt zurückgetreten und stand wieder in seiner
gewohnten Haltung da, den Ellenbogen in die linke Hand gestützt und den Bart
streichelnd. Dabei sog er an seinen Zähnen und bewegte die Kinnbacken, als
ob er was im Munde hätte.

„Er wird sich drein finden!" dachte Mara und sah wieder zum Fenster
hinaus. Ein gurgelnder Laut zwang sie, sich umzuschauen.

„Mara!" kam es in heiserem Schrei von des Malers Lippen, und die erst
so starren Augen himmelten sie an. Er breitete flehend die Arme aus und fiel
auf die Knie nieder.

„Ich lasse dich nicht — ich gebe mein Glück nicht preis. Welcher Irrtum
hat von dir Besitz ergriffen. Geliebtes Mädchen, denk an unsere köstliche Seelen¬
gemeinschaft, an unsere stillen Stunden..."

Da fühlte sich Mara von Unwillen und Ekel gepackt. Unwillen über sich,
daß sie diesem armseligen Menschen ein Recht zu dieser Szene gegeben hatte.
Ekel aber über die Hohlheit seiner Sprache und über die Berührung seiner Hände,
die sich um ihre Knie schlangen.

„Gehen Sie! Machen Sie sich nicht lächerlich!"

Und da er sie nicht ließ und seinen Kopf immer leidenschaftlicher in ihren
Schoß preßte, trommelte sie mit beiden Fäusten auf seine Arme und stieß ihn
zurück, daß er hintenüber taumelte. . .

Als er wieder aufstand, sah er sich allein im Zimmer. Ein harter egoistischer
Zug verzerrte sein Gesicht, das sonst so milde dreinschaute. Aber er faßte sich rasch.


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[0523] Sturm Es ist der gegebene Moment, deine Angehörigen um ihre Einwilligung zu unseren, Bund zu bitten. Fühlst du dich aber zu schwach, den Kampf selbst aufzunehmen — gut, so laß mich mit dir fahren, dann will ich mit deinem Vater und mit deinen Brüdern reden. Wolff Joachims Hochmut ist sowieso gebrochen. Ich habe mit meiner Meinung nur allzu rasch recht bekommen. . " In Wahrheit dachte der Maler gar nicht daran, aufs Land zurückzukehren. Er wollte sie durch seine Absicht gefügiger machen. Mara hatte ihn ausreden lassen. Während seiner Worte war er im Zimmer auf- und abgegangen und hatte sich, wobei er öfters stehen blieb, mit triumphierenden Lächeln an seinen Bart gezupft. Aber sie hatte ihm den Rücken gedreht und überlegte am Fenster ihre Antwort. Eine Weile herrschte Schweigen im Zimmer. Da fühlte sie ihr Gesicht von seinem Atem gestreift und den Druck seines Armes um die Taille. Zornig drehte sie sich um: „Ein einziges Mal habe ich Ihnen ein Recht zu solcher Annäherung gegeben. Seitdem nie wieder. Ich habe Sie in Schutz genommen, als man Sie ver¬ lachte und habe es für meine Pflicht gehalten, das Gastrecht Ihnen gegenüber nicht verletzen zu lassen. Trotzdem mußten Sie fühlen, daß ich jener Stunde keine Fortsetzung geben wollte. Ich liebe Sie nicht. Ihre Interessen können nicht die meinen sein. Es war ein Irrtum, daß ich sie einmal teilte. Ich bitte Sie jetzt, vergessen Sie das — lassen Sie mich!" Der Maler war zwei Schritt zurückgetreten und stand wieder in seiner gewohnten Haltung da, den Ellenbogen in die linke Hand gestützt und den Bart streichelnd. Dabei sog er an seinen Zähnen und bewegte die Kinnbacken, als ob er was im Munde hätte. „Er wird sich drein finden!" dachte Mara und sah wieder zum Fenster hinaus. Ein gurgelnder Laut zwang sie, sich umzuschauen. „Mara!" kam es in heiserem Schrei von des Malers Lippen, und die erst so starren Augen himmelten sie an. Er breitete flehend die Arme aus und fiel auf die Knie nieder. „Ich lasse dich nicht — ich gebe mein Glück nicht preis. Welcher Irrtum hat von dir Besitz ergriffen. Geliebtes Mädchen, denk an unsere köstliche Seelen¬ gemeinschaft, an unsere stillen Stunden..." Da fühlte sich Mara von Unwillen und Ekel gepackt. Unwillen über sich, daß sie diesem armseligen Menschen ein Recht zu dieser Szene gegeben hatte. Ekel aber über die Hohlheit seiner Sprache und über die Berührung seiner Hände, die sich um ihre Knie schlangen. „Gehen Sie! Machen Sie sich nicht lächerlich!" Und da er sie nicht ließ und seinen Kopf immer leidenschaftlicher in ihren Schoß preßte, trommelte sie mit beiden Fäusten auf seine Arme und stieß ihn zurück, daß er hintenüber taumelte. . . Als er wieder aufstand, sah er sich allein im Zimmer. Ein harter egoistischer Zug verzerrte sein Gesicht, das sonst so milde dreinschaute. Aber er faßte sich rasch.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/523>, abgerufen am 21.10.2024.