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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Über den Ursprung des Lebens
Veto Leo von in

le Gewißheit, daß wir leben, daß wir als ein in Raum und Zeit
einheitliches Fürsichsein Wirkungen erleiden und zugleich Ausgangs¬
punkt von Wirkungen sind, diese unzweifelhafte Gewißheit unseres
eigenen Daseins und Betätigungsvermögens -- das ist die uner¬
läßliche Voraussetzung, die notwendige Bedingung aller Erfahrung,
alles Erkennens und alles Wollens.

Als unmittelbar gegebene Tatsache und notwendige Voraussetzung aller Er¬
kenntnis kann das Leben nicht Ergebnis wissenschaftlicher Forschung sein. Das
Leben muß immer schon da sein, wenn es sich in irgendeiner Form betätigen
soll. Auch dann, wenn wir uns einen Zustand des Seins denken, welcher kein
Leben enthalten kann, z. B. die Erde als einen Ball glühender Dämpfe, können
wir uns selbst als Träger des Lebens nicht fortdenken.

Die Frage nach dem Ursprung des Lebens erscheint daher als eine müßige;
denn sie setzt das, was sie finden will, das Leben, bereits voraus. Wenn diese
Frage immer wieder gestellt wird, so muß sie sich auf etwas anderes beziehen
als es das Leben ist, dessen wir uns unmittelbar gewiß sind; sie darf sich nur
auf etwas beziehen, was Gegenstand unserer Anschauung sein kann, auf einen
Begriff des Lebens, dem durch die Sinne vermittelte Wahrnehmungen zugrunde
liegen, also objektive Wirklichkeit, der wir eine von unserem Leben unabhängige
Existenz zuschreiben.

Fassen wir die Vielheit und Mannigfaltigkeit der durch die Sinnestätigkeit
vermittelten und gestalteten objektiven Wirklichkeit in dem Begriffe "Natur" zu-
sammen. so ergibt sich die Unterscheidung des "Lebens in der Natur" von
dem "Leben an sich", wie es uns in unserem eigenen Dasein unmittelbar ge¬
geben ist.

Nur dem "Leben in der Natur" darf die Frage nach dem Ursprung des
Lebens gelten. --

Wir gelangen zu dem Begriffe des "Lebens in der Natur" dadurch, daß
wir innerhalb des Gesamtbegriffes der Natur Zustände und Vorgänge erkennen,
Zeiche sich einerseits durch ihre Merkmale von den übrigen sondern, anderseits




Über den Ursprung des Lebens
Veto Leo von in

le Gewißheit, daß wir leben, daß wir als ein in Raum und Zeit
einheitliches Fürsichsein Wirkungen erleiden und zugleich Ausgangs¬
punkt von Wirkungen sind, diese unzweifelhafte Gewißheit unseres
eigenen Daseins und Betätigungsvermögens — das ist die uner¬
läßliche Voraussetzung, die notwendige Bedingung aller Erfahrung,
alles Erkennens und alles Wollens.

Als unmittelbar gegebene Tatsache und notwendige Voraussetzung aller Er¬
kenntnis kann das Leben nicht Ergebnis wissenschaftlicher Forschung sein. Das
Leben muß immer schon da sein, wenn es sich in irgendeiner Form betätigen
soll. Auch dann, wenn wir uns einen Zustand des Seins denken, welcher kein
Leben enthalten kann, z. B. die Erde als einen Ball glühender Dämpfe, können
wir uns selbst als Träger des Lebens nicht fortdenken.

Die Frage nach dem Ursprung des Lebens erscheint daher als eine müßige;
denn sie setzt das, was sie finden will, das Leben, bereits voraus. Wenn diese
Frage immer wieder gestellt wird, so muß sie sich auf etwas anderes beziehen
als es das Leben ist, dessen wir uns unmittelbar gewiß sind; sie darf sich nur
auf etwas beziehen, was Gegenstand unserer Anschauung sein kann, auf einen
Begriff des Lebens, dem durch die Sinne vermittelte Wahrnehmungen zugrunde
liegen, also objektive Wirklichkeit, der wir eine von unserem Leben unabhängige
Existenz zuschreiben.

Fassen wir die Vielheit und Mannigfaltigkeit der durch die Sinnestätigkeit
vermittelten und gestalteten objektiven Wirklichkeit in dem Begriffe „Natur" zu-
sammen. so ergibt sich die Unterscheidung des „Lebens in der Natur" von
dem „Leben an sich", wie es uns in unserem eigenen Dasein unmittelbar ge¬
geben ist.

Nur dem „Leben in der Natur" darf die Frage nach dem Ursprung des
Lebens gelten. —

Wir gelangen zu dem Begriffe des „Lebens in der Natur" dadurch, daß
wir innerhalb des Gesamtbegriffes der Natur Zustände und Vorgänge erkennen,
Zeiche sich einerseits durch ihre Merkmale von den übrigen sondern, anderseits


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[0501] [Abbildung] Über den Ursprung des Lebens Veto Leo von in le Gewißheit, daß wir leben, daß wir als ein in Raum und Zeit einheitliches Fürsichsein Wirkungen erleiden und zugleich Ausgangs¬ punkt von Wirkungen sind, diese unzweifelhafte Gewißheit unseres eigenen Daseins und Betätigungsvermögens — das ist die uner¬ läßliche Voraussetzung, die notwendige Bedingung aller Erfahrung, alles Erkennens und alles Wollens. Als unmittelbar gegebene Tatsache und notwendige Voraussetzung aller Er¬ kenntnis kann das Leben nicht Ergebnis wissenschaftlicher Forschung sein. Das Leben muß immer schon da sein, wenn es sich in irgendeiner Form betätigen soll. Auch dann, wenn wir uns einen Zustand des Seins denken, welcher kein Leben enthalten kann, z. B. die Erde als einen Ball glühender Dämpfe, können wir uns selbst als Träger des Lebens nicht fortdenken. Die Frage nach dem Ursprung des Lebens erscheint daher als eine müßige; denn sie setzt das, was sie finden will, das Leben, bereits voraus. Wenn diese Frage immer wieder gestellt wird, so muß sie sich auf etwas anderes beziehen als es das Leben ist, dessen wir uns unmittelbar gewiß sind; sie darf sich nur auf etwas beziehen, was Gegenstand unserer Anschauung sein kann, auf einen Begriff des Lebens, dem durch die Sinne vermittelte Wahrnehmungen zugrunde liegen, also objektive Wirklichkeit, der wir eine von unserem Leben unabhängige Existenz zuschreiben. Fassen wir die Vielheit und Mannigfaltigkeit der durch die Sinnestätigkeit vermittelten und gestalteten objektiven Wirklichkeit in dem Begriffe „Natur" zu- sammen. so ergibt sich die Unterscheidung des „Lebens in der Natur" von dem „Leben an sich", wie es uns in unserem eigenen Dasein unmittelbar ge¬ geben ist. Nur dem „Leben in der Natur" darf die Frage nach dem Ursprung des Lebens gelten. — Wir gelangen zu dem Begriffe des „Lebens in der Natur" dadurch, daß wir innerhalb des Gesamtbegriffes der Natur Zustände und Vorgänge erkennen, Zeiche sich einerseits durch ihre Merkmale von den übrigen sondern, anderseits

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/501>, abgerufen am 20.10.2024.