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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Der Prinz von Ithaka als Erzieher

Fenelon! Waren nicht auch Ludwig der Dreizehnte, und selbst sein großer
Sohn zum Beginn seiner Negierung, von hohen geistlichen Würdenträgern be¬
raten worden! Wäre es nicht zum Heile Frankreichs, wenn die Zeiten eines
Richelieu und Mazarin wiederkehrten?

Die politischen Ideen, die Fönelon sich gebildet hatte, standen im schärfsten
Gegensatz zu denen, die der Absolutismus Ludwigs des Vierzehnten in Frank¬
reich zur Herrschaft gebracht hatte.

Schon in den kleinen Werken, die er für den Unterricht des Prinzen
schrieb -- denn von Anfang an hatte er auch seine glänzende literarische Be¬
gabung für seine große Aufgabe nutzbar gemacht -- tritt ein oppositioneller
Zug hervor. In Totengesprächen, wie der literarische Geschmack der Zeit sie
liebte, läßt er französische Könige Ansichten aussprechen, die eine unverhüllte
Verurteilung des bestehenden Regimes enthalten. Vielleicht war es schon ein
Vorbote königlicher Ungnade, daß Fönelon unter den äußeren Anzeichen aller¬
höchster Huld das Erzbistum Cambrey erhielt -- ein Amt, das ihn den größten
Teil des Jahres von Paris und seinem Zögling fernhielt. Aber das Ungewitter
entlud sich doch erst, als Fünelon mit der herrschenden Orthodoxie in Konflikt
geriet. In dem Streite um den Quietismus, eine mystische Doktrin, die nicht
im Glauben und in guten Werken, sondern in beständiger Betrachtung der
Gottheit und in völliger Hingabe an sie das Heil des Menschen sah, hatte
Föneion für Frau von Guyon, die unerschrockene Vorkämpferin dieser Lehre.
Partei ergriffen. Er war dabei mit der größten kirchlichen Autorität Frankreichs,
mit Bossuet, in heftige Fehde geraten. Ludwig der Vierzehnte stellte sich mit
Entschiedenheit auf Bossuets Seite. Nicht ohne sein Zutun wurde das Buch, in
dem Fönelon für Frau von Guyon eingetreten war, in Rom verdammt und
Fönelon zum Widerruf genötigt. Der König befahl, daß jede Verbindung
zwischen dem Herzog von Burgund und seinem Erzieher aufhöre. Fönelons
Einfluß schien endgültig gebrochen.

Da erschien unter dem harmlosen Titel "Suite ein quatriöme livre as
I'OäyZZö ä'et0mer on /Xventure8 as 1"öI6maquö f>l3 ni'UII^sse" Fenelons
Roman und erregte schon während des in einzelnen Teilen erfolgenden Druckes
ungeheures Aufsehen. Das Spürauge der Versailler Hofleute glaubte in dem
Buche ein einziges großes Pasquill entdeckt zu haben. "Dieser Idomeneus",
raunte man sich zu, "dessen auswärtige Politik seinem Staate so verderblich wird,
ist kein anderer als der König selbst. Die ruchlose Maitresse Astarbe ist die
Marquise von Montespan, die Nymphe Eucharis, die Telemach gefährlich zu
werden droht, Frau von Fontange.' Der verhaßte Günstling Protesilas hat die
Züge Louvois', während in der Gestalt der liebenswürdigen Antiope Fenelon
der jungen Gattin seines Zöglings eine schmeichelhafte Huldigung darbringt*)."



*) Vgl. Hettner: Geschichte der französischen Literatur im achtzehnten Jahrhundert, Bd. 2,
ü, Aufl., S. 27. Lotheißen: Geschichte der französischen Literatur im siebzehnten Jahrhundert,
Bd. 4, S. 326 und Ranke: Sämtliche Werke, Bd. 11. S. 73.
Der Prinz von Ithaka als Erzieher

Fenelon! Waren nicht auch Ludwig der Dreizehnte, und selbst sein großer
Sohn zum Beginn seiner Negierung, von hohen geistlichen Würdenträgern be¬
raten worden! Wäre es nicht zum Heile Frankreichs, wenn die Zeiten eines
Richelieu und Mazarin wiederkehrten?

Die politischen Ideen, die Fönelon sich gebildet hatte, standen im schärfsten
Gegensatz zu denen, die der Absolutismus Ludwigs des Vierzehnten in Frank¬
reich zur Herrschaft gebracht hatte.

Schon in den kleinen Werken, die er für den Unterricht des Prinzen
schrieb — denn von Anfang an hatte er auch seine glänzende literarische Be¬
gabung für seine große Aufgabe nutzbar gemacht — tritt ein oppositioneller
Zug hervor. In Totengesprächen, wie der literarische Geschmack der Zeit sie
liebte, läßt er französische Könige Ansichten aussprechen, die eine unverhüllte
Verurteilung des bestehenden Regimes enthalten. Vielleicht war es schon ein
Vorbote königlicher Ungnade, daß Fönelon unter den äußeren Anzeichen aller¬
höchster Huld das Erzbistum Cambrey erhielt — ein Amt, das ihn den größten
Teil des Jahres von Paris und seinem Zögling fernhielt. Aber das Ungewitter
entlud sich doch erst, als Fünelon mit der herrschenden Orthodoxie in Konflikt
geriet. In dem Streite um den Quietismus, eine mystische Doktrin, die nicht
im Glauben und in guten Werken, sondern in beständiger Betrachtung der
Gottheit und in völliger Hingabe an sie das Heil des Menschen sah, hatte
Föneion für Frau von Guyon, die unerschrockene Vorkämpferin dieser Lehre.
Partei ergriffen. Er war dabei mit der größten kirchlichen Autorität Frankreichs,
mit Bossuet, in heftige Fehde geraten. Ludwig der Vierzehnte stellte sich mit
Entschiedenheit auf Bossuets Seite. Nicht ohne sein Zutun wurde das Buch, in
dem Fönelon für Frau von Guyon eingetreten war, in Rom verdammt und
Fönelon zum Widerruf genötigt. Der König befahl, daß jede Verbindung
zwischen dem Herzog von Burgund und seinem Erzieher aufhöre. Fönelons
Einfluß schien endgültig gebrochen.

Da erschien unter dem harmlosen Titel „Suite ein quatriöme livre as
I'OäyZZö ä'et0mer on /Xventure8 as 1"öI6maquö f>l3 ni'UII^sse" Fenelons
Roman und erregte schon während des in einzelnen Teilen erfolgenden Druckes
ungeheures Aufsehen. Das Spürauge der Versailler Hofleute glaubte in dem
Buche ein einziges großes Pasquill entdeckt zu haben. „Dieser Idomeneus",
raunte man sich zu, „dessen auswärtige Politik seinem Staate so verderblich wird,
ist kein anderer als der König selbst. Die ruchlose Maitresse Astarbe ist die
Marquise von Montespan, die Nymphe Eucharis, die Telemach gefährlich zu
werden droht, Frau von Fontange.' Der verhaßte Günstling Protesilas hat die
Züge Louvois', während in der Gestalt der liebenswürdigen Antiope Fenelon
der jungen Gattin seines Zöglings eine schmeichelhafte Huldigung darbringt*)."



*) Vgl. Hettner: Geschichte der französischen Literatur im achtzehnten Jahrhundert, Bd. 2,
ü, Aufl., S. 27. Lotheißen: Geschichte der französischen Literatur im siebzehnten Jahrhundert,
Bd. 4, S. 326 und Ranke: Sämtliche Werke, Bd. 11. S. 73.
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[0464] Der Prinz von Ithaka als Erzieher Fenelon! Waren nicht auch Ludwig der Dreizehnte, und selbst sein großer Sohn zum Beginn seiner Negierung, von hohen geistlichen Würdenträgern be¬ raten worden! Wäre es nicht zum Heile Frankreichs, wenn die Zeiten eines Richelieu und Mazarin wiederkehrten? Die politischen Ideen, die Fönelon sich gebildet hatte, standen im schärfsten Gegensatz zu denen, die der Absolutismus Ludwigs des Vierzehnten in Frank¬ reich zur Herrschaft gebracht hatte. Schon in den kleinen Werken, die er für den Unterricht des Prinzen schrieb — denn von Anfang an hatte er auch seine glänzende literarische Be¬ gabung für seine große Aufgabe nutzbar gemacht — tritt ein oppositioneller Zug hervor. In Totengesprächen, wie der literarische Geschmack der Zeit sie liebte, läßt er französische Könige Ansichten aussprechen, die eine unverhüllte Verurteilung des bestehenden Regimes enthalten. Vielleicht war es schon ein Vorbote königlicher Ungnade, daß Fönelon unter den äußeren Anzeichen aller¬ höchster Huld das Erzbistum Cambrey erhielt — ein Amt, das ihn den größten Teil des Jahres von Paris und seinem Zögling fernhielt. Aber das Ungewitter entlud sich doch erst, als Fünelon mit der herrschenden Orthodoxie in Konflikt geriet. In dem Streite um den Quietismus, eine mystische Doktrin, die nicht im Glauben und in guten Werken, sondern in beständiger Betrachtung der Gottheit und in völliger Hingabe an sie das Heil des Menschen sah, hatte Föneion für Frau von Guyon, die unerschrockene Vorkämpferin dieser Lehre. Partei ergriffen. Er war dabei mit der größten kirchlichen Autorität Frankreichs, mit Bossuet, in heftige Fehde geraten. Ludwig der Vierzehnte stellte sich mit Entschiedenheit auf Bossuets Seite. Nicht ohne sein Zutun wurde das Buch, in dem Fönelon für Frau von Guyon eingetreten war, in Rom verdammt und Fönelon zum Widerruf genötigt. Der König befahl, daß jede Verbindung zwischen dem Herzog von Burgund und seinem Erzieher aufhöre. Fönelons Einfluß schien endgültig gebrochen. Da erschien unter dem harmlosen Titel „Suite ein quatriöme livre as I'OäyZZö ä'et0mer on /Xventure8 as 1"öI6maquö f>l3 ni'UII^sse" Fenelons Roman und erregte schon während des in einzelnen Teilen erfolgenden Druckes ungeheures Aufsehen. Das Spürauge der Versailler Hofleute glaubte in dem Buche ein einziges großes Pasquill entdeckt zu haben. „Dieser Idomeneus", raunte man sich zu, „dessen auswärtige Politik seinem Staate so verderblich wird, ist kein anderer als der König selbst. Die ruchlose Maitresse Astarbe ist die Marquise von Montespan, die Nymphe Eucharis, die Telemach gefährlich zu werden droht, Frau von Fontange.' Der verhaßte Günstling Protesilas hat die Züge Louvois', während in der Gestalt der liebenswürdigen Antiope Fenelon der jungen Gattin seines Zöglings eine schmeichelhafte Huldigung darbringt*)." *) Vgl. Hettner: Geschichte der französischen Literatur im achtzehnten Jahrhundert, Bd. 2, ü, Aufl., S. 27. Lotheißen: Geschichte der französischen Literatur im siebzehnten Jahrhundert, Bd. 4, S. 326 und Ranke: Sämtliche Werke, Bd. 11. S. 73.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/464>, abgerufen am 20.10.2024.