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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Ist Tierpsychologie möglich?

und ein Mann wie Max Verworn gar bestreitet aus erkenntnis - theore¬
tischen Erwägungen die Möglichkeit und Zulässigkeit von Tierpsychologie für
alle Zeit.

Die reinen Wissenschaften wie Logik und Mathematik seien ihrem Wesen
und ihrer Begründung nach hier dahingestellt, machen wir uns aber den Er¬
kenntnisvorgang der Erfahrungswissenschaften kurz klar, indem? wir voraussetzen
wollen, die Existenz der Außenwelt sei von der Erkenntnistheorie zureichend er¬
wiesen. Die Dinge zu erkennen, das wäre also die Aufgabe der Einzelwissen¬
schaften. Was ist der Stein, den ich vor mir sehe? Wenn ich nicht wissen
will, was er für mich ist, etwa, daß ich ihn weiß sehe, während ein anderer
ihn von der Schattenseite her grau sieht, sondern was er für sich, an sich selber
ist, so wäre es sicherlich das beste, ich würde für einen Augenblick einmal der
Stein, dann würde ich wissen, was er sich selber ist. Diesen tiefen Gedanken
der wahren Erkenntnis als einer Einswerdung von Subjekt und Objekt hatte
die Mystik, vor allem in Absicht der Erkenntnis Gottes, im Auge; das etwa
meinte sie mit ihren Begriffen der Intuition, des Schauens, des Ertrinkens und
Aufgehens des Ichs in Gott. Aber wie dieser solcher Erkenntnis durch seine
Unendlichkeit eine unlösliche Aufgabe stellte, so türmt sich dort die große
Schwierigkeit mit der Frage, ob wir der Stein werden sollen mit unserem Be¬
wußtsein oder ohne dies; das eine zerstört den Stein eben in seinem reinen
Eigensinn, das andere die Rettung eben der beabsichtigten Erkenntnis in das
vor und nach den: Verschmelzungsakte selbständige erkennende Subjekt. Der
Gedanke mystischer Erkenntnis hebt sich selber auf, weil er das zu jeglicher Er¬
kenntnis notwendige Gegensatzpaar Subjekt und Objekt eben als solches aufhebt.
Diese Gedanken sind nicht so müßig, wie sie scheinen, man muß sie einmal
durchdenken, um viel Licht auf die tatsächliche Wesensart unserer Erfahrungs¬
erkenntnis fallen zu sehen, und sie werden uns weiterhin vor einem schweren
Fehler in der Fassung der Aufgabe der Tierpsychologie bewahren.

Erkenntnisse also finden wir nur möglich von erkannten Gegenständen als
Gegenständen einer Erkenntnis, für ein erkennendes Subjekt, d. h. als Er¬
kenntnisse von Erscheinungen. Unsere Erkenntnisse sprechen sich in Urteilen aus,
welche die erfahrenen Erscheinungen einem gesetzten Dinge, das an sich nie er¬
fahren wird noch werden kann, als Eigenschaften zuordnen, womit zugleich die
Erscheinungen untereinander in eine Ordnung gebracht werden. Mag diesen
Trägern der Erscheinungen erkenntnistheoretische Realität zu- oder abgesprochen
werden, im Erkenntnisvorgang sind sie logisch als gedachte Gebilde charakterisiert,
als den Erscheinungen zugrunde liegende Substanzen. So laufen wir in unserem
empirischen Erkennen mit unseren Urteilen gleichsam fortgesetzt um das, was
wir erkennen wollen, herum, beschauen es von allen Seiten und fassen es doch
nie selber, wofern uns nicht die Erkenntniskritik noch andere Mittel zum Vor¬
dringen durch das Verhau der Erscheinungen an die Hand gibt, eine Frage,
die aber außerhalb der impirischen Wissenschaften liegt.


Ist Tierpsychologie möglich?

und ein Mann wie Max Verworn gar bestreitet aus erkenntnis - theore¬
tischen Erwägungen die Möglichkeit und Zulässigkeit von Tierpsychologie für
alle Zeit.

Die reinen Wissenschaften wie Logik und Mathematik seien ihrem Wesen
und ihrer Begründung nach hier dahingestellt, machen wir uns aber den Er¬
kenntnisvorgang der Erfahrungswissenschaften kurz klar, indem? wir voraussetzen
wollen, die Existenz der Außenwelt sei von der Erkenntnistheorie zureichend er¬
wiesen. Die Dinge zu erkennen, das wäre also die Aufgabe der Einzelwissen¬
schaften. Was ist der Stein, den ich vor mir sehe? Wenn ich nicht wissen
will, was er für mich ist, etwa, daß ich ihn weiß sehe, während ein anderer
ihn von der Schattenseite her grau sieht, sondern was er für sich, an sich selber
ist, so wäre es sicherlich das beste, ich würde für einen Augenblick einmal der
Stein, dann würde ich wissen, was er sich selber ist. Diesen tiefen Gedanken
der wahren Erkenntnis als einer Einswerdung von Subjekt und Objekt hatte
die Mystik, vor allem in Absicht der Erkenntnis Gottes, im Auge; das etwa
meinte sie mit ihren Begriffen der Intuition, des Schauens, des Ertrinkens und
Aufgehens des Ichs in Gott. Aber wie dieser solcher Erkenntnis durch seine
Unendlichkeit eine unlösliche Aufgabe stellte, so türmt sich dort die große
Schwierigkeit mit der Frage, ob wir der Stein werden sollen mit unserem Be¬
wußtsein oder ohne dies; das eine zerstört den Stein eben in seinem reinen
Eigensinn, das andere die Rettung eben der beabsichtigten Erkenntnis in das
vor und nach den: Verschmelzungsakte selbständige erkennende Subjekt. Der
Gedanke mystischer Erkenntnis hebt sich selber auf, weil er das zu jeglicher Er¬
kenntnis notwendige Gegensatzpaar Subjekt und Objekt eben als solches aufhebt.
Diese Gedanken sind nicht so müßig, wie sie scheinen, man muß sie einmal
durchdenken, um viel Licht auf die tatsächliche Wesensart unserer Erfahrungs¬
erkenntnis fallen zu sehen, und sie werden uns weiterhin vor einem schweren
Fehler in der Fassung der Aufgabe der Tierpsychologie bewahren.

Erkenntnisse also finden wir nur möglich von erkannten Gegenständen als
Gegenständen einer Erkenntnis, für ein erkennendes Subjekt, d. h. als Er¬
kenntnisse von Erscheinungen. Unsere Erkenntnisse sprechen sich in Urteilen aus,
welche die erfahrenen Erscheinungen einem gesetzten Dinge, das an sich nie er¬
fahren wird noch werden kann, als Eigenschaften zuordnen, womit zugleich die
Erscheinungen untereinander in eine Ordnung gebracht werden. Mag diesen
Trägern der Erscheinungen erkenntnistheoretische Realität zu- oder abgesprochen
werden, im Erkenntnisvorgang sind sie logisch als gedachte Gebilde charakterisiert,
als den Erscheinungen zugrunde liegende Substanzen. So laufen wir in unserem
empirischen Erkennen mit unseren Urteilen gleichsam fortgesetzt um das, was
wir erkennen wollen, herum, beschauen es von allen Seiten und fassen es doch
nie selber, wofern uns nicht die Erkenntniskritik noch andere Mittel zum Vor¬
dringen durch das Verhau der Erscheinungen an die Hand gibt, eine Frage,
die aber außerhalb der impirischen Wissenschaften liegt.


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[0473] Ist Tierpsychologie möglich? und ein Mann wie Max Verworn gar bestreitet aus erkenntnis - theore¬ tischen Erwägungen die Möglichkeit und Zulässigkeit von Tierpsychologie für alle Zeit. Die reinen Wissenschaften wie Logik und Mathematik seien ihrem Wesen und ihrer Begründung nach hier dahingestellt, machen wir uns aber den Er¬ kenntnisvorgang der Erfahrungswissenschaften kurz klar, indem? wir voraussetzen wollen, die Existenz der Außenwelt sei von der Erkenntnistheorie zureichend er¬ wiesen. Die Dinge zu erkennen, das wäre also die Aufgabe der Einzelwissen¬ schaften. Was ist der Stein, den ich vor mir sehe? Wenn ich nicht wissen will, was er für mich ist, etwa, daß ich ihn weiß sehe, während ein anderer ihn von der Schattenseite her grau sieht, sondern was er für sich, an sich selber ist, so wäre es sicherlich das beste, ich würde für einen Augenblick einmal der Stein, dann würde ich wissen, was er sich selber ist. Diesen tiefen Gedanken der wahren Erkenntnis als einer Einswerdung von Subjekt und Objekt hatte die Mystik, vor allem in Absicht der Erkenntnis Gottes, im Auge; das etwa meinte sie mit ihren Begriffen der Intuition, des Schauens, des Ertrinkens und Aufgehens des Ichs in Gott. Aber wie dieser solcher Erkenntnis durch seine Unendlichkeit eine unlösliche Aufgabe stellte, so türmt sich dort die große Schwierigkeit mit der Frage, ob wir der Stein werden sollen mit unserem Be¬ wußtsein oder ohne dies; das eine zerstört den Stein eben in seinem reinen Eigensinn, das andere die Rettung eben der beabsichtigten Erkenntnis in das vor und nach den: Verschmelzungsakte selbständige erkennende Subjekt. Der Gedanke mystischer Erkenntnis hebt sich selber auf, weil er das zu jeglicher Er¬ kenntnis notwendige Gegensatzpaar Subjekt und Objekt eben als solches aufhebt. Diese Gedanken sind nicht so müßig, wie sie scheinen, man muß sie einmal durchdenken, um viel Licht auf die tatsächliche Wesensart unserer Erfahrungs¬ erkenntnis fallen zu sehen, und sie werden uns weiterhin vor einem schweren Fehler in der Fassung der Aufgabe der Tierpsychologie bewahren. Erkenntnisse also finden wir nur möglich von erkannten Gegenständen als Gegenständen einer Erkenntnis, für ein erkennendes Subjekt, d. h. als Er¬ kenntnisse von Erscheinungen. Unsere Erkenntnisse sprechen sich in Urteilen aus, welche die erfahrenen Erscheinungen einem gesetzten Dinge, das an sich nie er¬ fahren wird noch werden kann, als Eigenschaften zuordnen, womit zugleich die Erscheinungen untereinander in eine Ordnung gebracht werden. Mag diesen Trägern der Erscheinungen erkenntnistheoretische Realität zu- oder abgesprochen werden, im Erkenntnisvorgang sind sie logisch als gedachte Gebilde charakterisiert, als den Erscheinungen zugrunde liegende Substanzen. So laufen wir in unserem empirischen Erkennen mit unseren Urteilen gleichsam fortgesetzt um das, was wir erkennen wollen, herum, beschauen es von allen Seiten und fassen es doch nie selber, wofern uns nicht die Erkenntniskritik noch andere Mittel zum Vor¬ dringen durch das Verhau der Erscheinungen an die Hand gibt, eine Frage, die aber außerhalb der impirischen Wissenschaften liegt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/473>, abgerufen am 28.12.2024.