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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Sturm

"Wird was schönes herauskommen bei Kurems Deutsch! Aber -- meinet¬
wegen -- reden Sie mit den Arbeitern!"

Mara sprang auf. Sie war immer dabei, wenn etwas Neues unternommen
wurde: "Kommen Sie -- wir wollen die Leute für heute Abend bestellen.
Am besten ins Schulhaus I Der Saal ist groß genug!"

Im Hinausgehen bückte sich Madelung rasch, nahm die Teile des zer¬
brochenen Bildes vorsichtig an sich und schob sie im Flur unauffällig hinter
einen der großen Danziger Schränke.

Im Hof lärmten ein Dutzend Männer und Weiber um den alten Maddis.

"Wir wollen Kirsch sprechen, oder den Herrn! Wo ist der Herr? Wo ist
Kirsch? Du hast hier doch nichts zu befehlen, alter Teufel!" so schallte es erregt
durcheinander.

Maddis fuchtelte abwehrend mit den Armen und schrie sich heiser bei dem
Versuch, die Leute zu beruhigen.

"Der Verwalter? Was weiß ich, wo der steckt! Baumelt vielleicht schon
längst am Laternenpfahl in Neval. So wird es allen gehen, die das Volk
verführen. Und der Herr Baron wird bald genug da sein. Aber -- mein
Gott -- wißt ihr, wo Frankreich liegt? Da kommt erst Finnland, dann kommt
Preußen, dann Dänemark, dann England und dann noch eine ganze Masse
andere große Länder, das will geschafft sein. Nun wartet man noch ein bißchen,
ihr alten Schreihälse und geht an euere Arbeit!"

"Arbeit und immer Arbeit! Der Herr kutscht in der Welt rum und tut
nischt als fressen und saufen. Wir wollen auch mal fressen und saufen und
nischt tun!" sagte Carta, der als Radaubruder im Dorf bekannt war.

"Das besorgst du ja schon längst!" rief Maddis. "Du solltest überhaupt
dein freches Maul halten! Horcht ihr auf den Lumpen hier, dann kriegt ihr
gar nichts, kann ich euch sagen. Du stinkst ja den ganzen Tag nach Monopol.
Gut, daß meine Pfeife nicht brennt, du gingst sonst in die Luft."

"Warte, du alter Fuchs!" knirschte der Bursche und hielt ihm die geballte
Faust unter die Nase. "Das soll dir heimgezahlt werden!"

Maddis spie verächtlich aus. Wer weiß, ob es nicht zu Handgreiflich¬
keiten gekommen wäre, wenn jetzt nicht Mara mit dem Maler auf dem Hos
erschienen wäre. Die Leute traten ein wenig zurück, nahmen aber die Mütze
nicht vom Kopf und behielten ihre trotzige Haltung.

Madelung lüftete höflich den Hut. räusperte sich, verschränkte die Arme
und wandte sich, als er jetzt zu sprechen begann, in regelmäßiger Drehung
seines Christuskopfes von Mara, die seine Worte übersetzte, zu den Arbeitern:

"Meine Herren!"

Mara schüttelte befremdet den Kopf und schwieg abwartend. Aber der
Maler wiederholte mit vielsagendem Nachdruck: "Meine Herren, hören Sie
mich an!"

Widerstrebend übersetzte Mara die Worte, so unpassend sie ihr schienen.


Sturm

„Wird was schönes herauskommen bei Kurems Deutsch! Aber — meinet¬
wegen — reden Sie mit den Arbeitern!"

Mara sprang auf. Sie war immer dabei, wenn etwas Neues unternommen
wurde: „Kommen Sie — wir wollen die Leute für heute Abend bestellen.
Am besten ins Schulhaus I Der Saal ist groß genug!"

Im Hinausgehen bückte sich Madelung rasch, nahm die Teile des zer¬
brochenen Bildes vorsichtig an sich und schob sie im Flur unauffällig hinter
einen der großen Danziger Schränke.

Im Hof lärmten ein Dutzend Männer und Weiber um den alten Maddis.

„Wir wollen Kirsch sprechen, oder den Herrn! Wo ist der Herr? Wo ist
Kirsch? Du hast hier doch nichts zu befehlen, alter Teufel!" so schallte es erregt
durcheinander.

Maddis fuchtelte abwehrend mit den Armen und schrie sich heiser bei dem
Versuch, die Leute zu beruhigen.

„Der Verwalter? Was weiß ich, wo der steckt! Baumelt vielleicht schon
längst am Laternenpfahl in Neval. So wird es allen gehen, die das Volk
verführen. Und der Herr Baron wird bald genug da sein. Aber — mein
Gott — wißt ihr, wo Frankreich liegt? Da kommt erst Finnland, dann kommt
Preußen, dann Dänemark, dann England und dann noch eine ganze Masse
andere große Länder, das will geschafft sein. Nun wartet man noch ein bißchen,
ihr alten Schreihälse und geht an euere Arbeit!"

„Arbeit und immer Arbeit! Der Herr kutscht in der Welt rum und tut
nischt als fressen und saufen. Wir wollen auch mal fressen und saufen und
nischt tun!" sagte Carta, der als Radaubruder im Dorf bekannt war.

„Das besorgst du ja schon längst!" rief Maddis. „Du solltest überhaupt
dein freches Maul halten! Horcht ihr auf den Lumpen hier, dann kriegt ihr
gar nichts, kann ich euch sagen. Du stinkst ja den ganzen Tag nach Monopol.
Gut, daß meine Pfeife nicht brennt, du gingst sonst in die Luft."

„Warte, du alter Fuchs!" knirschte der Bursche und hielt ihm die geballte
Faust unter die Nase. „Das soll dir heimgezahlt werden!"

Maddis spie verächtlich aus. Wer weiß, ob es nicht zu Handgreiflich¬
keiten gekommen wäre, wenn jetzt nicht Mara mit dem Maler auf dem Hos
erschienen wäre. Die Leute traten ein wenig zurück, nahmen aber die Mütze
nicht vom Kopf und behielten ihre trotzige Haltung.

Madelung lüftete höflich den Hut. räusperte sich, verschränkte die Arme
und wandte sich, als er jetzt zu sprechen begann, in regelmäßiger Drehung
seines Christuskopfes von Mara, die seine Worte übersetzte, zu den Arbeitern:

„Meine Herren!"

Mara schüttelte befremdet den Kopf und schwieg abwartend. Aber der
Maler wiederholte mit vielsagendem Nachdruck: „Meine Herren, hören Sie
mich an!"

Widerstrebend übersetzte Mara die Worte, so unpassend sie ihr schienen.


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[0050] Sturm „Wird was schönes herauskommen bei Kurems Deutsch! Aber — meinet¬ wegen — reden Sie mit den Arbeitern!" Mara sprang auf. Sie war immer dabei, wenn etwas Neues unternommen wurde: „Kommen Sie — wir wollen die Leute für heute Abend bestellen. Am besten ins Schulhaus I Der Saal ist groß genug!" Im Hinausgehen bückte sich Madelung rasch, nahm die Teile des zer¬ brochenen Bildes vorsichtig an sich und schob sie im Flur unauffällig hinter einen der großen Danziger Schränke. Im Hof lärmten ein Dutzend Männer und Weiber um den alten Maddis. „Wir wollen Kirsch sprechen, oder den Herrn! Wo ist der Herr? Wo ist Kirsch? Du hast hier doch nichts zu befehlen, alter Teufel!" so schallte es erregt durcheinander. Maddis fuchtelte abwehrend mit den Armen und schrie sich heiser bei dem Versuch, die Leute zu beruhigen. „Der Verwalter? Was weiß ich, wo der steckt! Baumelt vielleicht schon längst am Laternenpfahl in Neval. So wird es allen gehen, die das Volk verführen. Und der Herr Baron wird bald genug da sein. Aber — mein Gott — wißt ihr, wo Frankreich liegt? Da kommt erst Finnland, dann kommt Preußen, dann Dänemark, dann England und dann noch eine ganze Masse andere große Länder, das will geschafft sein. Nun wartet man noch ein bißchen, ihr alten Schreihälse und geht an euere Arbeit!" „Arbeit und immer Arbeit! Der Herr kutscht in der Welt rum und tut nischt als fressen und saufen. Wir wollen auch mal fressen und saufen und nischt tun!" sagte Carta, der als Radaubruder im Dorf bekannt war. „Das besorgst du ja schon längst!" rief Maddis. „Du solltest überhaupt dein freches Maul halten! Horcht ihr auf den Lumpen hier, dann kriegt ihr gar nichts, kann ich euch sagen. Du stinkst ja den ganzen Tag nach Monopol. Gut, daß meine Pfeife nicht brennt, du gingst sonst in die Luft." „Warte, du alter Fuchs!" knirschte der Bursche und hielt ihm die geballte Faust unter die Nase. „Das soll dir heimgezahlt werden!" Maddis spie verächtlich aus. Wer weiß, ob es nicht zu Handgreiflich¬ keiten gekommen wäre, wenn jetzt nicht Mara mit dem Maler auf dem Hos erschienen wäre. Die Leute traten ein wenig zurück, nahmen aber die Mütze nicht vom Kopf und behielten ihre trotzige Haltung. Madelung lüftete höflich den Hut. räusperte sich, verschränkte die Arme und wandte sich, als er jetzt zu sprechen begann, in regelmäßiger Drehung seines Christuskopfes von Mara, die seine Worte übersetzte, zu den Arbeitern: „Meine Herren!" Mara schüttelte befremdet den Kopf und schwieg abwartend. Aber der Maler wiederholte mit vielsagendem Nachdruck: „Meine Herren, hören Sie mich an!" Widerstrebend übersetzte Mara die Worte, so unpassend sie ihr schienen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/50>, abgerufen am 20.10.2024.