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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Sturm

"Ich hab' ihm nie recht getraut!" zeterte die Gräfin Emerenzia. Sie
glaubte der Verwalter sei mit der ganzen Hnpothekensumme durchgegangen und
machte die Vertrauensseligkeit der Borkes für ihren Verlust verantwortlich.

"Hätte ich doch niemals meinen Fuß hierher gesetzt! Wie friedlich hätte
ich in Reval leben können von dem Tage an, als ich meinen Theodor begraben
mußte. Borküll ist eine Unglücksstätte. Das war auch damals Mamas
Meinung. Ich höre noch ihre warnende Stimme, als Borke um dich an¬
gehalten hatte, Clementine. Ohne Gottesfurcht und Sittlichkeit leben sie noch
heute nur für die Welt und den Genuß, die Borkes. Verspottet nicht dein
eigen Fleisch und Blut unseren teuren Glauben? Steht Paul nicht in aller
Öffentlichkeit auf feiten der Gottesfeinde! Dabei bin ich seine Taufmutter."

Die füllige Dame schüttelte sich voller Entsetzen.

"Aber Tante," warf Mara lachend ein. "Pauls Schriften mit ihren
lateinischen Titeln sind ja nur für die Gelehrten geschrieben. Du selbst ver¬
stehst ja kein Wort davon!"

"Aber ich kenne seinen Standpunkt. Und ist nicht die eine seiner Schriften
Häckel gewidmet, diesem unverschämten Menschen, der behauptet, wir stammen
von Tieren ab? Lächerlich! Hier in meinem tiefsten Innern --," sie schlug
sich auf den hochgeschnürten Busen -- "lebt das Bewußtsein der göttlichen Ab¬
stammung. Aber natürlich die Bibel, Gottes köstliches Wort, ist abgetan und
vergessen. Und nur Satans Stimme wird gehört. Alle miteinander seid ihr
verführt. Wolff Joachim in seinem Sündenbabel ebenso rettungslos wie du
bei deinen modernen Büchern!"

Mara zuckte die Achseln. Baronin Clementine aber sagte: "Von Wolff
Joachim habe ich noch nie derartiges gehört. Und wenn er hier ist, versäumt
er es nie, zur Kirche zu gehen."

"Als ob es damit abgetan wäre! In eurer Kirche befindet sich mehr
Spreu als Weizen. Beim wahren Christen sind die geheimsten Gedanken, die
geringsten Taten vom Geist des Herrn erfüllt. Sieh uns an in unserer Ge¬
meinschaft ..."

Geräuschlos öffnete sich die Tür des kleinen Salons, in dem die Damen
in dieser Nachmittagsstunde saßen, und in bescheidener Haltung trat der Maler
ein. In der Hand trug er ein rahmenloses, verstaubtes Bild, das auf eine
etwas verbogene Holztafel gemalt war. Heute hatten seine gewöhnlich blassen
Backen rote Flecken, seine Hände zitterten leicht, und ebenso verriet auch seine
Stimme eine ungewöhnliche Erregung.

"Ich habe von Ihrer Erlaubnis Gebrauch gemacht. Frau Gräfin, und mich
auf dem Boden umgesehen."

"Was haben Sie da für ein altes Brett?"

"Ja, es ist ein Bild, das mich als Maler interessiert. Die Kopie irgend¬
eines Niederländers ..."


Sturm

„Ich hab' ihm nie recht getraut!" zeterte die Gräfin Emerenzia. Sie
glaubte der Verwalter sei mit der ganzen Hnpothekensumme durchgegangen und
machte die Vertrauensseligkeit der Borkes für ihren Verlust verantwortlich.

„Hätte ich doch niemals meinen Fuß hierher gesetzt! Wie friedlich hätte
ich in Reval leben können von dem Tage an, als ich meinen Theodor begraben
mußte. Borküll ist eine Unglücksstätte. Das war auch damals Mamas
Meinung. Ich höre noch ihre warnende Stimme, als Borke um dich an¬
gehalten hatte, Clementine. Ohne Gottesfurcht und Sittlichkeit leben sie noch
heute nur für die Welt und den Genuß, die Borkes. Verspottet nicht dein
eigen Fleisch und Blut unseren teuren Glauben? Steht Paul nicht in aller
Öffentlichkeit auf feiten der Gottesfeinde! Dabei bin ich seine Taufmutter."

Die füllige Dame schüttelte sich voller Entsetzen.

„Aber Tante," warf Mara lachend ein. „Pauls Schriften mit ihren
lateinischen Titeln sind ja nur für die Gelehrten geschrieben. Du selbst ver¬
stehst ja kein Wort davon!"

„Aber ich kenne seinen Standpunkt. Und ist nicht die eine seiner Schriften
Häckel gewidmet, diesem unverschämten Menschen, der behauptet, wir stammen
von Tieren ab? Lächerlich! Hier in meinem tiefsten Innern —," sie schlug
sich auf den hochgeschnürten Busen — „lebt das Bewußtsein der göttlichen Ab¬
stammung. Aber natürlich die Bibel, Gottes köstliches Wort, ist abgetan und
vergessen. Und nur Satans Stimme wird gehört. Alle miteinander seid ihr
verführt. Wolff Joachim in seinem Sündenbabel ebenso rettungslos wie du
bei deinen modernen Büchern!"

Mara zuckte die Achseln. Baronin Clementine aber sagte: „Von Wolff
Joachim habe ich noch nie derartiges gehört. Und wenn er hier ist, versäumt
er es nie, zur Kirche zu gehen."

„Als ob es damit abgetan wäre! In eurer Kirche befindet sich mehr
Spreu als Weizen. Beim wahren Christen sind die geheimsten Gedanken, die
geringsten Taten vom Geist des Herrn erfüllt. Sieh uns an in unserer Ge¬
meinschaft ..."

Geräuschlos öffnete sich die Tür des kleinen Salons, in dem die Damen
in dieser Nachmittagsstunde saßen, und in bescheidener Haltung trat der Maler
ein. In der Hand trug er ein rahmenloses, verstaubtes Bild, das auf eine
etwas verbogene Holztafel gemalt war. Heute hatten seine gewöhnlich blassen
Backen rote Flecken, seine Hände zitterten leicht, und ebenso verriet auch seine
Stimme eine ungewöhnliche Erregung.

„Ich habe von Ihrer Erlaubnis Gebrauch gemacht. Frau Gräfin, und mich
auf dem Boden umgesehen."

„Was haben Sie da für ein altes Brett?"

„Ja, es ist ein Bild, das mich als Maler interessiert. Die Kopie irgend¬
eines Niederländers ..."


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[0048] Sturm „Ich hab' ihm nie recht getraut!" zeterte die Gräfin Emerenzia. Sie glaubte der Verwalter sei mit der ganzen Hnpothekensumme durchgegangen und machte die Vertrauensseligkeit der Borkes für ihren Verlust verantwortlich. „Hätte ich doch niemals meinen Fuß hierher gesetzt! Wie friedlich hätte ich in Reval leben können von dem Tage an, als ich meinen Theodor begraben mußte. Borküll ist eine Unglücksstätte. Das war auch damals Mamas Meinung. Ich höre noch ihre warnende Stimme, als Borke um dich an¬ gehalten hatte, Clementine. Ohne Gottesfurcht und Sittlichkeit leben sie noch heute nur für die Welt und den Genuß, die Borkes. Verspottet nicht dein eigen Fleisch und Blut unseren teuren Glauben? Steht Paul nicht in aller Öffentlichkeit auf feiten der Gottesfeinde! Dabei bin ich seine Taufmutter." Die füllige Dame schüttelte sich voller Entsetzen. „Aber Tante," warf Mara lachend ein. „Pauls Schriften mit ihren lateinischen Titeln sind ja nur für die Gelehrten geschrieben. Du selbst ver¬ stehst ja kein Wort davon!" „Aber ich kenne seinen Standpunkt. Und ist nicht die eine seiner Schriften Häckel gewidmet, diesem unverschämten Menschen, der behauptet, wir stammen von Tieren ab? Lächerlich! Hier in meinem tiefsten Innern —," sie schlug sich auf den hochgeschnürten Busen — „lebt das Bewußtsein der göttlichen Ab¬ stammung. Aber natürlich die Bibel, Gottes köstliches Wort, ist abgetan und vergessen. Und nur Satans Stimme wird gehört. Alle miteinander seid ihr verführt. Wolff Joachim in seinem Sündenbabel ebenso rettungslos wie du bei deinen modernen Büchern!" Mara zuckte die Achseln. Baronin Clementine aber sagte: „Von Wolff Joachim habe ich noch nie derartiges gehört. Und wenn er hier ist, versäumt er es nie, zur Kirche zu gehen." „Als ob es damit abgetan wäre! In eurer Kirche befindet sich mehr Spreu als Weizen. Beim wahren Christen sind die geheimsten Gedanken, die geringsten Taten vom Geist des Herrn erfüllt. Sieh uns an in unserer Ge¬ meinschaft ..." Geräuschlos öffnete sich die Tür des kleinen Salons, in dem die Damen in dieser Nachmittagsstunde saßen, und in bescheidener Haltung trat der Maler ein. In der Hand trug er ein rahmenloses, verstaubtes Bild, das auf eine etwas verbogene Holztafel gemalt war. Heute hatten seine gewöhnlich blassen Backen rote Flecken, seine Hände zitterten leicht, und ebenso verriet auch seine Stimme eine ungewöhnliche Erregung. „Ich habe von Ihrer Erlaubnis Gebrauch gemacht. Frau Gräfin, und mich auf dem Boden umgesehen." „Was haben Sie da für ein altes Brett?" „Ja, es ist ein Bild, das mich als Maler interessiert. Die Kopie irgend¬ eines Niederländers ..."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/48>, abgerufen am 19.10.2024.