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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Sturm

"Sie kommen aufs Sofa" verlangte Edles, "Sie Habens am nötigsten,
Paul! Was haben Sie nicht alles durchgemacht: erst die lange Reise ohne
Aufenthalt, dann Überfall und Gefangenschaft. Und hier erst dieser Schrecken!"

"Und Sie. Edles? Vorgestern eine Schlacht, ein Toter im Hause, dann
Waldbrand und nun hier ein stundenlanges Samariterwerk. . ."

So überboten sie sich in gegenseitiger Bewunderung und Fürsorge.

"Es bleibt nichts übrig, als daß wir uns beide aufs Sofa setzen," sagte
schließlich Edles und lehnte sich wohlig in das alte Leder zurück.

So saßen sie, jeder in seiner Ecke. Kirschs verbeulte Messingkanne dampfte
vor ihnen auf der rissigen Wachstuchdecke, und im Schein der Petroleumlampe
leuchtete das derbe Bauerngeschirr in grellen Farben.

Edles lachte auf. Sie hatte den Spruch ihrer Tasse entziffert und schob
sie zu Paul hinüber: "Das paßt besser für Sie, Vetter:

las sie vor. Es war eine altmodische Schale mit einem sogenannten Bartschutz.

"Dann tauschen wir!" sagte Paul, von Ediths guter Laune angesteckt. Im
Hinüberschieben erst buchstabierte er den Spruch, der in verschnörkelten Gold¬
lettern auf den Tassenkovf gemalt war: "Mein -- Herz -- ist -- dein!"- und
plötzlich wurde er rot vor Verlegenheit und, um sie zu verbergen, griff er hastig
nach der Kaffeekanne. Mit der gleichen Bewegung wollte Edles ihre Verwirrung
verdecken. Ihre Hände stießen zusammen, fuhren auseinander, die Kaffeekanne
kippte, die Hände griffen danach, retteten die Bedrohte und -- blieben bei¬
einander.

"Das haben Sie wieder mal gutgemacht, Kamerad!" sagte Paul von
der Borke und wußte mit einem Male ein besseres Mittel, seine Röte zu ver¬
bergen. Er beugte sich über die Hand, die er hielt und küßte sie lange. AIs
er wieder aufblickte, sah er in zwei lachende Augen:

"Kamerad -- und Sie?"

"Im Herzen längst -- Du!" sagte Paul und zog Edles in seine Arme.

(Fortsetzung folgt)




Sturm

„Sie kommen aufs Sofa" verlangte Edles, „Sie Habens am nötigsten,
Paul! Was haben Sie nicht alles durchgemacht: erst die lange Reise ohne
Aufenthalt, dann Überfall und Gefangenschaft. Und hier erst dieser Schrecken!"

„Und Sie. Edles? Vorgestern eine Schlacht, ein Toter im Hause, dann
Waldbrand und nun hier ein stundenlanges Samariterwerk. . ."

So überboten sie sich in gegenseitiger Bewunderung und Fürsorge.

„Es bleibt nichts übrig, als daß wir uns beide aufs Sofa setzen," sagte
schließlich Edles und lehnte sich wohlig in das alte Leder zurück.

So saßen sie, jeder in seiner Ecke. Kirschs verbeulte Messingkanne dampfte
vor ihnen auf der rissigen Wachstuchdecke, und im Schein der Petroleumlampe
leuchtete das derbe Bauerngeschirr in grellen Farben.

Edles lachte auf. Sie hatte den Spruch ihrer Tasse entziffert und schob
sie zu Paul hinüber: „Das paßt besser für Sie, Vetter:

las sie vor. Es war eine altmodische Schale mit einem sogenannten Bartschutz.

„Dann tauschen wir!" sagte Paul, von Ediths guter Laune angesteckt. Im
Hinüberschieben erst buchstabierte er den Spruch, der in verschnörkelten Gold¬
lettern auf den Tassenkovf gemalt war: „Mein — Herz — ist — dein!"- und
plötzlich wurde er rot vor Verlegenheit und, um sie zu verbergen, griff er hastig
nach der Kaffeekanne. Mit der gleichen Bewegung wollte Edles ihre Verwirrung
verdecken. Ihre Hände stießen zusammen, fuhren auseinander, die Kaffeekanne
kippte, die Hände griffen danach, retteten die Bedrohte und — blieben bei¬
einander.

„Das haben Sie wieder mal gutgemacht, Kamerad!" sagte Paul von
der Borke und wußte mit einem Male ein besseres Mittel, seine Röte zu ver¬
bergen. Er beugte sich über die Hand, die er hielt und küßte sie lange. AIs
er wieder aufblickte, sah er in zwei lachende Augen:

„Kamerad — und Sie?"

„Im Herzen längst — Du!" sagte Paul und zog Edles in seine Arme.

(Fortsetzung folgt)




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[0483] Sturm „Sie kommen aufs Sofa" verlangte Edles, „Sie Habens am nötigsten, Paul! Was haben Sie nicht alles durchgemacht: erst die lange Reise ohne Aufenthalt, dann Überfall und Gefangenschaft. Und hier erst dieser Schrecken!" „Und Sie. Edles? Vorgestern eine Schlacht, ein Toter im Hause, dann Waldbrand und nun hier ein stundenlanges Samariterwerk. . ." So überboten sie sich in gegenseitiger Bewunderung und Fürsorge. „Es bleibt nichts übrig, als daß wir uns beide aufs Sofa setzen," sagte schließlich Edles und lehnte sich wohlig in das alte Leder zurück. So saßen sie, jeder in seiner Ecke. Kirschs verbeulte Messingkanne dampfte vor ihnen auf der rissigen Wachstuchdecke, und im Schein der Petroleumlampe leuchtete das derbe Bauerngeschirr in grellen Farben. Edles lachte auf. Sie hatte den Spruch ihrer Tasse entziffert und schob sie zu Paul hinüber: „Das paßt besser für Sie, Vetter: las sie vor. Es war eine altmodische Schale mit einem sogenannten Bartschutz. „Dann tauschen wir!" sagte Paul, von Ediths guter Laune angesteckt. Im Hinüberschieben erst buchstabierte er den Spruch, der in verschnörkelten Gold¬ lettern auf den Tassenkovf gemalt war: „Mein — Herz — ist — dein!"- und plötzlich wurde er rot vor Verlegenheit und, um sie zu verbergen, griff er hastig nach der Kaffeekanne. Mit der gleichen Bewegung wollte Edles ihre Verwirrung verdecken. Ihre Hände stießen zusammen, fuhren auseinander, die Kaffeekanne kippte, die Hände griffen danach, retteten die Bedrohte und — blieben bei¬ einander. „Das haben Sie wieder mal gutgemacht, Kamerad!" sagte Paul von der Borke und wußte mit einem Male ein besseres Mittel, seine Röte zu ver¬ bergen. Er beugte sich über die Hand, die er hielt und küßte sie lange. AIs er wieder aufblickte, sah er in zwei lachende Augen: „Kamerad — und Sie?" „Im Herzen längst — Du!" sagte Paul und zog Edles in seine Arme. (Fortsetzung folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/483>, abgerufen am 19.10.2024.