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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Sturm

"Die Frau Baronin hat mich gebeten, in diesem Streitfall zu vermitteln.
Ich bin ein Mann, dessen ganzes Herz dem Volk gehört. Die Forderung nach
Gerechtigkeit und Freiheit, die Sie stellen, meine Herren und Damen..."

Hier flog ein Lächeln über Maras Gesicht, als sie die schmutzigen
chemischen Weiber vor sich sah. Aber im Zuge, wie sie war, übersetzte sie auch
das Wort "Damen".

"Die Forderung, die Sie stellen, ist mir durchaus verständlich. Das Ver¬
langen nach Sonne und Luft ist allem Lebendigen angeboren. Schenken Sie
mir deshalb auch Ihr Vertrauen, wie es mir die Frau Baronin geschenkt hat.
Heute Abend noch wollen wir uns eingehend über alle strittigen Punkte aus¬
sprechen. Kommen Sie alle miteinander, die Anwesenden und wer mich sonst
noch hören will, heute Abend um acht Uhr ins Schulhaus. Das eine aber will
ich Ihnen jetzt schon sagen: es gibt etwas Wertvolleres als Geld, das ist die
Scholle. Geld ist vergänglich, die Scholle bleibt ewig. Ich will dafür sorgen,
daß Euch die Scholle gegeben wird."

Der Redner zog wieder höflich den Hut. Ein Gemurmel entstand.

"Was hat er gesagt? Kein Geld nich? Was ist das überhaupt für
einer? Wo kommt er her? Was hat er mit uns zu tun? Der deutsche
Farbenschmierer I"

Ein graubärtiger Mann mit einem lahmen Bein hinkte einige Schritte vor,
kratzte sich den Kopf unter der Mütze und fing unsicher an zu sprechen:

"Erstensmal sind wir keine Herren und Damen. Leute sind wir --
Arbeitsleute. Und dann wollte ich auch noch sagen, daß wir Luft und Sonne
genug haben, mehr brauchen wir nicht. Von viere und fünfe an sind wir auf
den Beinen, und wir sehen die Sonne auf- und wieder niedergehen. Was wir
brauchen, das ist Geld. Arbeiten wollen wir gerne. Aber man soll auch be¬
zahlen, was wir schaffen. Und wir schaffen genug I Dort steht das Schloß,
und hier hinten im Dorf stehen unsere Hütten. Das Schloß ist ganz und
prächtig, und wenns wo fehlt, dann wird gebaut und gebessert. Unsere Hütten
aber find niedrig und rauchig, und schadhaft sind sie und eng, auch wissen wir
nicht, was ein guter Happen ist. Die Sache ist ganz einfach: wir wollen nicht
hungern, während die Herren Überfluß haben. Gebt uns die zwanzig Kopeken
und wir sind zufrieden I"

Laute Beifallsäußerungen begleiteten die Rede des Mannes. Unter die
zustimmenden Rufe mischte sich unterdrücktes Gelächter. Es galt dem Maler
und seinen schwülstigen Phrasen.

"Solch einen Heiligen brauchen wir nicht!" räsonnierte Carta. "Soll
der etwa der neue Verwalter sein, das Milchgesicht? Teufel auch, den steckt
man ohne weiteres in den Sack und karrt ihn zum Hof hinaus I Den wollen
wir gar nicht hören!"

Das Gelächter verstärkte sich. Da wandte sich der alte Maddis beschwörend
an Mara:


Sturm

„Die Frau Baronin hat mich gebeten, in diesem Streitfall zu vermitteln.
Ich bin ein Mann, dessen ganzes Herz dem Volk gehört. Die Forderung nach
Gerechtigkeit und Freiheit, die Sie stellen, meine Herren und Damen..."

Hier flog ein Lächeln über Maras Gesicht, als sie die schmutzigen
chemischen Weiber vor sich sah. Aber im Zuge, wie sie war, übersetzte sie auch
das Wort „Damen".

„Die Forderung, die Sie stellen, ist mir durchaus verständlich. Das Ver¬
langen nach Sonne und Luft ist allem Lebendigen angeboren. Schenken Sie
mir deshalb auch Ihr Vertrauen, wie es mir die Frau Baronin geschenkt hat.
Heute Abend noch wollen wir uns eingehend über alle strittigen Punkte aus¬
sprechen. Kommen Sie alle miteinander, die Anwesenden und wer mich sonst
noch hören will, heute Abend um acht Uhr ins Schulhaus. Das eine aber will
ich Ihnen jetzt schon sagen: es gibt etwas Wertvolleres als Geld, das ist die
Scholle. Geld ist vergänglich, die Scholle bleibt ewig. Ich will dafür sorgen,
daß Euch die Scholle gegeben wird."

Der Redner zog wieder höflich den Hut. Ein Gemurmel entstand.

„Was hat er gesagt? Kein Geld nich? Was ist das überhaupt für
einer? Wo kommt er her? Was hat er mit uns zu tun? Der deutsche
Farbenschmierer I"

Ein graubärtiger Mann mit einem lahmen Bein hinkte einige Schritte vor,
kratzte sich den Kopf unter der Mütze und fing unsicher an zu sprechen:

„Erstensmal sind wir keine Herren und Damen. Leute sind wir —
Arbeitsleute. Und dann wollte ich auch noch sagen, daß wir Luft und Sonne
genug haben, mehr brauchen wir nicht. Von viere und fünfe an sind wir auf
den Beinen, und wir sehen die Sonne auf- und wieder niedergehen. Was wir
brauchen, das ist Geld. Arbeiten wollen wir gerne. Aber man soll auch be¬
zahlen, was wir schaffen. Und wir schaffen genug I Dort steht das Schloß,
und hier hinten im Dorf stehen unsere Hütten. Das Schloß ist ganz und
prächtig, und wenns wo fehlt, dann wird gebaut und gebessert. Unsere Hütten
aber find niedrig und rauchig, und schadhaft sind sie und eng, auch wissen wir
nicht, was ein guter Happen ist. Die Sache ist ganz einfach: wir wollen nicht
hungern, während die Herren Überfluß haben. Gebt uns die zwanzig Kopeken
und wir sind zufrieden I"

Laute Beifallsäußerungen begleiteten die Rede des Mannes. Unter die
zustimmenden Rufe mischte sich unterdrücktes Gelächter. Es galt dem Maler
und seinen schwülstigen Phrasen.

„Solch einen Heiligen brauchen wir nicht!" räsonnierte Carta. „Soll
der etwa der neue Verwalter sein, das Milchgesicht? Teufel auch, den steckt
man ohne weiteres in den Sack und karrt ihn zum Hof hinaus I Den wollen
wir gar nicht hören!"

Das Gelächter verstärkte sich. Da wandte sich der alte Maddis beschwörend
an Mara:


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[0051] Sturm „Die Frau Baronin hat mich gebeten, in diesem Streitfall zu vermitteln. Ich bin ein Mann, dessen ganzes Herz dem Volk gehört. Die Forderung nach Gerechtigkeit und Freiheit, die Sie stellen, meine Herren und Damen..." Hier flog ein Lächeln über Maras Gesicht, als sie die schmutzigen chemischen Weiber vor sich sah. Aber im Zuge, wie sie war, übersetzte sie auch das Wort „Damen". „Die Forderung, die Sie stellen, ist mir durchaus verständlich. Das Ver¬ langen nach Sonne und Luft ist allem Lebendigen angeboren. Schenken Sie mir deshalb auch Ihr Vertrauen, wie es mir die Frau Baronin geschenkt hat. Heute Abend noch wollen wir uns eingehend über alle strittigen Punkte aus¬ sprechen. Kommen Sie alle miteinander, die Anwesenden und wer mich sonst noch hören will, heute Abend um acht Uhr ins Schulhaus. Das eine aber will ich Ihnen jetzt schon sagen: es gibt etwas Wertvolleres als Geld, das ist die Scholle. Geld ist vergänglich, die Scholle bleibt ewig. Ich will dafür sorgen, daß Euch die Scholle gegeben wird." Der Redner zog wieder höflich den Hut. Ein Gemurmel entstand. „Was hat er gesagt? Kein Geld nich? Was ist das überhaupt für einer? Wo kommt er her? Was hat er mit uns zu tun? Der deutsche Farbenschmierer I" Ein graubärtiger Mann mit einem lahmen Bein hinkte einige Schritte vor, kratzte sich den Kopf unter der Mütze und fing unsicher an zu sprechen: „Erstensmal sind wir keine Herren und Damen. Leute sind wir — Arbeitsleute. Und dann wollte ich auch noch sagen, daß wir Luft und Sonne genug haben, mehr brauchen wir nicht. Von viere und fünfe an sind wir auf den Beinen, und wir sehen die Sonne auf- und wieder niedergehen. Was wir brauchen, das ist Geld. Arbeiten wollen wir gerne. Aber man soll auch be¬ zahlen, was wir schaffen. Und wir schaffen genug I Dort steht das Schloß, und hier hinten im Dorf stehen unsere Hütten. Das Schloß ist ganz und prächtig, und wenns wo fehlt, dann wird gebaut und gebessert. Unsere Hütten aber find niedrig und rauchig, und schadhaft sind sie und eng, auch wissen wir nicht, was ein guter Happen ist. Die Sache ist ganz einfach: wir wollen nicht hungern, während die Herren Überfluß haben. Gebt uns die zwanzig Kopeken und wir sind zufrieden I" Laute Beifallsäußerungen begleiteten die Rede des Mannes. Unter die zustimmenden Rufe mischte sich unterdrücktes Gelächter. Es galt dem Maler und seinen schwülstigen Phrasen. „Solch einen Heiligen brauchen wir nicht!" räsonnierte Carta. „Soll der etwa der neue Verwalter sein, das Milchgesicht? Teufel auch, den steckt man ohne weiteres in den Sack und karrt ihn zum Hof hinaus I Den wollen wir gar nicht hören!" Das Gelächter verstärkte sich. Da wandte sich der alte Maddis beschwörend an Mara:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/51>, abgerufen am 20.10.2024.