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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Der Prinz von Ithaka als Lrzieher

auf Bibel und Gesangbuch angewiesen, mochte Friedrich der Klage des gefangenen
Telemach gedenken: "Glücklich diejenigen, welche gerne lesen und nicht wie ich
der Lektüre beraubt sind!" (S. 27.) Von dem Gefühl seiner fürstlichen Stellung
ist der Prinz von Ithaka nicht minder durchdrungen, als es der junge Friedrich
-- sehr zum Mißvergnügen seines Vaters -- war. "Er liebte," heißt es von
Telemach, "alles was glänzend war und von feinem Geschmack zeugte."
<S. 373.)

Vor allem aber haben Föneions Anschauungen vom Beruf des Fürsten
tiefe Wurzeln in Friedrich geschlagen; es führt ein gerader Weg vom Telemach
zum Antimacchiavell. "Der König," las Friedrich am Schlüsse des Buches, wo
Mnelon alle seine Lehren noch einmal zusammenfaßt, "der König ist ein Sklave
aller derer, denen er zu befehlen scheint. Die Autorität, die er besitzt, ist nicht
sein eigen; seine Würde ist die des Gesetzes und er muß ihm gehorchen, um
seinen Untertanen mit gutem Beispiel voranzugehen. Genau genommen ist er
der Verteidiger der Gesetze, denen er die Herrschaft verschaffen soll. Unter
allen Menschen seines Königreichs hat er am wenigsten Freiheit und Ruhe.
Er muß sie dem allgemeinen Wohle aufopfern."

Sonderbarerweise verträgt sich bei Fenelon die völlige Hingabe des Königs
an die Gesamtheit mit weitgehender Bevorzugung des Geburtsadels. Niemand
kann aus seiner Haut heraus; Fsnelon, selbst aus höchstem Adel, wollte auch
in seinem Idealstaate die strenge Abstufung der Stände nicht missen. Die erste
Stelle im Staate, meint er, sollten diejenigen einnehmen, die vom ältesten
und glänzendsten Adel seien; der Vorzug, den eine lange Ahnenreihe be¬
dinge, sei unter allen dem Neide am wenigsten ausgesetzt. (S. 204). Man
weiß, daß zu dem Zerwürfnis zwischen Vater und Sohn auch die Vorliebe, die
Friedrich von Jugend an für den Adel empfand, nicht unwesentlich beigetragen
hat. Friedrich Wilhelm hat das einen törichten Bauernstolz genannt; er warf
dem Sohne vor, daß er sich am liebsten mit Marquis umgeben wolle. Friedrich
hat diese aristokratischen Neigungen niemals aufgegeben. Den Landesadel sorg-
fältig zu konservieren, ihm die höchsten Ehrenstellen im Staate einzuräumen, ist
allezeit eines der vornehmsten Prinzipien seiner Regierung gewesen.

Heute sind die "^verdure8 nie lölLmaque" nur noch ein harmloses Schul¬
buch, das den Leser durch seine flüssige Diktion und die echt französische Grazie,
die darüber ausgegossen ist, erfreut. In den meisten Ausgaben sind die Lehren,
die der weise Mentor an die Abenteuer des Prinzen von Ithaka knüpft, gestrichen
oder doch wesentlich gekürzt, und wir ahnen nichts von den Empfindungen,
die sie einst in der Brust zweier großer preußischer Könige angeregt haben.




Der Prinz von Ithaka als Lrzieher

auf Bibel und Gesangbuch angewiesen, mochte Friedrich der Klage des gefangenen
Telemach gedenken: „Glücklich diejenigen, welche gerne lesen und nicht wie ich
der Lektüre beraubt sind!" (S. 27.) Von dem Gefühl seiner fürstlichen Stellung
ist der Prinz von Ithaka nicht minder durchdrungen, als es der junge Friedrich
— sehr zum Mißvergnügen seines Vaters — war. „Er liebte," heißt es von
Telemach, „alles was glänzend war und von feinem Geschmack zeugte."
<S. 373.)

Vor allem aber haben Föneions Anschauungen vom Beruf des Fürsten
tiefe Wurzeln in Friedrich geschlagen; es führt ein gerader Weg vom Telemach
zum Antimacchiavell. „Der König," las Friedrich am Schlüsse des Buches, wo
Mnelon alle seine Lehren noch einmal zusammenfaßt, „der König ist ein Sklave
aller derer, denen er zu befehlen scheint. Die Autorität, die er besitzt, ist nicht
sein eigen; seine Würde ist die des Gesetzes und er muß ihm gehorchen, um
seinen Untertanen mit gutem Beispiel voranzugehen. Genau genommen ist er
der Verteidiger der Gesetze, denen er die Herrschaft verschaffen soll. Unter
allen Menschen seines Königreichs hat er am wenigsten Freiheit und Ruhe.
Er muß sie dem allgemeinen Wohle aufopfern."

Sonderbarerweise verträgt sich bei Fenelon die völlige Hingabe des Königs
an die Gesamtheit mit weitgehender Bevorzugung des Geburtsadels. Niemand
kann aus seiner Haut heraus; Fsnelon, selbst aus höchstem Adel, wollte auch
in seinem Idealstaate die strenge Abstufung der Stände nicht missen. Die erste
Stelle im Staate, meint er, sollten diejenigen einnehmen, die vom ältesten
und glänzendsten Adel seien; der Vorzug, den eine lange Ahnenreihe be¬
dinge, sei unter allen dem Neide am wenigsten ausgesetzt. (S. 204). Man
weiß, daß zu dem Zerwürfnis zwischen Vater und Sohn auch die Vorliebe, die
Friedrich von Jugend an für den Adel empfand, nicht unwesentlich beigetragen
hat. Friedrich Wilhelm hat das einen törichten Bauernstolz genannt; er warf
dem Sohne vor, daß er sich am liebsten mit Marquis umgeben wolle. Friedrich
hat diese aristokratischen Neigungen niemals aufgegeben. Den Landesadel sorg-
fältig zu konservieren, ihm die höchsten Ehrenstellen im Staate einzuräumen, ist
allezeit eines der vornehmsten Prinzipien seiner Regierung gewesen.

Heute sind die „^verdure8 nie lölLmaque" nur noch ein harmloses Schul¬
buch, das den Leser durch seine flüssige Diktion und die echt französische Grazie,
die darüber ausgegossen ist, erfreut. In den meisten Ausgaben sind die Lehren,
die der weise Mentor an die Abenteuer des Prinzen von Ithaka knüpft, gestrichen
oder doch wesentlich gekürzt, und wir ahnen nichts von den Empfindungen,
die sie einst in der Brust zweier großer preußischer Könige angeregt haben.




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[0471] Der Prinz von Ithaka als Lrzieher auf Bibel und Gesangbuch angewiesen, mochte Friedrich der Klage des gefangenen Telemach gedenken: „Glücklich diejenigen, welche gerne lesen und nicht wie ich der Lektüre beraubt sind!" (S. 27.) Von dem Gefühl seiner fürstlichen Stellung ist der Prinz von Ithaka nicht minder durchdrungen, als es der junge Friedrich — sehr zum Mißvergnügen seines Vaters — war. „Er liebte," heißt es von Telemach, „alles was glänzend war und von feinem Geschmack zeugte." <S. 373.) Vor allem aber haben Föneions Anschauungen vom Beruf des Fürsten tiefe Wurzeln in Friedrich geschlagen; es führt ein gerader Weg vom Telemach zum Antimacchiavell. „Der König," las Friedrich am Schlüsse des Buches, wo Mnelon alle seine Lehren noch einmal zusammenfaßt, „der König ist ein Sklave aller derer, denen er zu befehlen scheint. Die Autorität, die er besitzt, ist nicht sein eigen; seine Würde ist die des Gesetzes und er muß ihm gehorchen, um seinen Untertanen mit gutem Beispiel voranzugehen. Genau genommen ist er der Verteidiger der Gesetze, denen er die Herrschaft verschaffen soll. Unter allen Menschen seines Königreichs hat er am wenigsten Freiheit und Ruhe. Er muß sie dem allgemeinen Wohle aufopfern." Sonderbarerweise verträgt sich bei Fenelon die völlige Hingabe des Königs an die Gesamtheit mit weitgehender Bevorzugung des Geburtsadels. Niemand kann aus seiner Haut heraus; Fsnelon, selbst aus höchstem Adel, wollte auch in seinem Idealstaate die strenge Abstufung der Stände nicht missen. Die erste Stelle im Staate, meint er, sollten diejenigen einnehmen, die vom ältesten und glänzendsten Adel seien; der Vorzug, den eine lange Ahnenreihe be¬ dinge, sei unter allen dem Neide am wenigsten ausgesetzt. (S. 204). Man weiß, daß zu dem Zerwürfnis zwischen Vater und Sohn auch die Vorliebe, die Friedrich von Jugend an für den Adel empfand, nicht unwesentlich beigetragen hat. Friedrich Wilhelm hat das einen törichten Bauernstolz genannt; er warf dem Sohne vor, daß er sich am liebsten mit Marquis umgeben wolle. Friedrich hat diese aristokratischen Neigungen niemals aufgegeben. Den Landesadel sorg- fältig zu konservieren, ihm die höchsten Ehrenstellen im Staate einzuräumen, ist allezeit eines der vornehmsten Prinzipien seiner Regierung gewesen. Heute sind die „^verdure8 nie lölLmaque" nur noch ein harmloses Schul¬ buch, das den Leser durch seine flüssige Diktion und die echt französische Grazie, die darüber ausgegossen ist, erfreut. In den meisten Ausgaben sind die Lehren, die der weise Mentor an die Abenteuer des Prinzen von Ithaka knüpft, gestrichen oder doch wesentlich gekürzt, und wir ahnen nichts von den Empfindungen, die sie einst in der Brust zweier großer preußischer Könige angeregt haben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/471>, abgerufen am 19.10.2024.