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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Sturm

Er schob seinen Kopf vorsichtig durch die Tür und lugte in den Saal. In
seiner Mitte war die Leiche des Försters aufgebahrt. In hohen Kandelabern
brannten viele Lichter zu beiden Seiten und strahlten über eine Fülle grüner
Pflanzen und bunter Blumen. Evi schien es immer noch nicht genug. Einen
mit Astern gefüllten Korb neben sich, stand sie und schmückte die Bahre. In
ihrem langen schwarzen Kleid und ihrem bleichen Gesicht sah sie um viele Jahre
älter aus.

Erst als Maddis sich räusperte, blickte sie auf, so war sie in ihre Arbeit
versunken.

"Gnädiges Fräulein Evi," er kam mit flehend ausgestreckten Armen näher:
"Alles ans bei uns: Borküll brennt, Barone gefangen, vielleicht schon tot. ."

Evi strich sich über die Stirn, als erwachte sie aus einem Traum. Dann
ließ sie die Blumen fallen. Die Not der Stunde rüttelte sie auf.

"Borküll brennt? Die Barone sind tot?" Sie lief ins Nebenzimmer und
rief: "Edles, Ebbal Kommt schnell!"

Die Fragen der drei Schwestern überstürzten sich, und ehe der alte Maddis
noch zur Besinnung kam, hatten sie sür ihn gehandelt:

"Ich hole sie!" Ezith flog in den Stall, wo mehrere Pferde gesattelt
standen und sprengte nach wenigen Minuten vom Hof.

Edda rang die Hände: "Nun müssen sie gerade alle fort sein: der Vater,
die Junker, die Dragoner. Es brennt an der Rosenhofer Grenze. Der ganze
Forst ist in Gefahr, wenn der Wind umschlägt. Sie hauen Bäume um und
werfen Gräben auf. Aber sagt doch, Maddis -- sprich doch -- wo war Wolff
Joachim, als ihr wegführt? Er hat sich sicher gerettet. . .?"

"Ach Freileinchen, wenn er man hat können. . . ." Der Alte heulte in
sein Taschentuch hinein.

"MaddisI" Edda faßte ihn beim Arm. "Du mußt mit mir kommen --
wir reiten sofort. Vielleicht ist es noch nicht zu spät!"

Damit zog sie den Alten die Treppe hinunter in den Stall.

"Nicht erst den Damensattel!" rief sie dem Knecht zu. "Hilf Maddis
lieber!" Und entschlossen schwang sie sich aufs Pferd.

Wie eine Amazone saß sie im Sattel und nie in ihrem Leben hatte sie so
schön ausgesehen, wie jetzt, da die Liebe all ihr Leid und alle Gefahr ver¬
gessen ließ.

Beim Borküller Krug wurde Maddis von zwei Junkern überholt. Er hing
mehr auf dem Pferd, als daß er ritt.

"Is längst dort!" stammelte er auf Burkhards erregte Frage nach Edda
und wies in die Richtung des Feuerscheins. Sie sprengten weiter.

Edles voran näherten sich die anderen Junker. Dem jungen Mädchen
klangen noch die zornigen Wortendes Vaters im Ohr: "Seid ihr von Sinnen?
Soll ich alle meine Kinder verlieren?" Zum erstenmal kam ihr eine Ahnung,
welcher Sinn in diesen Worten verborgen lag. Die Dragoner waren die letzten.


Sturm

Er schob seinen Kopf vorsichtig durch die Tür und lugte in den Saal. In
seiner Mitte war die Leiche des Försters aufgebahrt. In hohen Kandelabern
brannten viele Lichter zu beiden Seiten und strahlten über eine Fülle grüner
Pflanzen und bunter Blumen. Evi schien es immer noch nicht genug. Einen
mit Astern gefüllten Korb neben sich, stand sie und schmückte die Bahre. In
ihrem langen schwarzen Kleid und ihrem bleichen Gesicht sah sie um viele Jahre
älter aus.

Erst als Maddis sich räusperte, blickte sie auf, so war sie in ihre Arbeit
versunken.

„Gnädiges Fräulein Evi," er kam mit flehend ausgestreckten Armen näher:
„Alles ans bei uns: Borküll brennt, Barone gefangen, vielleicht schon tot. ."

Evi strich sich über die Stirn, als erwachte sie aus einem Traum. Dann
ließ sie die Blumen fallen. Die Not der Stunde rüttelte sie auf.

„Borküll brennt? Die Barone sind tot?" Sie lief ins Nebenzimmer und
rief: „Edles, Ebbal Kommt schnell!"

Die Fragen der drei Schwestern überstürzten sich, und ehe der alte Maddis
noch zur Besinnung kam, hatten sie sür ihn gehandelt:

„Ich hole sie!" Ezith flog in den Stall, wo mehrere Pferde gesattelt
standen und sprengte nach wenigen Minuten vom Hof.

Edda rang die Hände: „Nun müssen sie gerade alle fort sein: der Vater,
die Junker, die Dragoner. Es brennt an der Rosenhofer Grenze. Der ganze
Forst ist in Gefahr, wenn der Wind umschlägt. Sie hauen Bäume um und
werfen Gräben auf. Aber sagt doch, Maddis — sprich doch — wo war Wolff
Joachim, als ihr wegführt? Er hat sich sicher gerettet. . .?"

„Ach Freileinchen, wenn er man hat können. . . ." Der Alte heulte in
sein Taschentuch hinein.

„MaddisI" Edda faßte ihn beim Arm. „Du mußt mit mir kommen —
wir reiten sofort. Vielleicht ist es noch nicht zu spät!"

Damit zog sie den Alten die Treppe hinunter in den Stall.

„Nicht erst den Damensattel!" rief sie dem Knecht zu. „Hilf Maddis
lieber!" Und entschlossen schwang sie sich aufs Pferd.

Wie eine Amazone saß sie im Sattel und nie in ihrem Leben hatte sie so
schön ausgesehen, wie jetzt, da die Liebe all ihr Leid und alle Gefahr ver¬
gessen ließ.

Beim Borküller Krug wurde Maddis von zwei Junkern überholt. Er hing
mehr auf dem Pferd, als daß er ritt.

„Is längst dort!" stammelte er auf Burkhards erregte Frage nach Edda
und wies in die Richtung des Feuerscheins. Sie sprengten weiter.

Edles voran näherten sich die anderen Junker. Dem jungen Mädchen
klangen noch die zornigen Wortendes Vaters im Ohr: „Seid ihr von Sinnen?
Soll ich alle meine Kinder verlieren?" Zum erstenmal kam ihr eine Ahnung,
welcher Sinn in diesen Worten verborgen lag. Die Dragoner waren die letzten.


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[0478] Sturm Er schob seinen Kopf vorsichtig durch die Tür und lugte in den Saal. In seiner Mitte war die Leiche des Försters aufgebahrt. In hohen Kandelabern brannten viele Lichter zu beiden Seiten und strahlten über eine Fülle grüner Pflanzen und bunter Blumen. Evi schien es immer noch nicht genug. Einen mit Astern gefüllten Korb neben sich, stand sie und schmückte die Bahre. In ihrem langen schwarzen Kleid und ihrem bleichen Gesicht sah sie um viele Jahre älter aus. Erst als Maddis sich räusperte, blickte sie auf, so war sie in ihre Arbeit versunken. „Gnädiges Fräulein Evi," er kam mit flehend ausgestreckten Armen näher: „Alles ans bei uns: Borküll brennt, Barone gefangen, vielleicht schon tot. ." Evi strich sich über die Stirn, als erwachte sie aus einem Traum. Dann ließ sie die Blumen fallen. Die Not der Stunde rüttelte sie auf. „Borküll brennt? Die Barone sind tot?" Sie lief ins Nebenzimmer und rief: „Edles, Ebbal Kommt schnell!" Die Fragen der drei Schwestern überstürzten sich, und ehe der alte Maddis noch zur Besinnung kam, hatten sie sür ihn gehandelt: „Ich hole sie!" Ezith flog in den Stall, wo mehrere Pferde gesattelt standen und sprengte nach wenigen Minuten vom Hof. Edda rang die Hände: „Nun müssen sie gerade alle fort sein: der Vater, die Junker, die Dragoner. Es brennt an der Rosenhofer Grenze. Der ganze Forst ist in Gefahr, wenn der Wind umschlägt. Sie hauen Bäume um und werfen Gräben auf. Aber sagt doch, Maddis — sprich doch — wo war Wolff Joachim, als ihr wegführt? Er hat sich sicher gerettet. . .?" „Ach Freileinchen, wenn er man hat können. . . ." Der Alte heulte in sein Taschentuch hinein. „MaddisI" Edda faßte ihn beim Arm. „Du mußt mit mir kommen — wir reiten sofort. Vielleicht ist es noch nicht zu spät!" Damit zog sie den Alten die Treppe hinunter in den Stall. „Nicht erst den Damensattel!" rief sie dem Knecht zu. „Hilf Maddis lieber!" Und entschlossen schwang sie sich aufs Pferd. Wie eine Amazone saß sie im Sattel und nie in ihrem Leben hatte sie so schön ausgesehen, wie jetzt, da die Liebe all ihr Leid und alle Gefahr ver¬ gessen ließ. Beim Borküller Krug wurde Maddis von zwei Junkern überholt. Er hing mehr auf dem Pferd, als daß er ritt. „Is längst dort!" stammelte er auf Burkhards erregte Frage nach Edda und wies in die Richtung des Feuerscheins. Sie sprengten weiter. Edles voran näherten sich die anderen Junker. Dem jungen Mädchen klangen noch die zornigen Wortendes Vaters im Ohr: „Seid ihr von Sinnen? Soll ich alle meine Kinder verlieren?" Zum erstenmal kam ihr eine Ahnung, welcher Sinn in diesen Worten verborgen lag. Die Dragoner waren die letzten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/478>, abgerufen am 28.12.2024.