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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Sturm

"Ach -- die .büßende Magdalena' aus Papas Arbeitszimmer," rief Mara.
"Ich sollte sie damals verbrennen, Tante Emerenzia, aber es tat mir um der
traurigen Augen willen leid," entschuldigte sie sich.

"Und die schamlose Nudität, siehst du die nicht?"

Die Gräfin entriß dem Maler das Bild und schlug mit dem Rücken der
Hand erregt mitten darauf. In zwei Teile geborsten, fiel es krachend zur Erde.
Madelung stieß einen Wehlaut aus und beugte sich hastig über die Trümmer.
Aber er beherrschte sich ebenso rasch und nahm wieder die gleichmütige Miene
an, die ihm eigen war.

Gräfin Emerenzia lachte hart auf: "So ist es recht! Brennholz -- fort da¬
mit ins Feuer!" Der Maler stellte die beiden Teile mit einer für Brennholz
wenig angebrachten Fürsorge an die Wand. "Ich werde das Ärgernis beiseite
schaffen," sagte er. Seine Hoffnung auf eine Gelegenheit, es in seinem und
nicht in der Gräfin Schildberg Sinne zu tun, erfüllte sich bale>.

Laute Stimmen, die vom Hof heraufschallten, veranlaßten Mara, ans
Fenster zu treten.

"Mein Gott, was mag das wieder sein?" Die Baronin lebte in ständiger
Angst vor irgendeinem neuen Unheil, so daß sie sich am liebsten den ganzen
Tag in ihrem Zimmer eingesperrt hätte.

"Richtig!" sagte Madelung. "Ich erfuhr heute durch den Schullehrer
Kuren, daß die Brennereiarbeiter in eine Lohnbewegung eintreten wollen. Sie
verlangen zwanzig Kopeken mehr. Vielleicht bewilligen Sie ihnen das? Es
sind ja nur fünf Rubel im Monat ..."

"Fünfzig Rubel. Herr Madelung!" rief Gräfin Emerenzia scharf. "Es
handelt sich um zehn Arbeiter und wofür das viele Geld? Weil sie ein
Nahrungsmittel in Gift verwandeln I Ich bin entschieden dagegen -- lieber soll
man die Fabrik schließen!"

"Nein, nein -- um Gottes Willen nicht!" wimmerte die Baronin. "Lieber
gibt man ihnen was sie wollen. Nur sollen sie mich in Ruhe lassen. Ruf
den Maddis, Mara!" Madelung näherte sich der Gräfin Schildberg: "Ich
bin im Grunde Ihrer Meinung, Frau Gräfin. Und mir ist eine gute Lösung
eingefallen: statt Lohnzulage sollte man den Leuten Land geben. Es ist noch
genug da auf Bortull, was bebaut werden könnte, Moor und Heide, aus denen
fruchtbarer Boden zu machen ist. Man sollte es den Leuten vorschlagen!"

"Vorschlagen? Da kämen Sie nicht weit. Befehlen muß man es ihnen!
Aber ich geben Ihnen recht, Herr Madelung. daß dies wirklich die beste Lösung
ist." Sir wandte sich an ihre Schwester: "Du solltest Herrn Madelung Voll¬
macht geben, mit den Leuten zu verhandeln."

"Ach -- Herr Madelung kann doch kein Estnisch!" Die Baronin lehnte
unwillig ab.

"Oh -- das soll kein Hindernis sein. Mit dem Lehrer verstehe ich mich
recht gut. Er kann meine Worte übersetzen."


Sturm

„Ach — die .büßende Magdalena' aus Papas Arbeitszimmer," rief Mara.
„Ich sollte sie damals verbrennen, Tante Emerenzia, aber es tat mir um der
traurigen Augen willen leid," entschuldigte sie sich.

„Und die schamlose Nudität, siehst du die nicht?"

Die Gräfin entriß dem Maler das Bild und schlug mit dem Rücken der
Hand erregt mitten darauf. In zwei Teile geborsten, fiel es krachend zur Erde.
Madelung stieß einen Wehlaut aus und beugte sich hastig über die Trümmer.
Aber er beherrschte sich ebenso rasch und nahm wieder die gleichmütige Miene
an, die ihm eigen war.

Gräfin Emerenzia lachte hart auf: „So ist es recht! Brennholz — fort da¬
mit ins Feuer!" Der Maler stellte die beiden Teile mit einer für Brennholz
wenig angebrachten Fürsorge an die Wand. „Ich werde das Ärgernis beiseite
schaffen," sagte er. Seine Hoffnung auf eine Gelegenheit, es in seinem und
nicht in der Gräfin Schildberg Sinne zu tun, erfüllte sich bale>.

Laute Stimmen, die vom Hof heraufschallten, veranlaßten Mara, ans
Fenster zu treten.

„Mein Gott, was mag das wieder sein?" Die Baronin lebte in ständiger
Angst vor irgendeinem neuen Unheil, so daß sie sich am liebsten den ganzen
Tag in ihrem Zimmer eingesperrt hätte.

„Richtig!" sagte Madelung. „Ich erfuhr heute durch den Schullehrer
Kuren, daß die Brennereiarbeiter in eine Lohnbewegung eintreten wollen. Sie
verlangen zwanzig Kopeken mehr. Vielleicht bewilligen Sie ihnen das? Es
sind ja nur fünf Rubel im Monat ..."

„Fünfzig Rubel. Herr Madelung!" rief Gräfin Emerenzia scharf. „Es
handelt sich um zehn Arbeiter und wofür das viele Geld? Weil sie ein
Nahrungsmittel in Gift verwandeln I Ich bin entschieden dagegen — lieber soll
man die Fabrik schließen!"

„Nein, nein — um Gottes Willen nicht!" wimmerte die Baronin. „Lieber
gibt man ihnen was sie wollen. Nur sollen sie mich in Ruhe lassen. Ruf
den Maddis, Mara!" Madelung näherte sich der Gräfin Schildberg: „Ich
bin im Grunde Ihrer Meinung, Frau Gräfin. Und mir ist eine gute Lösung
eingefallen: statt Lohnzulage sollte man den Leuten Land geben. Es ist noch
genug da auf Bortull, was bebaut werden könnte, Moor und Heide, aus denen
fruchtbarer Boden zu machen ist. Man sollte es den Leuten vorschlagen!"

„Vorschlagen? Da kämen Sie nicht weit. Befehlen muß man es ihnen!
Aber ich geben Ihnen recht, Herr Madelung. daß dies wirklich die beste Lösung
ist." Sir wandte sich an ihre Schwester: „Du solltest Herrn Madelung Voll¬
macht geben, mit den Leuten zu verhandeln."

„Ach — Herr Madelung kann doch kein Estnisch!" Die Baronin lehnte
unwillig ab.

„Oh — das soll kein Hindernis sein. Mit dem Lehrer verstehe ich mich
recht gut. Er kann meine Worte übersetzen."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/49>, abgerufen am 28.12.2024.