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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Über den Ursprung des Lebens

sobald es sich um die Übertragung der Lebenskeime von einem kosmischen System
auf ein anderes handelt, wie sie vorausgesetzt werden muß, soll die Dauer des
Lebens nicht bloß für unser Sonnensystem gesichert sein.

Dieser Einwand ist indes nicht so berechtigt, wie er zunächst erscheint.
nachweislich können selbst die uns bekannten kleinsten Lebensträger: die Keim¬
zellen, Sporen, Samen, innerhalb engerer zeitlicher Grenzen auch sehr niedrige
Temperaturen ertragen, ohne die Fähigkeit zur Betätigung des Lebens zu ver¬
lieren. Das aber sind organische Gebilde, deren verwickelte Struktur und
Zusammensetzung sie in weit höherem Maße der nachhaltigen Zerstörung als
Lebensträger durch Veränderung der äußeren Lebensbedingungen, wie sehr
niedrige Temperatur, aussetzt, als dies sür die sehr viel einfacheren elementaren,
im kosmischen Staub vorausgesetzten Lebenselemente anzunehmen ist.

Das Leben auf der Erde in der Gestaltung, wie wir es durch Wahrneh¬
mung erkennen und verstehen, gehört eben der Erde an und kann als solches
nicht übertragen werden auf Weltkörper von ganz anderer Eigenart. Das schließt
aber nicht aus, daß sich die uns erkennbaren Keimbildungen des Lebens auf
elementaren Lehensträgern aufbauen, welche als universale Lebenskeime die
Fähigkeit der Betätigung sich auch unter Bedingungen zu erhalten vermögen,
unter denen irdische Keimbildungen absterben müßten.

Erkennen wir diese Möglichkeit an, dann behauptet die von Arrhenius
aufgestellte Hypothese doch ihre Bedeutung für diejenige Anschauung, welche das
"Leben in der Natur" als mit dieser zugleich gegeben begreift und für das
"Leben in der Natur" keine andere Quelle sucht, als für die Natur überhaupt.
Indes, auch wenn diese Hypothese verworfen wird, muß anerkannt werden, daß
die Forschung nach dem Ursprung des "Lebens in der Natur" notwendig über
die Grenzen des Wahrnehmbaren und damit auch über die Grenzen natur¬
wissenschaftlicher Gewißheit hinausführt.

Wem dann dieses negative Ergebnis nicht genügt, der möge sich an die
unmittelbare Gewißheit des "Lebens an sich" halten, die wir. unabhängig von
den Ergebnissen sinnlicher Wahrnehmung, im Bewußtsein unserer eigenen Lebens-
betätigung besitzen; eine Gewißheit, die zugleich alle Grenzen von Raum und
Zeit überschreitet, sobald wir von dem absehen, was diesem Leben aus der
sinnlichen Wahrnehmung anhaftet.




Grenzbvton III 1S1332
Über den Ursprung des Lebens

sobald es sich um die Übertragung der Lebenskeime von einem kosmischen System
auf ein anderes handelt, wie sie vorausgesetzt werden muß, soll die Dauer des
Lebens nicht bloß für unser Sonnensystem gesichert sein.

Dieser Einwand ist indes nicht so berechtigt, wie er zunächst erscheint.
nachweislich können selbst die uns bekannten kleinsten Lebensträger: die Keim¬
zellen, Sporen, Samen, innerhalb engerer zeitlicher Grenzen auch sehr niedrige
Temperaturen ertragen, ohne die Fähigkeit zur Betätigung des Lebens zu ver¬
lieren. Das aber sind organische Gebilde, deren verwickelte Struktur und
Zusammensetzung sie in weit höherem Maße der nachhaltigen Zerstörung als
Lebensträger durch Veränderung der äußeren Lebensbedingungen, wie sehr
niedrige Temperatur, aussetzt, als dies sür die sehr viel einfacheren elementaren,
im kosmischen Staub vorausgesetzten Lebenselemente anzunehmen ist.

Das Leben auf der Erde in der Gestaltung, wie wir es durch Wahrneh¬
mung erkennen und verstehen, gehört eben der Erde an und kann als solches
nicht übertragen werden auf Weltkörper von ganz anderer Eigenart. Das schließt
aber nicht aus, daß sich die uns erkennbaren Keimbildungen des Lebens auf
elementaren Lehensträgern aufbauen, welche als universale Lebenskeime die
Fähigkeit der Betätigung sich auch unter Bedingungen zu erhalten vermögen,
unter denen irdische Keimbildungen absterben müßten.

Erkennen wir diese Möglichkeit an, dann behauptet die von Arrhenius
aufgestellte Hypothese doch ihre Bedeutung für diejenige Anschauung, welche das
„Leben in der Natur" als mit dieser zugleich gegeben begreift und für das
„Leben in der Natur" keine andere Quelle sucht, als für die Natur überhaupt.
Indes, auch wenn diese Hypothese verworfen wird, muß anerkannt werden, daß
die Forschung nach dem Ursprung des „Lebens in der Natur" notwendig über
die Grenzen des Wahrnehmbaren und damit auch über die Grenzen natur¬
wissenschaftlicher Gewißheit hinausführt.

Wem dann dieses negative Ergebnis nicht genügt, der möge sich an die
unmittelbare Gewißheit des „Lebens an sich" halten, die wir. unabhängig von
den Ergebnissen sinnlicher Wahrnehmung, im Bewußtsein unserer eigenen Lebens-
betätigung besitzen; eine Gewißheit, die zugleich alle Grenzen von Raum und
Zeit überschreitet, sobald wir von dem absehen, was diesem Leben aus der
sinnlichen Wahrnehmung anhaftet.




Grenzbvton III 1S1332
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[0509] Über den Ursprung des Lebens sobald es sich um die Übertragung der Lebenskeime von einem kosmischen System auf ein anderes handelt, wie sie vorausgesetzt werden muß, soll die Dauer des Lebens nicht bloß für unser Sonnensystem gesichert sein. Dieser Einwand ist indes nicht so berechtigt, wie er zunächst erscheint. nachweislich können selbst die uns bekannten kleinsten Lebensträger: die Keim¬ zellen, Sporen, Samen, innerhalb engerer zeitlicher Grenzen auch sehr niedrige Temperaturen ertragen, ohne die Fähigkeit zur Betätigung des Lebens zu ver¬ lieren. Das aber sind organische Gebilde, deren verwickelte Struktur und Zusammensetzung sie in weit höherem Maße der nachhaltigen Zerstörung als Lebensträger durch Veränderung der äußeren Lebensbedingungen, wie sehr niedrige Temperatur, aussetzt, als dies sür die sehr viel einfacheren elementaren, im kosmischen Staub vorausgesetzten Lebenselemente anzunehmen ist. Das Leben auf der Erde in der Gestaltung, wie wir es durch Wahrneh¬ mung erkennen und verstehen, gehört eben der Erde an und kann als solches nicht übertragen werden auf Weltkörper von ganz anderer Eigenart. Das schließt aber nicht aus, daß sich die uns erkennbaren Keimbildungen des Lebens auf elementaren Lehensträgern aufbauen, welche als universale Lebenskeime die Fähigkeit der Betätigung sich auch unter Bedingungen zu erhalten vermögen, unter denen irdische Keimbildungen absterben müßten. Erkennen wir diese Möglichkeit an, dann behauptet die von Arrhenius aufgestellte Hypothese doch ihre Bedeutung für diejenige Anschauung, welche das „Leben in der Natur" als mit dieser zugleich gegeben begreift und für das „Leben in der Natur" keine andere Quelle sucht, als für die Natur überhaupt. Indes, auch wenn diese Hypothese verworfen wird, muß anerkannt werden, daß die Forschung nach dem Ursprung des „Lebens in der Natur" notwendig über die Grenzen des Wahrnehmbaren und damit auch über die Grenzen natur¬ wissenschaftlicher Gewißheit hinausführt. Wem dann dieses negative Ergebnis nicht genügt, der möge sich an die unmittelbare Gewißheit des „Lebens an sich" halten, die wir. unabhängig von den Ergebnissen sinnlicher Wahrnehmung, im Bewußtsein unserer eigenen Lebens- betätigung besitzen; eine Gewißheit, die zugleich alle Grenzen von Raum und Zeit überschreitet, sobald wir von dem absehen, was diesem Leben aus der sinnlichen Wahrnehmung anhaftet. Grenzbvton III 1S1332

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/509>, abgerufen am 19.10.2024.