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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Nach den Posener Rcnsertagen

darauf gerichtete Bedürfnis der deutschen Patrioten in der Ostmark nicht unter¬
schätzen und vernachlässigen. Aber wenn das Fest vorüber ist und die Alltags¬
stimmung wieder ihr Recht fordert, dann melden sich die betrachtenden Stimmen,
die das politische Ergebnis feststellen wollen und hierbei nicht immer genügend
auseinanderhalten, was dem Gesühlsbedürfnis und dem Augenblick, und was
der Welt der politisch zu bewertenden Tatsachen zuzuweisen ist. Strenge Prüfung
ist aber hier um so notwendiger, als es sehr leicht geschehen kann, daß -- sei
es in gutem Glauben, sei es mit parteipolitischer Hintergedanken -- unter dem
erhebenden Eindruck der Festberichte politische Gedankengänge eingeschmuggelt
werden können, die als einleuchtende Folgerungen unbezweifelter Voraussetzungen
erscheinen, in Wahrheit aber nicht fester begründet sind als ein nachlässig ohne
Fundament errichtetes Bauwerk auf Flugsand und Moorboden. Darum kann
ein offenes Wort nicht umgangen werden. Von Herzen zu gönnen sind den
Deutschen in der Provinz Posen die begeisternden und ermutigenden Eindrücke,
die sich aus der Anwesenheit des Kaisers in Posen ergaben; nicht im geringsten
herabstimmen oder unterschätzen wollen wir den Wert der treugemeinten Huldi¬
gungen, in denen unsere Ostmark ihrem angestammten Herrscher so gut und so
ehrlich wie manche ältere Provinz des preußischen Staates zujubelte. Aber
wenn man die allen diesen Dingen fernerstehenden Landsleute im Reich hier
glauben machen will, als ob jetzt im Osten wirklich eine Wendung zum
Besseren eingetreten oder wenigstens die Möglichkeit besserer Zeiten eröffnet sei.
so müssen wir auf die Frage, ob das richtig ist, mit einem ehrlichen und festen
"Nein!" antworten. Im Gegenteil ist die Befürchtung nicht von der Hand zu
weisen, daß der jetzige schwächliche und kurzsichtige Kurs der preußischen Staats¬
regierung in der Polenpolitik aus den Eindrücken der Posener Kaisertage eine
Rechtfertigung entnehmen wird.

Unsere nationale Presse hat zwar nach Kräften ihre Schuldigkeit getan und
scharf und nachdrücklich die bezeichnenden Erscheinungen in dem Verhalten der
Polen in das rechte Licht gerückt, vor allem die Nichtbeteiligung der polnischen
Stadtverordneten an der Ehrung des Kaisers und die unverschämte Sprache der
polnischen Presse, die sich in Gehässigkeit und Feindseligkeit nicht etwa nur gegen
die Regierung und die herrschende Politik, sondern gegen den preußischen Staat
selbst überbot. Aber in einzelnen Blättern, die großen Wert darauf legen, zu
den nationalen gezählt zu werden, läßt man doch schon -- freilich noch ver"
schämt und gleichsam tastend -- von Zeit zu Zeit das Wort "Versöhnung"
wieder anklingen, und man erkennt bereits deutlich, daß bestimmte politische
Kreise für ein neues Programm Stimmung machen wollen, das sich etwa in
folgender Weise kennzeichnen läßt: Zunächst betont man sehr lebhaft, daß man
sich in energischer Hochhaltung des Deutschtums in der Ostmark von niemand
beschämen und übertreffen läßt, man will also für das Deutschtum kämpfen;,
nur dürfen freilich dem Kämpfer daraus keine Nachteile entstehen. Solche Nach¬
teile werden aber durch die Schärfe der Gegensätze, die eine stramme nationale


Nach den Posener Rcnsertagen

darauf gerichtete Bedürfnis der deutschen Patrioten in der Ostmark nicht unter¬
schätzen und vernachlässigen. Aber wenn das Fest vorüber ist und die Alltags¬
stimmung wieder ihr Recht fordert, dann melden sich die betrachtenden Stimmen,
die das politische Ergebnis feststellen wollen und hierbei nicht immer genügend
auseinanderhalten, was dem Gesühlsbedürfnis und dem Augenblick, und was
der Welt der politisch zu bewertenden Tatsachen zuzuweisen ist. Strenge Prüfung
ist aber hier um so notwendiger, als es sehr leicht geschehen kann, daß — sei
es in gutem Glauben, sei es mit parteipolitischer Hintergedanken — unter dem
erhebenden Eindruck der Festberichte politische Gedankengänge eingeschmuggelt
werden können, die als einleuchtende Folgerungen unbezweifelter Voraussetzungen
erscheinen, in Wahrheit aber nicht fester begründet sind als ein nachlässig ohne
Fundament errichtetes Bauwerk auf Flugsand und Moorboden. Darum kann
ein offenes Wort nicht umgangen werden. Von Herzen zu gönnen sind den
Deutschen in der Provinz Posen die begeisternden und ermutigenden Eindrücke,
die sich aus der Anwesenheit des Kaisers in Posen ergaben; nicht im geringsten
herabstimmen oder unterschätzen wollen wir den Wert der treugemeinten Huldi¬
gungen, in denen unsere Ostmark ihrem angestammten Herrscher so gut und so
ehrlich wie manche ältere Provinz des preußischen Staates zujubelte. Aber
wenn man die allen diesen Dingen fernerstehenden Landsleute im Reich hier
glauben machen will, als ob jetzt im Osten wirklich eine Wendung zum
Besseren eingetreten oder wenigstens die Möglichkeit besserer Zeiten eröffnet sei.
so müssen wir auf die Frage, ob das richtig ist, mit einem ehrlichen und festen
„Nein!" antworten. Im Gegenteil ist die Befürchtung nicht von der Hand zu
weisen, daß der jetzige schwächliche und kurzsichtige Kurs der preußischen Staats¬
regierung in der Polenpolitik aus den Eindrücken der Posener Kaisertage eine
Rechtfertigung entnehmen wird.

Unsere nationale Presse hat zwar nach Kräften ihre Schuldigkeit getan und
scharf und nachdrücklich die bezeichnenden Erscheinungen in dem Verhalten der
Polen in das rechte Licht gerückt, vor allem die Nichtbeteiligung der polnischen
Stadtverordneten an der Ehrung des Kaisers und die unverschämte Sprache der
polnischen Presse, die sich in Gehässigkeit und Feindseligkeit nicht etwa nur gegen
die Regierung und die herrschende Politik, sondern gegen den preußischen Staat
selbst überbot. Aber in einzelnen Blättern, die großen Wert darauf legen, zu
den nationalen gezählt zu werden, läßt man doch schon — freilich noch ver»
schämt und gleichsam tastend — von Zeit zu Zeit das Wort „Versöhnung"
wieder anklingen, und man erkennt bereits deutlich, daß bestimmte politische
Kreise für ein neues Programm Stimmung machen wollen, das sich etwa in
folgender Weise kennzeichnen läßt: Zunächst betont man sehr lebhaft, daß man
sich in energischer Hochhaltung des Deutschtums in der Ostmark von niemand
beschämen und übertreffen läßt, man will also für das Deutschtum kämpfen;,
nur dürfen freilich dem Kämpfer daraus keine Nachteile entstehen. Solche Nach¬
teile werden aber durch die Schärfe der Gegensätze, die eine stramme nationale


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[0494] Nach den Posener Rcnsertagen darauf gerichtete Bedürfnis der deutschen Patrioten in der Ostmark nicht unter¬ schätzen und vernachlässigen. Aber wenn das Fest vorüber ist und die Alltags¬ stimmung wieder ihr Recht fordert, dann melden sich die betrachtenden Stimmen, die das politische Ergebnis feststellen wollen und hierbei nicht immer genügend auseinanderhalten, was dem Gesühlsbedürfnis und dem Augenblick, und was der Welt der politisch zu bewertenden Tatsachen zuzuweisen ist. Strenge Prüfung ist aber hier um so notwendiger, als es sehr leicht geschehen kann, daß — sei es in gutem Glauben, sei es mit parteipolitischer Hintergedanken — unter dem erhebenden Eindruck der Festberichte politische Gedankengänge eingeschmuggelt werden können, die als einleuchtende Folgerungen unbezweifelter Voraussetzungen erscheinen, in Wahrheit aber nicht fester begründet sind als ein nachlässig ohne Fundament errichtetes Bauwerk auf Flugsand und Moorboden. Darum kann ein offenes Wort nicht umgangen werden. Von Herzen zu gönnen sind den Deutschen in der Provinz Posen die begeisternden und ermutigenden Eindrücke, die sich aus der Anwesenheit des Kaisers in Posen ergaben; nicht im geringsten herabstimmen oder unterschätzen wollen wir den Wert der treugemeinten Huldi¬ gungen, in denen unsere Ostmark ihrem angestammten Herrscher so gut und so ehrlich wie manche ältere Provinz des preußischen Staates zujubelte. Aber wenn man die allen diesen Dingen fernerstehenden Landsleute im Reich hier glauben machen will, als ob jetzt im Osten wirklich eine Wendung zum Besseren eingetreten oder wenigstens die Möglichkeit besserer Zeiten eröffnet sei. so müssen wir auf die Frage, ob das richtig ist, mit einem ehrlichen und festen „Nein!" antworten. Im Gegenteil ist die Befürchtung nicht von der Hand zu weisen, daß der jetzige schwächliche und kurzsichtige Kurs der preußischen Staats¬ regierung in der Polenpolitik aus den Eindrücken der Posener Kaisertage eine Rechtfertigung entnehmen wird. Unsere nationale Presse hat zwar nach Kräften ihre Schuldigkeit getan und scharf und nachdrücklich die bezeichnenden Erscheinungen in dem Verhalten der Polen in das rechte Licht gerückt, vor allem die Nichtbeteiligung der polnischen Stadtverordneten an der Ehrung des Kaisers und die unverschämte Sprache der polnischen Presse, die sich in Gehässigkeit und Feindseligkeit nicht etwa nur gegen die Regierung und die herrschende Politik, sondern gegen den preußischen Staat selbst überbot. Aber in einzelnen Blättern, die großen Wert darauf legen, zu den nationalen gezählt zu werden, läßt man doch schon — freilich noch ver» schämt und gleichsam tastend — von Zeit zu Zeit das Wort „Versöhnung" wieder anklingen, und man erkennt bereits deutlich, daß bestimmte politische Kreise für ein neues Programm Stimmung machen wollen, das sich etwa in folgender Weise kennzeichnen läßt: Zunächst betont man sehr lebhaft, daß man sich in energischer Hochhaltung des Deutschtums in der Ostmark von niemand beschämen und übertreffen läßt, man will also für das Deutschtum kämpfen;, nur dürfen freilich dem Kämpfer daraus keine Nachteile entstehen. Solche Nach¬ teile werden aber durch die Schärfe der Gegensätze, die eine stramme nationale

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/494>, abgerufen am 28.12.2024.