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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Sturm

Das Mädchen war keineswegs erbaut von der Ankunft der "Landschen".
Sie kannte die Gräfin von früher zur Genüge und erinnerte sich, in welch
lächerlichem Mißverhältnis die Vermehrung ihrer Arbeit zur Höhe des Trink¬
geldes stand. Ja -- wenn einer der Herren dabei gewesen wäre! Oben in
ihrem Kasten lag noch das Goldstück, das ihr vor zwei Tagen Baron Wolff
Joachim in die Hand gedrückt hatte. Und wofür? Für einen Krug warmes
Wasser und einmal Stiefelwichser.

Von dem langhaarigen Affenmenschen, der gestern mitgekommen war. und
der so freundlich mit ihr tat und Fräulein zu ihr sagte, nicht anders wie zu
Fräulein Frey und Baroneß Mara, von dem erwartete sie nicht viel. Der
Geizkragen zahlte wahrscheinlich mit Worten statt mit Rubeln. Dabei mußte
sie für ihn eine ganze Masse Sachen extra besorgen. Mißmutig las sie von
ihrem Zettel ab: "Zwei Pfund Nüsse-- als ob er zu die Eichhörner gehört
-- zwei Pfund Feigen oder Datteln -- als ob wir jetzt Weihnachten hätten --
Äpfel -- Mensch kriegt ja Cholera -- na, mir solls gleich sein." Sie nahm
ihren großen Henkelkorb, schlang ihr Tuch fest um die Schultern und ging in
die frostige Morgendämmerung hinaus.

Auf dem Markt gab es Gott sei Dank Unterhaltung. Besonders in diesen
Zeiten wußten die Bauern stets etwas Neues zu berichten. Die Buckelgreta,
ein uraltes Krämerweib, die den Bauern weit auf der Landstraße entgegen¬
gegangen war, um ihnen Eier und Butter abzuhandeln, hatte heute einen großen
Tag. Ein ganzer Kreis von Dienstmädchen stand um sie herum, mit großen
Augen und aufgerissenen Mündern. Ihre quiekende hohe Stimme leierte eine
lange Mordgeschichte herunter. Sie hatte sie von einem Bauern aus Laakt in
Revais Nähe, und dem war sie von einem fremden Mann gebracht worden,
der in der Nacht aus dem Wald aufgetaucht und ein Stück mit ihm gefahren
war. So hatten drei Bauernköpfe die Gebilde ihrer Phantasie dazugetan, und
nun war eine Mär daraus geworden, die einem die Haare zu Berge trieb.

Sternburg war abgebrannt und Borküll dazu. Alle Barone waren ge¬
schlachtet. Und dem Borküller Erbherrn hatten sie vorher Ohren und Nase
abgeschnitten und eine Suppe daraus gekocht, die man ihm als Henkersmahlzeit
vorgesetzt hatte. Aber dann waren die Kosaken gekommen und hatten ein
fürchterliches Strafgericht gehalten. Von Sternburg bis Borküll gibt es keinen
Baum an der Landstraße, an dem nicht ein Este baumelt. "Und das geschieht
ihnen auch ganz recht," meinte die Buckelgreta: "Das mit der Suppe ist
wirklich ein bischen zu stark!" "Hat man denn auch die Nichtigen gehängt?"
fragte Lena. "Die Kosaken kennt man schon! Sie kommen hergejagt und
greifen auf, wen sie kriegen, schuldig und unschuldig. Eine Gemeinheit ist das!"

Mit ihrer roten Faust fuchtelte sie drohend in der Luft herum und hatte
den Triumph, daß ihr die anderen Mägde vielstimmig recht gaben. Als aber
jetzt wirklich ein Trupp Kosaken über den Marktplatz ritt, verstummten ihre
Parteigängerinnen. Sie war die einzige, die Haltung behielt. Mit trotzigem


Sturm

Das Mädchen war keineswegs erbaut von der Ankunft der „Landschen".
Sie kannte die Gräfin von früher zur Genüge und erinnerte sich, in welch
lächerlichem Mißverhältnis die Vermehrung ihrer Arbeit zur Höhe des Trink¬
geldes stand. Ja — wenn einer der Herren dabei gewesen wäre! Oben in
ihrem Kasten lag noch das Goldstück, das ihr vor zwei Tagen Baron Wolff
Joachim in die Hand gedrückt hatte. Und wofür? Für einen Krug warmes
Wasser und einmal Stiefelwichser.

Von dem langhaarigen Affenmenschen, der gestern mitgekommen war. und
der so freundlich mit ihr tat und Fräulein zu ihr sagte, nicht anders wie zu
Fräulein Frey und Baroneß Mara, von dem erwartete sie nicht viel. Der
Geizkragen zahlte wahrscheinlich mit Worten statt mit Rubeln. Dabei mußte
sie für ihn eine ganze Masse Sachen extra besorgen. Mißmutig las sie von
ihrem Zettel ab: „Zwei Pfund Nüsse— als ob er zu die Eichhörner gehört
— zwei Pfund Feigen oder Datteln — als ob wir jetzt Weihnachten hätten —
Äpfel — Mensch kriegt ja Cholera — na, mir solls gleich sein." Sie nahm
ihren großen Henkelkorb, schlang ihr Tuch fest um die Schultern und ging in
die frostige Morgendämmerung hinaus.

Auf dem Markt gab es Gott sei Dank Unterhaltung. Besonders in diesen
Zeiten wußten die Bauern stets etwas Neues zu berichten. Die Buckelgreta,
ein uraltes Krämerweib, die den Bauern weit auf der Landstraße entgegen¬
gegangen war, um ihnen Eier und Butter abzuhandeln, hatte heute einen großen
Tag. Ein ganzer Kreis von Dienstmädchen stand um sie herum, mit großen
Augen und aufgerissenen Mündern. Ihre quiekende hohe Stimme leierte eine
lange Mordgeschichte herunter. Sie hatte sie von einem Bauern aus Laakt in
Revais Nähe, und dem war sie von einem fremden Mann gebracht worden,
der in der Nacht aus dem Wald aufgetaucht und ein Stück mit ihm gefahren
war. So hatten drei Bauernköpfe die Gebilde ihrer Phantasie dazugetan, und
nun war eine Mär daraus geworden, die einem die Haare zu Berge trieb.

Sternburg war abgebrannt und Borküll dazu. Alle Barone waren ge¬
schlachtet. Und dem Borküller Erbherrn hatten sie vorher Ohren und Nase
abgeschnitten und eine Suppe daraus gekocht, die man ihm als Henkersmahlzeit
vorgesetzt hatte. Aber dann waren die Kosaken gekommen und hatten ein
fürchterliches Strafgericht gehalten. Von Sternburg bis Borküll gibt es keinen
Baum an der Landstraße, an dem nicht ein Este baumelt. „Und das geschieht
ihnen auch ganz recht," meinte die Buckelgreta: „Das mit der Suppe ist
wirklich ein bischen zu stark!" „Hat man denn auch die Nichtigen gehängt?"
fragte Lena. „Die Kosaken kennt man schon! Sie kommen hergejagt und
greifen auf, wen sie kriegen, schuldig und unschuldig. Eine Gemeinheit ist das!"

Mit ihrer roten Faust fuchtelte sie drohend in der Luft herum und hatte
den Triumph, daß ihr die anderen Mägde vielstimmig recht gaben. Als aber
jetzt wirklich ein Trupp Kosaken über den Marktplatz ritt, verstummten ihre
Parteigängerinnen. Sie war die einzige, die Haltung behielt. Mit trotzigem


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[0519] Sturm Das Mädchen war keineswegs erbaut von der Ankunft der „Landschen". Sie kannte die Gräfin von früher zur Genüge und erinnerte sich, in welch lächerlichem Mißverhältnis die Vermehrung ihrer Arbeit zur Höhe des Trink¬ geldes stand. Ja — wenn einer der Herren dabei gewesen wäre! Oben in ihrem Kasten lag noch das Goldstück, das ihr vor zwei Tagen Baron Wolff Joachim in die Hand gedrückt hatte. Und wofür? Für einen Krug warmes Wasser und einmal Stiefelwichser. Von dem langhaarigen Affenmenschen, der gestern mitgekommen war. und der so freundlich mit ihr tat und Fräulein zu ihr sagte, nicht anders wie zu Fräulein Frey und Baroneß Mara, von dem erwartete sie nicht viel. Der Geizkragen zahlte wahrscheinlich mit Worten statt mit Rubeln. Dabei mußte sie für ihn eine ganze Masse Sachen extra besorgen. Mißmutig las sie von ihrem Zettel ab: „Zwei Pfund Nüsse— als ob er zu die Eichhörner gehört — zwei Pfund Feigen oder Datteln — als ob wir jetzt Weihnachten hätten — Äpfel — Mensch kriegt ja Cholera — na, mir solls gleich sein." Sie nahm ihren großen Henkelkorb, schlang ihr Tuch fest um die Schultern und ging in die frostige Morgendämmerung hinaus. Auf dem Markt gab es Gott sei Dank Unterhaltung. Besonders in diesen Zeiten wußten die Bauern stets etwas Neues zu berichten. Die Buckelgreta, ein uraltes Krämerweib, die den Bauern weit auf der Landstraße entgegen¬ gegangen war, um ihnen Eier und Butter abzuhandeln, hatte heute einen großen Tag. Ein ganzer Kreis von Dienstmädchen stand um sie herum, mit großen Augen und aufgerissenen Mündern. Ihre quiekende hohe Stimme leierte eine lange Mordgeschichte herunter. Sie hatte sie von einem Bauern aus Laakt in Revais Nähe, und dem war sie von einem fremden Mann gebracht worden, der in der Nacht aus dem Wald aufgetaucht und ein Stück mit ihm gefahren war. So hatten drei Bauernköpfe die Gebilde ihrer Phantasie dazugetan, und nun war eine Mär daraus geworden, die einem die Haare zu Berge trieb. Sternburg war abgebrannt und Borküll dazu. Alle Barone waren ge¬ schlachtet. Und dem Borküller Erbherrn hatten sie vorher Ohren und Nase abgeschnitten und eine Suppe daraus gekocht, die man ihm als Henkersmahlzeit vorgesetzt hatte. Aber dann waren die Kosaken gekommen und hatten ein fürchterliches Strafgericht gehalten. Von Sternburg bis Borküll gibt es keinen Baum an der Landstraße, an dem nicht ein Este baumelt. „Und das geschieht ihnen auch ganz recht," meinte die Buckelgreta: „Das mit der Suppe ist wirklich ein bischen zu stark!" „Hat man denn auch die Nichtigen gehängt?" fragte Lena. „Die Kosaken kennt man schon! Sie kommen hergejagt und greifen auf, wen sie kriegen, schuldig und unschuldig. Eine Gemeinheit ist das!" Mit ihrer roten Faust fuchtelte sie drohend in der Luft herum und hatte den Triumph, daß ihr die anderen Mägde vielstimmig recht gaben. Als aber jetzt wirklich ein Trupp Kosaken über den Marktplatz ritt, verstummten ihre Parteigängerinnen. Sie war die einzige, die Haltung behielt. Mit trotzigem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/519>, abgerufen am 20.10.2024.