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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Hturm
Roman
Max Ludwig von(Sechzehnte Fortsetzung)

Es war sieben Uhr morgens, da hörte die Schwester des Küsters Frey aus
dem ersten Stock bereits die Klänge des Harmoniums heraufschallen und bald
von dem zerrenden grellen Sopran der Gräfin Emerenzia übertönt werden.

Sie rief ihrem Dienstmädchen Lena und begab sich eilends in das Quartier
der Borküller Herrschaften.

"Sobald ich gesungen habe, bin ich zu sprechen!" hatte die Gräfin Emerenzia
am Abend vorher gesagt. Deshalb klopfte Fräulein Adele gehorsamst an die
Glastür, die die Wohnung gegen die Treppe abschloß, als die letzte Strophe
deZ schönen Liedes: "O daß ich tausend Zungen hätte" kaum verklungen war.

"Herein, mein liebes Adelchen! Ist es nicht ein herrliches Lied? Wir
müssen aber gleich den Skinner bestellen. Ein paar Tasten auf dem Harmonium
wollen nicht so recht mit, und auch der Blasebalg muß verklebt werden. Und
nun wollen wir uns mal gemütlich hinsetzen und den Küchenzettel machen.
Schon gestern in der Bahn hab ich mich auf all die guten Gerichte gefreut, die
uns mein gutes Adelchen kochen wird. Mir gingen die Borküller Menüs bis
dahin. . ." sie strich sich mit ihrer dicken Hand über das Doppelkinn.

"Glauben Sie, daß ich in diesem Jahr schon einmal einen ordentlichen
Gamsbraten mit Sauerkohl bekommen habe? Immer nur Frikassees und weißes
Fleisch -- Kapaune und Fasanen und allenfalls einmal Wild. Sie wissen ja,
Adelchen -- meine Schwägerin behauptet, sie vertrage nichts anderes. Also
zunächst eine schöne fette Gans! Oder lieber gleich zwei. Das Gänseklein
reicht doch immer nicht bei einer. Und nachher einen schönen Pudding mit
Kranzbeerensauce..."

Die Speisenfolge der ganzen Woche wurde bestimmt, und durch viele
Zwischenfragen stellte die Gräfin fest, was der Revaler Markt zu dieser späten
Jahreszeit noch alles für Gerichte bot. Es war ein langer Wunschzettel, mit
dem Lena sich auf den Weg machte.




Hturm
Roman
Max Ludwig von(Sechzehnte Fortsetzung)

Es war sieben Uhr morgens, da hörte die Schwester des Küsters Frey aus
dem ersten Stock bereits die Klänge des Harmoniums heraufschallen und bald
von dem zerrenden grellen Sopran der Gräfin Emerenzia übertönt werden.

Sie rief ihrem Dienstmädchen Lena und begab sich eilends in das Quartier
der Borküller Herrschaften.

„Sobald ich gesungen habe, bin ich zu sprechen!" hatte die Gräfin Emerenzia
am Abend vorher gesagt. Deshalb klopfte Fräulein Adele gehorsamst an die
Glastür, die die Wohnung gegen die Treppe abschloß, als die letzte Strophe
deZ schönen Liedes: „O daß ich tausend Zungen hätte" kaum verklungen war.

„Herein, mein liebes Adelchen! Ist es nicht ein herrliches Lied? Wir
müssen aber gleich den Skinner bestellen. Ein paar Tasten auf dem Harmonium
wollen nicht so recht mit, und auch der Blasebalg muß verklebt werden. Und
nun wollen wir uns mal gemütlich hinsetzen und den Küchenzettel machen.
Schon gestern in der Bahn hab ich mich auf all die guten Gerichte gefreut, die
uns mein gutes Adelchen kochen wird. Mir gingen die Borküller Menüs bis
dahin. . ." sie strich sich mit ihrer dicken Hand über das Doppelkinn.

„Glauben Sie, daß ich in diesem Jahr schon einmal einen ordentlichen
Gamsbraten mit Sauerkohl bekommen habe? Immer nur Frikassees und weißes
Fleisch — Kapaune und Fasanen und allenfalls einmal Wild. Sie wissen ja,
Adelchen — meine Schwägerin behauptet, sie vertrage nichts anderes. Also
zunächst eine schöne fette Gans! Oder lieber gleich zwei. Das Gänseklein
reicht doch immer nicht bei einer. Und nachher einen schönen Pudding mit
Kranzbeerensauce..."

Die Speisenfolge der ganzen Woche wurde bestimmt, und durch viele
Zwischenfragen stellte die Gräfin fest, was der Revaler Markt zu dieser späten
Jahreszeit noch alles für Gerichte bot. Es war ein langer Wunschzettel, mit
dem Lena sich auf den Weg machte.


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[0518] [Abbildung] Hturm Roman Max Ludwig von(Sechzehnte Fortsetzung) Es war sieben Uhr morgens, da hörte die Schwester des Küsters Frey aus dem ersten Stock bereits die Klänge des Harmoniums heraufschallen und bald von dem zerrenden grellen Sopran der Gräfin Emerenzia übertönt werden. Sie rief ihrem Dienstmädchen Lena und begab sich eilends in das Quartier der Borküller Herrschaften. „Sobald ich gesungen habe, bin ich zu sprechen!" hatte die Gräfin Emerenzia am Abend vorher gesagt. Deshalb klopfte Fräulein Adele gehorsamst an die Glastür, die die Wohnung gegen die Treppe abschloß, als die letzte Strophe deZ schönen Liedes: „O daß ich tausend Zungen hätte" kaum verklungen war. „Herein, mein liebes Adelchen! Ist es nicht ein herrliches Lied? Wir müssen aber gleich den Skinner bestellen. Ein paar Tasten auf dem Harmonium wollen nicht so recht mit, und auch der Blasebalg muß verklebt werden. Und nun wollen wir uns mal gemütlich hinsetzen und den Küchenzettel machen. Schon gestern in der Bahn hab ich mich auf all die guten Gerichte gefreut, die uns mein gutes Adelchen kochen wird. Mir gingen die Borküller Menüs bis dahin. . ." sie strich sich mit ihrer dicken Hand über das Doppelkinn. „Glauben Sie, daß ich in diesem Jahr schon einmal einen ordentlichen Gamsbraten mit Sauerkohl bekommen habe? Immer nur Frikassees und weißes Fleisch — Kapaune und Fasanen und allenfalls einmal Wild. Sie wissen ja, Adelchen — meine Schwägerin behauptet, sie vertrage nichts anderes. Also zunächst eine schöne fette Gans! Oder lieber gleich zwei. Das Gänseklein reicht doch immer nicht bei einer. Und nachher einen schönen Pudding mit Kranzbeerensauce..." Die Speisenfolge der ganzen Woche wurde bestimmt, und durch viele Zwischenfragen stellte die Gräfin fest, was der Revaler Markt zu dieser späten Jahreszeit noch alles für Gerichte bot. Es war ein langer Wunschzettel, mit dem Lena sich auf den Weg machte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/518>, abgerufen am 20.10.2024.