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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Ist Tierpsychologie möglich?

vollzieht, behauptet solche wissenschaftliche Tierpsychologie, das ist etwas, worüber
der Wissenschaft leine Aussage zustehen kann; sondern daß die erscheinenden
Handlungen der Tiere, also das Treten mit den Hufen, berechenbar und begreiflich
werden, wenn wir sie auffassen, als ob die Tiere in dem Sinne wie wir die
Aufgaben durch Wurzelziehen gelöst hätten. Hier haben wir einen Fall, wo
die von Vaihinger vertretene Philosophie des Als Ob mit Erfolg zur Lösung
eines Problems herangezogen werden kann; das Maß ihrer Tragweite ist in
den obigen Darlegungen gegeben.

Was nun die Exaktheit solcher Tierpsychologie anbetrifft, so ist mit der
Spannungsweite der biologischen Verwandtschaft zwischen irgendeiner Tierart
und den Menschen, erkennbar etwa am anatomischen Bau des Zentralnerven¬
systems usw., als Maßstab der Wahrscheinlichkeit des wirklichen Zutreffens solcher
Psychologie nichts anzufangen, da diese Wahrscheinlichkeit sich der mathematischen
Berechnung entzieht; wohl aber gibt uns das Experiment, das unter bestimmten
Bedingungen bestimmte Handlungen von Tieren erwartet und mehr oder weniger
genau eintreten steht (z. B. Häufigkeit des Versagens), einen Prüfstein für die
Sicherheit eines psychologischen Ordnungssystems, die sich damit auch der mathe¬
matischen Fehlerberechnung stellt.

Der Name Psychologie ist für eine so aufgefaßte Tierpsychologie nicht irre--
führender als bei der allgemeinen Menschenpsychologie, die durchaus nicht anders
verfährt. In diesem Sinne also ist Tierpsychologie nicht nur möglich, sondern
sogar exakter Wissenschaftlichkeit fähig; und so scheinen nur die gewiß noch sehr
unzulänglichen Versuche von Tierpsychologie Nachsicht, Aufmerksamkeit und För¬
derung zu verdienen.




Ist Tierpsychologie möglich?

vollzieht, behauptet solche wissenschaftliche Tierpsychologie, das ist etwas, worüber
der Wissenschaft leine Aussage zustehen kann; sondern daß die erscheinenden
Handlungen der Tiere, also das Treten mit den Hufen, berechenbar und begreiflich
werden, wenn wir sie auffassen, als ob die Tiere in dem Sinne wie wir die
Aufgaben durch Wurzelziehen gelöst hätten. Hier haben wir einen Fall, wo
die von Vaihinger vertretene Philosophie des Als Ob mit Erfolg zur Lösung
eines Problems herangezogen werden kann; das Maß ihrer Tragweite ist in
den obigen Darlegungen gegeben.

Was nun die Exaktheit solcher Tierpsychologie anbetrifft, so ist mit der
Spannungsweite der biologischen Verwandtschaft zwischen irgendeiner Tierart
und den Menschen, erkennbar etwa am anatomischen Bau des Zentralnerven¬
systems usw., als Maßstab der Wahrscheinlichkeit des wirklichen Zutreffens solcher
Psychologie nichts anzufangen, da diese Wahrscheinlichkeit sich der mathematischen
Berechnung entzieht; wohl aber gibt uns das Experiment, das unter bestimmten
Bedingungen bestimmte Handlungen von Tieren erwartet und mehr oder weniger
genau eintreten steht (z. B. Häufigkeit des Versagens), einen Prüfstein für die
Sicherheit eines psychologischen Ordnungssystems, die sich damit auch der mathe¬
matischen Fehlerberechnung stellt.

Der Name Psychologie ist für eine so aufgefaßte Tierpsychologie nicht irre--
führender als bei der allgemeinen Menschenpsychologie, die durchaus nicht anders
verfährt. In diesem Sinne also ist Tierpsychologie nicht nur möglich, sondern
sogar exakter Wissenschaftlichkeit fähig; und so scheinen nur die gewiß noch sehr
unzulänglichen Versuche von Tierpsychologie Nachsicht, Aufmerksamkeit und För¬
derung zu verdienen.




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[0476] Ist Tierpsychologie möglich? vollzieht, behauptet solche wissenschaftliche Tierpsychologie, das ist etwas, worüber der Wissenschaft leine Aussage zustehen kann; sondern daß die erscheinenden Handlungen der Tiere, also das Treten mit den Hufen, berechenbar und begreiflich werden, wenn wir sie auffassen, als ob die Tiere in dem Sinne wie wir die Aufgaben durch Wurzelziehen gelöst hätten. Hier haben wir einen Fall, wo die von Vaihinger vertretene Philosophie des Als Ob mit Erfolg zur Lösung eines Problems herangezogen werden kann; das Maß ihrer Tragweite ist in den obigen Darlegungen gegeben. Was nun die Exaktheit solcher Tierpsychologie anbetrifft, so ist mit der Spannungsweite der biologischen Verwandtschaft zwischen irgendeiner Tierart und den Menschen, erkennbar etwa am anatomischen Bau des Zentralnerven¬ systems usw., als Maßstab der Wahrscheinlichkeit des wirklichen Zutreffens solcher Psychologie nichts anzufangen, da diese Wahrscheinlichkeit sich der mathematischen Berechnung entzieht; wohl aber gibt uns das Experiment, das unter bestimmten Bedingungen bestimmte Handlungen von Tieren erwartet und mehr oder weniger genau eintreten steht (z. B. Häufigkeit des Versagens), einen Prüfstein für die Sicherheit eines psychologischen Ordnungssystems, die sich damit auch der mathe¬ matischen Fehlerberechnung stellt. Der Name Psychologie ist für eine so aufgefaßte Tierpsychologie nicht irre-- führender als bei der allgemeinen Menschenpsychologie, die durchaus nicht anders verfährt. In diesem Sinne also ist Tierpsychologie nicht nur möglich, sondern sogar exakter Wissenschaftlichkeit fähig; und so scheinen nur die gewiß noch sehr unzulänglichen Versuche von Tierpsychologie Nachsicht, Aufmerksamkeit und För¬ derung zu verdienen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/476>, abgerufen am 19.10.2024.